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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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daß man die Warnung beachtet, nach welcher er vorzüglich denen schadet, die
des Morgens ausgehen, ohne sich gewaschen zu haben -- eine Meinung, die
an den altjüdischen bösen Geist Schibtha anklingt, der besonders Kindern nach¬
stellt, die sich die Hände nicht gewaschen haben. Den Stall schützt man am
sichersten durch das Zeichen des Drudenfußes, welches über die Thür gemalt
wird. Einige geben dem geschädigten Vieh Dill und Salz ein, Andere wenden
andere Kräuter als Gegenzauber an. In Tirol wird "Verneinten", die "weder
essen noch trinken können, deren Zähne locker sind" u. s. w>, als probates Mit¬
tel Sanct Johanniswein empfohlen. Früher werden auch Amulete in Gebrauch
gewesen sein, und wird man als solche vermuthlich die Johanneshändchen (die
Wurzel des gemeinen Waldfarrn) und die Schlangenköpfchen, jene kleinen Mu¬
scheln, mit welchen die Metzger ihre Gürtel und die Fuhrleute ihr Pferdegeschirr zu
besetzen Pflegen, gebraucht haben. Denn eine Hand war im alten Rom ein
besonders beliebtes Amulet gegen das böse Auge, und die Schlangenköpfchen
wurden in derselben Richtung angewendet.

Wir nehmen dies Letztere um so mehr an, als die erwähnten alten Amulete
gegen den bösen Blick in Italien und im Orient jetzt noch allgemein Geltung haben.
Eine kleine Hand von Korallen, welche den Zeigefinger und den kleinen Finger
ausstreckt (1a mano övrnutg,) ist in Rom und Neapel noch heute Toilettengegen¬
stand, der von den Herren an der Uhrkette und von den Damen an der Broche
gegen den Blick des Mwtorö oder das maloeoniv getragen wird. Unter den jeru¬
salemer Juden bindet man den Kindern, um sie vor dem "Ajin Rah" zu bewah¬
ren, ein goldnes oder silbernes Händchen mit einem Faden an den Kopf. Um
Häuser vor ihm sicher zu stellen, malt man an ihre Vorderwand eine große
schwarze Hand, die, weil sie die fünf Finger streckt, "Chamsa", arabisch Fünf,
genannt wird. Ganz dasselbe thun die Araber in Damaskus und die Mauren
in Tunis und Algier, und ähnlicher Aberglaube herrscht in Griechenland, wo
man dem gefürchteten Auge die ausgespreizte Hand vorhält, um seinen Zauber
zu entkräften. In der Türkei schützt man die Pferde vor dem bösen Blick da¬
durch, daß man das Geschirr derselben mit Schlangenköpfchen benäht, oder
ihnen Koransprüche in Kapseln vor die Brust hängt. Die Kaufleute im Aegyp-
ter-Basar in Konstantinopel wahren sich und ihre Gewölbe vor dem Augen¬
zauber durch Abbildungen eines mystischen Thieres Adana, welches wie die
Sphinx halb Jungfrau halb Löwin ist. Andere hängen in ihren Läden oder
Wohnstuben ein schön geschriebenes und unter Glas und Nahmen gebrachtes
Maschallah auf. In Aegypten sichert man die Kinder vor dem "Naßr" durch
allerlei Amulete, welche man in Kapseln, die meist die Gestalt eines Dreiecks
haben, oben.an ihrem Tarbusch befestigt. Ebenso behängt man das Vieh auf
der Weide, die Kameele auf der Reise, die Pferde beim Ausreiter mit derartigen
Mitteln gegen den in Rede stehenden Zauber. Auch hier kommen die erwähn¬


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daß man die Warnung beachtet, nach welcher er vorzüglich denen schadet, die
des Morgens ausgehen, ohne sich gewaschen zu haben — eine Meinung, die
an den altjüdischen bösen Geist Schibtha anklingt, der besonders Kindern nach¬
stellt, die sich die Hände nicht gewaschen haben. Den Stall schützt man am
sichersten durch das Zeichen des Drudenfußes, welches über die Thür gemalt
wird. Einige geben dem geschädigten Vieh Dill und Salz ein, Andere wenden
andere Kräuter als Gegenzauber an. In Tirol wird „Verneinten", die „weder
essen noch trinken können, deren Zähne locker sind" u. s. w>, als probates Mit¬
tel Sanct Johanniswein empfohlen. Früher werden auch Amulete in Gebrauch
gewesen sein, und wird man als solche vermuthlich die Johanneshändchen (die
Wurzel des gemeinen Waldfarrn) und die Schlangenköpfchen, jene kleinen Mu¬
scheln, mit welchen die Metzger ihre Gürtel und die Fuhrleute ihr Pferdegeschirr zu
besetzen Pflegen, gebraucht haben. Denn eine Hand war im alten Rom ein
besonders beliebtes Amulet gegen das böse Auge, und die Schlangenköpfchen
wurden in derselben Richtung angewendet.

Wir nehmen dies Letztere um so mehr an, als die erwähnten alten Amulete
gegen den bösen Blick in Italien und im Orient jetzt noch allgemein Geltung haben.
Eine kleine Hand von Korallen, welche den Zeigefinger und den kleinen Finger
ausstreckt (1a mano övrnutg,) ist in Rom und Neapel noch heute Toilettengegen¬
stand, der von den Herren an der Uhrkette und von den Damen an der Broche
gegen den Blick des Mwtorö oder das maloeoniv getragen wird. Unter den jeru¬
salemer Juden bindet man den Kindern, um sie vor dem „Ajin Rah" zu bewah¬
ren, ein goldnes oder silbernes Händchen mit einem Faden an den Kopf. Um
Häuser vor ihm sicher zu stellen, malt man an ihre Vorderwand eine große
schwarze Hand, die, weil sie die fünf Finger streckt, „Chamsa", arabisch Fünf,
genannt wird. Ganz dasselbe thun die Araber in Damaskus und die Mauren
in Tunis und Algier, und ähnlicher Aberglaube herrscht in Griechenland, wo
man dem gefürchteten Auge die ausgespreizte Hand vorhält, um seinen Zauber
zu entkräften. In der Türkei schützt man die Pferde vor dem bösen Blick da¬
durch, daß man das Geschirr derselben mit Schlangenköpfchen benäht, oder
ihnen Koransprüche in Kapseln vor die Brust hängt. Die Kaufleute im Aegyp-
ter-Basar in Konstantinopel wahren sich und ihre Gewölbe vor dem Augen¬
zauber durch Abbildungen eines mystischen Thieres Adana, welches wie die
Sphinx halb Jungfrau halb Löwin ist. Andere hängen in ihren Läden oder
Wohnstuben ein schön geschriebenes und unter Glas und Nahmen gebrachtes
Maschallah auf. In Aegypten sichert man die Kinder vor dem „Naßr" durch
allerlei Amulete, welche man in Kapseln, die meist die Gestalt eines Dreiecks
haben, oben.an ihrem Tarbusch befestigt. Ebenso behängt man das Vieh auf
der Weide, die Kameele auf der Reise, die Pferde beim Ausreiter mit derartigen
Mitteln gegen den in Rede stehenden Zauber. Auch hier kommen die erwähn¬


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/445>, abgerufen am 28.07.2024.