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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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nehmen. Selbstverständlich kommt die deutsche Philosophie dabei gar nicht in
Berechnung. Die Jesuiten schließen ganz im Sinne ihrer intio stuüiorum mit
jenen Kenntnissen ab, zu denen man vor 300 Jahren gelangt war, weshalb
sie auch behaupten , daß in der lateinischen Sprache "die Schätze der Wissen¬
schaften aller Zeiten und aller Völker aufbewahrt sind." Der Grund davon
liegt aber tiefer als in einer blasirten Verkommenheit. "Die lateinische Sprache
ist die Sprache der Kirche, die Sprache der kirchlichen Ueberlieferung, sie schließt
den Schatz der alten kirchlichen Ueberlieferungen aus, in welchen die Verurthei-
lung der neuen Lehre enthalten ist/' Das Deutsche dagegen wurde zuerst vom
"großen Reformator" in Aufnahme gebracht, seine Schriften, wie unzählige
andere, welche die Irrlehre verbreiteten, sind darin verfaßt, die deutsche Lite¬
ratur rührt meist von Protestanten her und gibt seit Sineds Liedern den Jesuiten
nur ein Armuthszeugnih, sie scheint ihnen daher mit "unsäglicher Schmach"
belastet, ihre Muse "eine Freigelassene des Christenthums und der Sittlich¬
keit*)." Der Ingrimm, den der Ordensgeneral gegen alles Deutsche empfindet,
schlägt selbst dort durch, wo er von der Sprache der Franzosen. Italiener,
Spanier, Portugiesen und Polen redet, die sich erst i" jener Zeit ausgebildet,
wo das Studium der lateinischen (wohl durch Beihilfe der Jesuiten) bei ihnen
allgemein betrieben wurde," denn, meint er, "wenn Deutschland hiervon eine
Ausnahme machte, ist die Ursache in den besonderen Zuständen und Verhält¬
nissen der damaligen Zeit und Nation zu suchen," also Wohl in der Reforma¬
tion, mit der er stets einen Gang zu machen bereitest, ohne auch nur den
Gebrauch der Waffe, der deutschen Sprache nämlich, die er kaum wie ein Pri¬
maner schreibt, zu kennen. Daher müssen den" auch, weil es in der lateini¬
schen Sprache "am leichtesten ist, der Wahrheit getreu zu bleiben und dem
Irrthum auszuweichen" in den Jesuitenschulen alle höheren Lehrgegenstände in
gutem Mönchslatein vorgetragen werden.

Nach allem dem, und weil die Gymnasien der Jesuiten vorzüglich darauf
berechriet sind, ihre Zöglinge für den Uebertritt in die Theologie vorzubereiten,
was nach ?. Beckx bei ihren Schülern häufig der Fall sein wird, möchte man
meinen, daß ihr Religionsunterricht einen namhaften Theil der Stunden be¬
anspruche; allein mit Nichten, nur jeden Sonnabend ist ihm ein halbes Stündchen
gewidmet. Dafür sind die anderen Schulgegenstände durch lauter fromme An-
muthungen verquickt, so "daß die Religion wie ein ausgegossencs Oel unver¬
merkt allen übrigen Unterricht durchdringt." "Der Lehrer soll unserer is.die>
stuäiorum gemäß." schreibt der General, "alle Gegenstände so behandeln, daß
die Religion keinem fremd bleibe und alle Schüler die Wahrheiten des Kate-



') Piscalar will sich in der obcncmgefiihrten Broschüre die Freiheit gewahrt wissen, diesen
Ausspruch Borch aus vollster Ueberzeugung zu unterschreiben.

nehmen. Selbstverständlich kommt die deutsche Philosophie dabei gar nicht in
Berechnung. Die Jesuiten schließen ganz im Sinne ihrer intio stuüiorum mit
jenen Kenntnissen ab, zu denen man vor 300 Jahren gelangt war, weshalb
sie auch behaupten , daß in der lateinischen Sprache „die Schätze der Wissen¬
schaften aller Zeiten und aller Völker aufbewahrt sind." Der Grund davon
liegt aber tiefer als in einer blasirten Verkommenheit. „Die lateinische Sprache
ist die Sprache der Kirche, die Sprache der kirchlichen Ueberlieferung, sie schließt
den Schatz der alten kirchlichen Ueberlieferungen aus, in welchen die Verurthei-
lung der neuen Lehre enthalten ist/' Das Deutsche dagegen wurde zuerst vom
„großen Reformator" in Aufnahme gebracht, seine Schriften, wie unzählige
andere, welche die Irrlehre verbreiteten, sind darin verfaßt, die deutsche Lite¬
ratur rührt meist von Protestanten her und gibt seit Sineds Liedern den Jesuiten
nur ein Armuthszeugnih, sie scheint ihnen daher mit „unsäglicher Schmach"
belastet, ihre Muse „eine Freigelassene des Christenthums und der Sittlich¬
keit*)." Der Ingrimm, den der Ordensgeneral gegen alles Deutsche empfindet,
schlägt selbst dort durch, wo er von der Sprache der Franzosen. Italiener,
Spanier, Portugiesen und Polen redet, die sich erst i» jener Zeit ausgebildet,
wo das Studium der lateinischen (wohl durch Beihilfe der Jesuiten) bei ihnen
allgemein betrieben wurde," denn, meint er, „wenn Deutschland hiervon eine
Ausnahme machte, ist die Ursache in den besonderen Zuständen und Verhält¬
nissen der damaligen Zeit und Nation zu suchen," also Wohl in der Reforma¬
tion, mit der er stets einen Gang zu machen bereitest, ohne auch nur den
Gebrauch der Waffe, der deutschen Sprache nämlich, die er kaum wie ein Pri¬
maner schreibt, zu kennen. Daher müssen den» auch, weil es in der lateini¬
schen Sprache „am leichtesten ist, der Wahrheit getreu zu bleiben und dem
Irrthum auszuweichen" in den Jesuitenschulen alle höheren Lehrgegenstände in
gutem Mönchslatein vorgetragen werden.

Nach allem dem, und weil die Gymnasien der Jesuiten vorzüglich darauf
berechriet sind, ihre Zöglinge für den Uebertritt in die Theologie vorzubereiten,
was nach ?. Beckx bei ihren Schülern häufig der Fall sein wird, möchte man
meinen, daß ihr Religionsunterricht einen namhaften Theil der Stunden be¬
anspruche; allein mit Nichten, nur jeden Sonnabend ist ihm ein halbes Stündchen
gewidmet. Dafür sind die anderen Schulgegenstände durch lauter fromme An-
muthungen verquickt, so „daß die Religion wie ein ausgegossencs Oel unver¬
merkt allen übrigen Unterricht durchdringt." „Der Lehrer soll unserer is.die>
stuäiorum gemäß." schreibt der General, „alle Gegenstände so behandeln, daß
die Religion keinem fremd bleibe und alle Schüler die Wahrheiten des Kate-



') Piscalar will sich in der obcncmgefiihrten Broschüre die Freiheit gewahrt wissen, diesen
Ausspruch Borch aus vollster Ueberzeugung zu unterschreiben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/476>, abgerufen am 28.07.2024.