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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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genauen Anwendung ihres Lehrplanes, worauf Alles ankommt, nicht die Rede
sein. "Vor Allem ist ihnen darum zu thun, der Jugend eine Richtung zu geben,
die nicht blos auf materielle und zeitliche, sondern vorzüglich auf übernatürliche
und ewige Wohlfahrt berechnet ist. Die Religion ist bei ihr der Ein- und
Ausgangspunkt aller Bildung," oder richtiger jener Köhlerglaube, der bei der
oberflächlichen Kenntniß, womit sie ihre Schüler ausstatten, dieselben ganz in die
Hände des Ordens gibt.

"Die höhere allgemeine Bildung der Jugend im Gymnasium" erläutert
?. Beckx weiter, "und die hierdurch angestrebte Vorbereitung auf den Univer¬
sitätsunterricht verübt hauptsächlich auf das*) Studium der classischen Literatur."
Sehen wir etwas näher zu, wie es damit beschaffen ist. Nach der r^dio sw-
Ziormn, die, obschon ein Erbtheil des Mittelalters, ja schon anfangs des sieb¬
zehnten Jahrhunderts gedruckt, den Jesuiten als unumstößliches Fundamental¬
gesetz der Erziehung gilt, nimmt die Aneignung des Lateins in den drei ersten
Classen, ihrer sogenannten "Grammatik", neben dem Griechischen fast die ganze
Lehrzeit in Anspruch. Aber welches Lateins? Man blicke nur in dieselbe i^dio
Ltuclioi-um, oder irgend eines ihrer Lehrbücher, z. B. die Hramirmtieg. sinnig,-
nuelis oder die ^iimltliea, um zu lernen, was sie unter Latein verstehen. Die
beste Aufklärung darüber gibt uns Beckx selbst, indem er dessen Verdrängung
aus den Schulen in Ungarn beklagt, woraus wir wohl zu schließen berechtigt
find, daß ihm unter dem Ausdruck Latein ein Musteridivm, ähnlich demjenigen,
das dort üblich gewesen, vor Augen schwebt. Bei der Methode, wie es den
Schülern beigebracht wird, kann es auch kaum fehlen, daß sie alles Andere ler¬
nen als den echten Geist dieser Sprache, die den Römern eigenthümliche Art
des Ausdrucks. Das Geheimniß der Jesuiten besteht darin, ihren Zöglingen
einen möglichst großen Wörterreichthum einzuprägen. Dazu dient eine fort¬
währende Gedächtnißübung, deren bekanntester Kunstgriff in der Bestellung von
Decurionen unter den Schülern liegt, welche die auswendig gelernten Dictate
den andern ebenso wie die Lehrer ihnen selbst abfragen. Die Lectüre des Ci¬
cero wechselt mit jener des Pontanus, selbst die des (gereinigten) Ovid mit der
des Pater Sautellius, aber Alles nur, damit den Knaben der lateinische Kling¬
klang im Kopfe wirbelt. In der Rhetorik, wie die Jesuiten nach mittelalterlichen
Vorbild die vierte und fünfte Classe nennen, dienen Bruchstücke lateinischer
Klassiker als Muster für die Stilübungen. ,Wenn der sogenannte "Professor"
. die'Lehre von den Tropen, Figuren, Chricn, Reden, Epigrammen, Idyllen,
Satyren, Lehrgedichten, Dramen und Epopeen vorträgt, hilft die Chrestomathie"
gleich mit Beispielen aus mannigfachen lateinischen Autoren nach, die sonach
nicht um ihrer selbst willen, nicht um ihre" Stil, Gedankengang oder die



') Buchstäblich so im Original.

genauen Anwendung ihres Lehrplanes, worauf Alles ankommt, nicht die Rede
sein. „Vor Allem ist ihnen darum zu thun, der Jugend eine Richtung zu geben,
die nicht blos auf materielle und zeitliche, sondern vorzüglich auf übernatürliche
und ewige Wohlfahrt berechnet ist. Die Religion ist bei ihr der Ein- und
Ausgangspunkt aller Bildung," oder richtiger jener Köhlerglaube, der bei der
oberflächlichen Kenntniß, womit sie ihre Schüler ausstatten, dieselben ganz in die
Hände des Ordens gibt.

