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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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worden ist. Jene haben daher das ganze siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
hindurch als eine besondere, vornehmlich auf dem Gebiete der Hymnologie und
der Katechetik eigene Productionen hervorbringende, nationale Gruppe da¬
gestanden, welche zugleich den unter harter Verfolgung lebenden benachbarten
Glaubensbrüdern im eigentlichen Polen als Stützpunkt gedient und sie mit
Geistlichen versorgt hat.

Eine ansehnliche Ausdehnung hatte das evangelische Kirchenwesen im
sechzehnten Jahrhundert und im ersten Viertel des folgenden auch in dem
großentheils von Polen bewohnten Fürstenthum Teschen und den Herr¬
schaften Pleß und Loslau gewonnen. In dem ersteren wurden bis zum dreißig¬
jährigen Kriege über SO, in Pleß 27, in Loslau 12 evangelische Kirchen ge¬
zählt. Von allen diesen war nach 1654 keine einzige mehr in den Händen der
Protestanten. Erst durch die altranstadter Convention wurde der Bau einer
evangelischen Kirche in Teschen wieder gestattet, welche nunmehr auch den pro¬
testantischen Polen in weitem Umkreise als Sammelpunkt diente. In der
Standesherrschaft Pleß entstanden erst nach der preußischen Besitznahme von
Schlesien wieder neue evangelische Kirchen, von denen die in Pleß, Golassowitz,
Nikolai und Loslau die meisten Polen zählen. In dein bei Oestreich verbliebe¬
nen Fürstenthum Teschen wurden nach dem Tolercmzedicte Kaiser Josephs des
Zweiten außer Teschen selbst noch 11 andere^ evangelische Kirchen erbaut, welche
zusammen gegen 50.000 Polen als Eingepfarrte zählen.

Von einer weiteren Verzweigung protestantischer Gemeinden nach Galizien
ist nichts bekannt. Nur von ssrakau ist bekannt, daß dort noch utraquistisch
-- polnisch und deutsch -- in der evangelischen Gemeinde gepredigt wird. Ein
gleiches Dunkel liegt über Rußland. Mit Sicherheit wissen wir nur, daß die
Gemeinde in Kalisch, 5000 Seelen stark, etwa zu ihrem dritten Theile aus Po¬
len besteht, und daß im Wege des Schmuggelhandels jährlich eine Anzahl pol¬
nischer Bibeln von Preußen in jene Gegend geht, daß aber, um politischer Be¬
denken willen, dort nicht in polnischer Sprache gepredigt wird; serner, daß in
Warschau noch evangelisch-polnische Predigt besteht.

Auch von den protestantischen Polen in Schlesien bemerkt unsre Quelle, daß
sie sehr kirchlich gesinnt seien. "Mit dem Bekenntniß ihrer Kirche sind sie ver¬
traut. Kein Haus ist ohne Bibel, ohne sein Gebetbuch, ohne die Predigt¬
sammlung des berühmten polnischen Kanzelredners Dombrowski."

Dies führt uns auf die kirchliche Literatur dieser polnischer Kreise, von der
zunächst das Aeußerliche zu berichten ist. daß sie sich der deutschen Lettern bedient,
während die katholische mit lateinischen Schriftzeichen gedruckt ist. Was dann zu¬
nächst die Bibel anlangt, so gilt die auf Veranlassung des Fürsten Nikolaus
Radziwill. veranstaltete und im Jahre 1S63 in Brzesc-Litewski zuerst heraus¬
gegebene polnische Übersetzung derselben für ein Meisterwerk. Die ersten Gei-


worden ist. Jene haben daher das ganze siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert
hindurch als eine besondere, vornehmlich auf dem Gebiete der Hymnologie und
der Katechetik eigene Productionen hervorbringende, nationale Gruppe da¬
gestanden, welche zugleich den unter harter Verfolgung lebenden benachbarten
Glaubensbrüdern im eigentlichen Polen als Stützpunkt gedient und sie mit
Geistlichen versorgt hat.

Eine ansehnliche Ausdehnung hatte das evangelische Kirchenwesen im
sechzehnten Jahrhundert und im ersten Viertel des folgenden auch in dem
großentheils von Polen bewohnten Fürstenthum Teschen und den Herr¬
schaften Pleß und Loslau gewonnen. In dem ersteren wurden bis zum dreißig¬
jährigen Kriege über SO, in Pleß 27, in Loslau 12 evangelische Kirchen ge¬
zählt. Von allen diesen war nach 1654 keine einzige mehr in den Händen der
Protestanten. Erst durch die altranstadter Convention wurde der Bau einer
evangelischen Kirche in Teschen wieder gestattet, welche nunmehr auch den pro¬
testantischen Polen in weitem Umkreise als Sammelpunkt diente. In der
Standesherrschaft Pleß entstanden erst nach der preußischen Besitznahme von
Schlesien wieder neue evangelische Kirchen, von denen die in Pleß, Golassowitz,
Nikolai und Loslau die meisten Polen zählen. In dein bei Oestreich verbliebe¬
nen Fürstenthum Teschen wurden nach dem Tolercmzedicte Kaiser Josephs des
Zweiten außer Teschen selbst noch 11 andere^ evangelische Kirchen erbaut, welche
zusammen gegen 50.000 Polen als Eingepfarrte zählen.

Von einer weiteren Verzweigung protestantischer Gemeinden nach Galizien
ist nichts bekannt. Nur von ssrakau ist bekannt, daß dort noch utraquistisch
— polnisch und deutsch — in der evangelischen Gemeinde gepredigt wird. Ein
gleiches Dunkel liegt über Rußland. Mit Sicherheit wissen wir nur, daß die
Gemeinde in Kalisch, 5000 Seelen stark, etwa zu ihrem dritten Theile aus Po¬
len besteht, und daß im Wege des Schmuggelhandels jährlich eine Anzahl pol¬
nischer Bibeln von Preußen in jene Gegend geht, daß aber, um politischer Be¬
denken willen, dort nicht in polnischer Sprache gepredigt wird; serner, daß in
Warschau noch evangelisch-polnische Predigt besteht.

Auch von den protestantischen Polen in Schlesien bemerkt unsre Quelle, daß
sie sehr kirchlich gesinnt seien. „Mit dem Bekenntniß ihrer Kirche sind sie ver¬
traut. Kein Haus ist ohne Bibel, ohne sein Gebetbuch, ohne die Predigt¬
sammlung des berühmten polnischen Kanzelredners Dombrowski."

Dies führt uns auf die kirchliche Literatur dieser polnischer Kreise, von der
zunächst das Aeußerliche zu berichten ist. daß sie sich der deutschen Lettern bedient,
während die katholische mit lateinischen Schriftzeichen gedruckt ist. Was dann zu¬
nächst die Bibel anlangt, so gilt die auf Veranlassung des Fürsten Nikolaus
Radziwill. veranstaltete und im Jahre 1S63 in Brzesc-Litewski zuerst heraus¬
gegebene polnische Übersetzung derselben für ein Meisterwerk. Die ersten Gei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/463>, abgerufen am 28.07.2024.