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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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schwere Verletzung der Würde Preußens erachte, und hätte Preußen nach dem
Zusammentritt des Kongresses gegenüber den Souveränen mit Festigkeit gegen
alle Beschlüsse protestirt, welche daraus hervorgehen können, so wäre Voraus¬
sich! lieh die Zahl der Fürsten, die nicht erschienen, und die Zahl der Fürsten,
welche sich gegen das Reformproject erklärten, so groß geworden, daß die völlige
Resultatlosigkeit der Verhandlungen in der ersten Woche, Allen offenbar gewor¬
den wäre. Denn es hat sich ergeben, daß einen Sonderbund mit Oestreich
keine anwesende Negierung wollte, und daß die Unsicherheit über die letzten
Entschlüsse Preußens das beste Mittel Oestreichs war, die Fürsten zusammen¬
zuhalten.

Das Schreiben des Königs Wilhelm vom 4. August sprach sich anerkennend
für Bundesreformen, sogar für den Plan eines Fürstencongresses und über die
Wahl Frankfurts aus, und die Meinungsverschiedenheit lief nur darauf hinaus,
daß Preußen vorausgehende Ministcrialconferenzen für wünschenswert!) hielt.
Aus dem Ton des Schriftstücks war eher eine, wenn auch widerwillige Geneigt¬
heit zum Anschluß, als eine entschiedene Ablehnung zu sehen. Ja noch auf das
zweite Gesuch der Fürsten und die Reise des Königs von Sachsen erfolgte eine
zweite Erklärung, welche mehr gute Wünsche als entschlossenen Widerstand aus¬
drückte und Oestreich die Möglichkeit gab, eine sofortige Berathung der einzel¬
nen Paragraphen durchzusetzen.

Mit dieser Sprache der Majestät von Preußen standen allerdings in un>
vereinbaren Gegensatz die Ausdrücke, in denen Herr v. Bismarck während des
Fürstencongresses seine Abneigung dagegen aussprach.

Das Resultat dieses Verhaltens war natürlich ein für Preußen sehr un¬
günstiges. Auch die Fürsten, welche, gleichviel aus welchem Grunde, die Nei¬
gung oder den Zwang empfunden hätten, auf den Willen Preußens Rücksicht
zu nehmen, sahen mit Erstaunen, daß im entscheidenden Momente dort Wille
und Entschluß nicht erkennbar war. Daß der Plan Oestreichs gegen Preußen
gerichtet war, erkannte Jeder. Aber Wenige hatten Lust, sich durch Widerstre¬
ben zu compromittiren, da ganz unberechenbar erschien, ob Preußen sich doch
nicht zuletzt fügen oder eingehende Bedingungen stellen werde. Aber dies Nicht-
Vorhandensein eines preußischen Willens trat während des Fürstencongresses
noch in einer andern unerhörten Weise zu Tage.

Wo war während der verhängnißvollen Tage von Frankfurt Herr v. Sydow?
Wo waren die preußischen Diplomaten und Agenten, welche in persön¬
lichem Verkehr mit den anwesenden Fürsten und ihren Ministern die
Ueberzeugungen und Forderungen ihrer Regierung geltend zu machen wußten?
-- Hat es je in der letzten Generation einen Ort und eine Zusammenkunft
gegeben, welche so dringend das eifrigste stille Arbeiten vertrauter Agenten noth¬
wendig machte? Und doch während der langen Tage war von einer Thätigkeit


schwere Verletzung der Würde Preußens erachte, und hätte Preußen nach dem
Zusammentritt des Kongresses gegenüber den Souveränen mit Festigkeit gegen
alle Beschlüsse protestirt, welche daraus hervorgehen können, so wäre Voraus¬
sich! lieh die Zahl der Fürsten, die nicht erschienen, und die Zahl der Fürsten,
welche sich gegen das Reformproject erklärten, so groß geworden, daß die völlige
Resultatlosigkeit der Verhandlungen in der ersten Woche, Allen offenbar gewor¬
den wäre. Denn es hat sich ergeben, daß einen Sonderbund mit Oestreich
keine anwesende Negierung wollte, und daß die Unsicherheit über die letzten
Entschlüsse Preußens das beste Mittel Oestreichs war, die Fürsten zusammen¬
zuhalten.

Das Schreiben des Königs Wilhelm vom 4. August sprach sich anerkennend
für Bundesreformen, sogar für den Plan eines Fürstencongresses und über die
Wahl Frankfurts aus, und die Meinungsverschiedenheit lief nur darauf hinaus,
daß Preußen vorausgehende Ministcrialconferenzen für wünschenswert!) hielt.
Aus dem Ton des Schriftstücks war eher eine, wenn auch widerwillige Geneigt¬
heit zum Anschluß, als eine entschiedene Ablehnung zu sehen. Ja noch auf das
zweite Gesuch der Fürsten und die Reise des Königs von Sachsen erfolgte eine
zweite Erklärung, welche mehr gute Wünsche als entschlossenen Widerstand aus¬
drückte und Oestreich die Möglichkeit gab, eine sofortige Berathung der einzel¬
nen Paragraphen durchzusetzen.