„Die höhere allgemeine Bildung der Jugend im Gymnasium" erläutert
?. Beckx weiter, „und die hierdurch angestrebte Vorbereitung auf den Univer¬
sitätsunterricht verübt hauptsächlich auf das*) Studium der classischen Literatur."
Sehen wir etwas näher zu, wie es damit beschaffen ist. Nach der r^dio sw-
Ziormn, die, obschon ein Erbtheil des Mittelalters, ja schon anfangs des sieb¬
zehnten Jahrhunderts gedruckt, den Jesuiten als unumstößliches Fundamental¬
gesetz der Erziehung gilt, nimmt die Aneignung des Lateins in den drei ersten
Classen, ihrer sogenannten „Grammatik", neben dem Griechischen fast die ganze
Lehrzeit in Anspruch. Aber welches Lateins? Man blicke nur in dieselbe i^dio
Ltuclioi-um, oder irgend eines ihrer Lehrbücher, z. B. die Hramirmtieg. sinnig,-
nuelis oder die ^iimltliea, um zu lernen, was sie unter Latein verstehen. Die
beste Aufklärung darüber gibt uns Beckx selbst, indem er dessen Verdrängung
aus den Schulen in Ungarn beklagt, woraus wir wohl zu schließen berechtigt
find, daß ihm unter dem Ausdruck Latein ein Musteridivm, ähnlich demjenigen,
das dort üblich gewesen, vor Augen schwebt. Bei der Methode, wie es den
Schülern beigebracht wird, kann es auch kaum fehlen, daß sie alles Andere ler¬
nen als den echten Geist dieser Sprache, die den Römern eigenthümliche Art
des Ausdrucks. Das Geheimniß der Jesuiten besteht darin, ihren Zöglingen
einen möglichst großen Wörterreichthum einzuprägen. Dazu dient eine fort¬
währende Gedächtnißübung, deren bekanntester Kunstgriff in der Bestellung von
Decurionen unter den Schülern liegt, welche die auswendig gelernten Dictate
den andern ebenso wie die Lehrer ihnen selbst abfragen. Die Lectüre des Ci¬
cero wechselt mit jener des Pontanus, selbst die des (gereinigten) Ovid mit der
des Pater Sautellius, aber Alles nur, damit den Knaben der lateinische Kling¬
klang im Kopfe wirbelt. In der Rhetorik, wie die Jesuiten nach mittelalterlichen
Vorbild die vierte und fünfte Classe nennen, dienen Bruchstücke lateinischer
Klassiker als Muster für die Stilübungen. ,Wenn der sogenannte „Professor"
. die'Lehre von den Tropen, Figuren, Chricn, Reden, Epigrammen, Idyllen,
Satyren, Lehrgedichten, Dramen und Epopeen vorträgt, hilft die Chrestomathie"
gleich mit Beispielen aus mannigfachen lateinischen Autoren nach, die sonach
nicht um ihrer selbst willen, nicht um ihre» Stil, Gedankengang oder die



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[0473] genauen Anwendung ihres Lehrplanes, worauf Alles ankommt, nicht die Rede sein. „Vor Allem ist ihnen darum zu thun, der Jugend eine Richtung zu geben, die nicht blos auf materielle und zeitliche, sondern vorzüglich auf übernatürliche und ewige Wohlfahrt berechnet ist. Die Religion ist bei ihr der Ein- und Ausgangspunkt aller Bildung," oder richtiger jener Köhlerglaube, der bei der oberflächlichen Kenntniß, womit sie ihre Schüler ausstatten, dieselben ganz in die Hände des Ordens gibt. „Die höhere allgemeine Bildung der Jugend im Gymnasium" erläutert ?. Beckx weiter, „und die hierdurch angestrebte Vorbereitung auf den Univer¬ sitätsunterricht verübt hauptsächlich auf das*) Studium der classischen Literatur." Sehen wir etwas näher zu, wie es damit beschaffen ist. Nach der r^dio sw- Ziormn, die, obschon ein Erbtheil des Mittelalters, ja schon anfangs des sieb¬ zehnten Jahrhunderts gedruckt, den Jesuiten als unumstößliches Fundamental¬ gesetz der Erziehung gilt, nimmt die Aneignung des Lateins in den drei ersten Classen, ihrer sogenannten „Grammatik", neben dem Griechischen fast die ganze Lehrzeit in Anspruch. Aber welches Lateins? Man blicke nur in dieselbe i^dio Ltuclioi-um, oder irgend eines ihrer Lehrbücher, z. B. die Hramirmtieg. sinnig,- nuelis oder die ^iimltliea, um zu lernen, was sie unter Latein verstehen. Die beste Aufklärung darüber gibt uns Beckx selbst, indem er dessen Verdrängung aus den Schulen in Ungarn beklagt, woraus wir wohl zu schließen berechtigt find, daß ihm unter dem Ausdruck Latein ein Musteridivm, ähnlich demjenigen, das dort üblich gewesen, vor Augen schwebt. Bei der Methode, wie es den Schülern beigebracht wird, kann es auch kaum fehlen, daß sie alles Andere ler¬ nen als den echten Geist dieser Sprache, die den Römern eigenthümliche Art des Ausdrucks. Das Geheimniß der Jesuiten besteht darin, ihren Zöglingen einen möglichst großen Wörterreichthum einzuprägen. Dazu dient eine fort¬ währende Gedächtnißübung, deren bekanntester Kunstgriff in der Bestellung von Decurionen unter den Schülern liegt, welche die auswendig gelernten Dictate den andern ebenso wie die Lehrer ihnen selbst abfragen. Die Lectüre des Ci¬ cero wechselt mit jener des Pontanus, selbst die des (gereinigten) Ovid mit der des Pater Sautellius, aber Alles nur, damit den Knaben der lateinische Kling¬ klang im Kopfe wirbelt. In der Rhetorik, wie die Jesuiten nach mittelalterlichen Vorbild die vierte und fünfte Classe nennen, dienen Bruchstücke lateinischer Klassiker als Muster für die Stilübungen. ,Wenn der sogenannte „Professor" . die'Lehre von den Tropen, Figuren, Chricn, Reden, Epigrammen, Idyllen, Satyren, Lehrgedichten, Dramen und Epopeen vorträgt, hilft die Chrestomathie" gleich mit Beispielen aus mannigfachen lateinischen Autoren nach, die sonach nicht um ihrer selbst willen, nicht um ihre» Stil, Gedankengang oder die ') Buchstäblich so im Original.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/473>, abgerufen am 28.07.2024.