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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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der preußischen Regierung auf dem Kongresse selbst nicht das Mindeste zu mer¬
ken. Die Fürsten und ihre Minister suchten zuletzt in den Zeitungen nach,
um die Stimmung in Preußen und die möglichen Entschlüsse der preußischen
Regierung zu erkennen.

Wahrlich, wenn man zur Zeit Friedrich des Großen und Herzbergs, ja
noch in der keineswegs geschäftsicheren Zeit Hardenbergs einem preußischen
Staatsmann vorausgesagt hätte, daß eine solche diplomatische Mondfinsternis;
in Preußen jemals eintreten werde, sie hätten dergleichen Prophezeihung als
unmöglich verlacht.

Endlich jetzt, nachdem der Fürstencongreß verlaufen ist, gewinnt die Ent¬
rüstung bei der preußischen Regierung "inen Ausdruck, der ebenso auffällt, als
das frühere Unterlassen des Nothwendigen. Das Staatsministerium spricht die
Hoffnung aus, daß man in Preußen durch Auflösung des Abgeordnetenhauses
der Regierung geneigte Wahlen erhalten werde, weil die Machtstellung Preu¬
ßens durch Bestrebungen auf dem Gebiet der deutschen Bundesverfassung be¬
droht sei, und weil der Preuße die Beeinträchtigung der Würde Preußens nicht
dulden werde.

Allerdings ist anzunehmen, daß die Preußen in den Tagen des August
sehr schmerzlich die Gefahren empfanden, welche dem preußischen Staate von
Außen drohen. Aber die Preußen sind ein reflectirendes Volk, um so mehr
auf ihre eigenen stillen Gedanken angewiesen, da ihre Presse verhindert ist, laut
für sie zu sprechen. Und wir fürchten, sie werden auch über die letzte Ursache
der gegenwärtigen Gefahren ihre Betrachtungen anstellen. Und sie werden sich
fragen, wie war es möglich, daß wir Schritt für Schritt so weit herunterge¬
kommen sind? Daß man einen neuen Bund in Deutschland ohne Preußen zu
beschließen wagt? und daß während dieser Bund verabredet wird, die preußische
Negierung in Frankfurt ebenso schweigsam und machtlos ist wie Lippe-Detmold?
Und wir fürchten sehr, daß bei solcher Betrachtung seiner gegenwärtigen Lage
das preußische Volk auch noch andere Fragen aufwerfen wird, welche die Re¬
gierung nahe angehen, und auf welche das neue Haus der Abgeordneten eine
Antwort zu geben entschlossen sein wird.

Unterdeß sinnen wir als gute Preußen darüber nach, wie das Ministerium
zu der Hoffnung kommen konnte, neue Wahlen würden für die Regierung
günstiger ausfallen als die alten. Und wir können die Meinung nicht zurück¬
halten, daß Herr von Bismarck selbst nicht an bessere Wahlen glaubt, und daß
er diesen Versuch nur macht, um dem Könige den Beweis zu führen, daß ohne
ein octroyirtes Wahlgesetz keine Besseiung der preußischen Zustände zu hoffen
sei. Aber die Appellation des Staatsministeriums an den Patriotismus der
Preußen ist auch nicht allein für das preußische Volk, sie ist ebensosehr gegen
Oestreich und für Frankreich geschrieben. Aus den feudalen Blättern ist zu


der preußischen Regierung auf dem Kongresse selbst nicht das Mindeste zu mer¬
ken. Die Fürsten und ihre Minister suchten zuletzt in den Zeitungen nach,
um die Stimmung in Preußen und die möglichen Entschlüsse der preußischen
Regierung zu erkennen.

Wahrlich, wenn man zur Zeit Friedrich des Großen und Herzbergs, ja
noch in der keineswegs geschäftsicheren Zeit Hardenbergs einem preußischen
Staatsmann vorausgesagt hätte, daß eine solche diplomatische Mondfinsternis;
in Preußen jemals eintreten werde, sie hätten dergleichen Prophezeihung als
unmöglich verlacht.

Endlich jetzt, nachdem der Fürstencongreß verlaufen ist, gewinnt die Ent¬
rüstung bei der preußischen Regierung «inen Ausdruck, der ebenso auffällt, als
das frühere Unterlassen des Nothwendigen. Das Staatsministerium spricht die
Hoffnung aus, daß man in Preußen durch Auflösung des Abgeordnetenhauses
der Regierung geneigte Wahlen erhalten werde, weil die Machtstellung Preu¬
ßens durch Bestrebungen auf dem Gebiet der deutschen Bundesverfassung be¬
droht sei, und weil der Preuße die Beeinträchtigung der Würde Preußens nicht
dulden werde.