Mit dieser Sprache der Majestät von Preußen standen allerdings in un>
vereinbaren Gegensatz die Ausdrücke, in denen Herr v. Bismarck während des
Fürstencongresses seine Abneigung dagegen aussprach.

Das Resultat dieses Verhaltens war natürlich ein für Preußen sehr un¬
günstiges. Auch die Fürsten, welche, gleichviel aus welchem Grunde, die Nei¬
gung oder den Zwang empfunden hätten, auf den Willen Preußens Rücksicht
zu nehmen, sahen mit Erstaunen, daß im entscheidenden Momente dort Wille
und Entschluß nicht erkennbar war. Daß der Plan Oestreichs gegen Preußen
gerichtet war, erkannte Jeder. Aber Wenige hatten Lust, sich durch Widerstre¬
ben zu compromittiren, da ganz unberechenbar erschien, ob Preußen sich doch
nicht zuletzt fügen oder eingehende Bedingungen stellen werde. Aber dies Nicht-
Vorhandensein eines preußischen Willens trat während des Fürstencongresses
noch in einer andern unerhörten Weise zu Tage.

Wo war während der verhängnißvollen Tage von Frankfurt Herr v. Sydow?
Wo waren die preußischen Diplomaten und Agenten, welche in persön¬
lichem Verkehr mit den anwesenden Fürsten und ihren Ministern die
Ueberzeugungen und Forderungen ihrer Regierung geltend zu machen wußten?
— Hat es je in der letzten Generation einen Ort und eine Zusammenkunft
gegeben, welche so dringend das eifrigste stille Arbeiten vertrauter Agenten noth¬
wendig machte? Und doch während der langen Tage war von einer Thätigkeit


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[0448] schwere Verletzung der Würde Preußens erachte, und hätte Preußen nach dem Zusammentritt des Kongresses gegenüber den Souveränen mit Festigkeit gegen alle Beschlüsse protestirt, welche daraus hervorgehen können, so wäre Voraus¬ sich! lieh die Zahl der Fürsten, die nicht erschienen, und die Zahl der Fürsten, welche sich gegen das Reformproject erklärten, so groß geworden, daß die völlige Resultatlosigkeit der Verhandlungen in der ersten Woche, Allen offenbar gewor¬ den wäre. Denn es hat sich ergeben, daß einen Sonderbund mit Oestreich keine anwesende Negierung wollte, und daß die Unsicherheit über die letzten Entschlüsse Preußens das beste Mittel Oestreichs war, die Fürsten zusammen¬ zuhalten. Das Schreiben des Königs Wilhelm vom 4. August sprach sich anerkennend für Bundesreformen, sogar für den Plan eines Fürstencongresses und über die Wahl Frankfurts aus, und die Meinungsverschiedenheit lief nur darauf hinaus, daß Preußen vorausgehende Ministcrialconferenzen für wünschenswert!) hielt. Aus dem Ton des Schriftstücks war eher eine, wenn auch widerwillige Geneigt¬ heit zum Anschluß, als eine entschiedene Ablehnung zu sehen. Ja noch auf das zweite Gesuch der Fürsten und die Reise des Königs von Sachsen erfolgte eine zweite Erklärung, welche mehr gute Wünsche als entschlossenen Widerstand aus¬ drückte und Oestreich die Möglichkeit gab, eine sofortige Berathung der einzel¬ nen Paragraphen durchzusetzen. Mit dieser Sprache der Majestät von Preußen standen allerdings in un> vereinbaren Gegensatz die Ausdrücke, in denen Herr v. Bismarck während des Fürstencongresses seine Abneigung dagegen aussprach. Das Resultat dieses Verhaltens war natürlich ein für Preußen sehr un¬ günstiges. Auch die Fürsten, welche, gleichviel aus welchem Grunde, die Nei¬ gung oder den Zwang empfunden hätten, auf den Willen Preußens Rücksicht zu nehmen, sahen mit Erstaunen, daß im entscheidenden Momente dort Wille und Entschluß nicht erkennbar war. Daß der Plan Oestreichs gegen Preußen gerichtet war, erkannte Jeder. Aber Wenige hatten Lust, sich durch Widerstre¬ ben zu compromittiren, da ganz unberechenbar erschien, ob Preußen sich doch nicht zuletzt fügen oder eingehende Bedingungen stellen werde. Aber dies Nicht- Vorhandensein eines preußischen Willens trat während des Fürstencongresses noch in einer andern unerhörten Weise zu Tage. Wo war während der verhängnißvollen Tage von Frankfurt Herr v. Sydow? Wo waren die preußischen Diplomaten und Agenten, welche in persön¬ lichem Verkehr mit den anwesenden Fürsten und ihren Ministern die Ueberzeugungen und Forderungen ihrer Regierung geltend zu machen wußten? — Hat es je in der letzten Generation einen Ort und eine Zusammenkunft gegeben, welche so dringend das eifrigste stille Arbeiten vertrauter Agenten noth¬ wendig machte? Und doch während der langen Tage war von einer Thätigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/448>, abgerufen am 01.09.2024.