Allerdings ist anzunehmen, daß die Preußen in den Tagen des August
sehr schmerzlich die Gefahren empfanden, welche dem preußischen Staate von
Außen drohen. Aber die Preußen sind ein reflectirendes Volk, um so mehr
auf ihre eigenen stillen Gedanken angewiesen, da ihre Presse verhindert ist, laut
für sie zu sprechen. Und wir fürchten, sie werden auch über die letzte Ursache
der gegenwärtigen Gefahren ihre Betrachtungen anstellen. Und sie werden sich
fragen, wie war es möglich, daß wir Schritt für Schritt so weit herunterge¬
kommen sind? Daß man einen neuen Bund in Deutschland ohne Preußen zu
beschließen wagt? und daß während dieser Bund verabredet wird, die preußische
Negierung in Frankfurt ebenso schweigsam und machtlos ist wie Lippe-Detmold?
Und wir fürchten sehr, daß bei solcher Betrachtung seiner gegenwärtigen Lage
das preußische Volk auch noch andere Fragen aufwerfen wird, welche die Re¬
gierung nahe angehen, und auf welche das neue Haus der Abgeordneten eine
Antwort zu geben entschlossen sein wird.

Unterdeß sinnen wir als gute Preußen darüber nach, wie das Ministerium
zu der Hoffnung kommen konnte, neue Wahlen würden für die Regierung
günstiger ausfallen als die alten. Und wir können die Meinung nicht zurück¬
halten, daß Herr von Bismarck selbst nicht an bessere Wahlen glaubt, und daß
er diesen Versuch nur macht, um dem Könige den Beweis zu führen, daß ohne
ein octroyirtes Wahlgesetz keine Besseiung der preußischen Zustände zu hoffen
sei. Aber die Appellation des Staatsministeriums an den Patriotismus der
Preußen ist auch nicht allein für das preußische Volk, sie ist ebensosehr gegen
Oestreich und für Frankreich geschrieben. Aus den feudalen Blättern ist zu


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[0449] der preußischen Regierung auf dem Kongresse selbst nicht das Mindeste zu mer¬ ken. Die Fürsten und ihre Minister suchten zuletzt in den Zeitungen nach, um die Stimmung in Preußen und die möglichen Entschlüsse der preußischen Regierung zu erkennen. Wahrlich, wenn man zur Zeit Friedrich des Großen und Herzbergs, ja noch in der keineswegs geschäftsicheren Zeit Hardenbergs einem preußischen Staatsmann vorausgesagt hätte, daß eine solche diplomatische Mondfinsternis; in Preußen jemals eintreten werde, sie hätten dergleichen Prophezeihung als unmöglich verlacht. Endlich jetzt, nachdem der Fürstencongreß verlaufen ist, gewinnt die Ent¬ rüstung bei der preußischen Regierung «inen Ausdruck, der ebenso auffällt, als das frühere Unterlassen des Nothwendigen. Das Staatsministerium spricht die Hoffnung aus, daß man in Preußen durch Auflösung des Abgeordnetenhauses der Regierung geneigte Wahlen erhalten werde, weil die Machtstellung Preu¬ ßens durch Bestrebungen auf dem Gebiet der deutschen Bundesverfassung be¬ droht sei, und weil der Preuße die Beeinträchtigung der Würde Preußens nicht dulden werde. Allerdings ist anzunehmen, daß die Preußen in den Tagen des August sehr schmerzlich die Gefahren empfanden, welche dem preußischen Staate von Außen drohen. Aber die Preußen sind ein reflectirendes Volk, um so mehr auf ihre eigenen stillen Gedanken angewiesen, da ihre Presse verhindert ist, laut für sie zu sprechen. Und wir fürchten, sie werden auch über die letzte Ursache der gegenwärtigen Gefahren ihre Betrachtungen anstellen. Und sie werden sich fragen, wie war es möglich, daß wir Schritt für Schritt so weit herunterge¬ kommen sind? Daß man einen neuen Bund in Deutschland ohne Preußen zu beschließen wagt? und daß während dieser Bund verabredet wird, die preußische Negierung in Frankfurt ebenso schweigsam und machtlos ist wie Lippe-Detmold? Und wir fürchten sehr, daß bei solcher Betrachtung seiner gegenwärtigen Lage das preußische Volk auch noch andere Fragen aufwerfen wird, welche die Re¬ gierung nahe angehen, und auf welche das neue Haus der Abgeordneten eine Antwort zu geben entschlossen sein wird. Unterdeß sinnen wir als gute Preußen darüber nach, wie das Ministerium zu der Hoffnung kommen konnte, neue Wahlen würden für die Regierung günstiger ausfallen als die alten. Und wir können die Meinung nicht zurück¬ halten, daß Herr von Bismarck selbst nicht an bessere Wahlen glaubt, und daß er diesen Versuch nur macht, um dem Könige den Beweis zu führen, daß ohne ein octroyirtes Wahlgesetz keine Besseiung der preußischen Zustände zu hoffen sei. Aber die Appellation des Staatsministeriums an den Patriotismus der Preußen ist auch nicht allein für das preußische Volk, sie ist ebensosehr gegen Oestreich und für Frankreich geschrieben. Aus den feudalen Blättern ist zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/449>, abgerufen am 28.07.2024.