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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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werden zu lassen. Der Mann von Erziehung sagt in solchen Fällen nur "Masch¬
allah", d. i. wie Gott will, ein Ausruf, der zwar auch Bewunderung, aber
mehr noch Hingebung an die Fügung Gottes, quietistische Gottgelassenheit, das
Hauptgebot des Islam, ausdrückt. Nimmt der Moslem ein Kind jemandes
auf den Arm, um es zu liebkosen, so wird er nur bei großer Zerstreutheit un¬
terlassen, dabei zu sagen: "Ich suche Zuflucht bei dem Herrn des Tages¬
anbruchs für dich", eine Anspielung auf die 113. Sure des Koran, welche mit
einem Gebet um Schutz gegen Neidische endigt. Vergißt er die Formel, so
wird er sofort von dem Vater mit den Worten "Segne den Propheten" zurecht¬
gewiesen, woraus er mit dem Stoßgebet "O Gott sei unserm Herrn Mohammed
gnädig!" zu antworten hat. Besonders besorgte Eltern aber reißen, wenn
jemand ihr Kind mit Neid zu betrachten scheint, ein Stück vom Kleide des
Kleinen ab, verbrennen es mit Salz, Alaun und Korianderkörnern und bewu¬
ndern dann den bedrohten Liebling damit.

Der eigentliche böse Blick ist hiervon verschieden, aber immerhin verwandt.
Das Anblicken eines bewundernswerthen Gegenstandes schadet, auch wenn das
Auge oder der Mund nur Freude oder Staunen ausdrückt, weil die Gottheit nur
sich selbst hochgehalten wissen will; es schadet noch sicherer, wenn aus dem
Auge des Betreffenden Neid herausschaue, weil Neid immer giftige Wirkung
übt; es schadet aber bei einzelnen Personen auch dann, wenn weder Bewun¬
derung noch Neid in dem Blicke liegt, weil einzelne Menschen von Natur Augen
haben, die unter allen Umständen die Gegenstände, auf welche sie sich richten,
magisch vergiften. Im Alterthum gab es ganze Völkerschaften, welche diese
unheimliche Gabe besaßen. In Deutschland sind es vorzüglich die Juden,
welche bei abergläubigen Landleuten im Verdacht stehen, sie zu haben, weshalb
man (namentlich in Schlesien und auf dem Hunsrück) die Kälber, welche auf¬
gezogen werden sollen, ängstlich vor jedem Judenblick bewahrt. Ferner glaubt
man, daß Menschen, denen die Augenbrauen in der Mitte zusammengewachsen
sind, den bösen Blick besitzen, wie dieselben nach andrer Version "Alpdrücken
gehen", wieder nach anderer einen unnatürlichen Tod zu erwarten haben. So¬
dann gelten stechende und besonders rothe triefende Augen alter Weiber als
ein Anzeichen des bösen Blicks, der bei Menschen und Vieh Krankheit, Abma¬
gerung und Tod bewirkt. Endlich nimmt man hin und wieder an, daß man
sich jene furchtbare Eigenschaft auch durch Unvorsichtigkeit in gewissen Verhält¬
nissen zuziehen könne. Im Lauenburgischen z. B. meint man, daß man leicht
beim Abendmahl das "böse Auge" bekommen kann; denn von dem, welcher beim
Umgang um den Altar sich umsieht, wird künftig alles, was er anblickt, "ver-
schienem".

Hüten kann man sich vor dem bösen Blick selbstverständlich am besten da¬
durch, daß man sich ihm nicht aussetzt, ihn nicht auf sich lenkt. Dann dadurch,


werden zu lassen. Der Mann von Erziehung sagt in solchen Fällen nur „Masch¬
allah", d. i. wie Gott will, ein Ausruf, der zwar auch Bewunderung, aber
mehr noch Hingebung an die Fügung Gottes, quietistische Gottgelassenheit, das
Hauptgebot des Islam, ausdrückt. Nimmt der Moslem ein Kind jemandes
auf den Arm, um es zu liebkosen, so wird er nur bei großer Zerstreutheit un¬
terlassen, dabei zu sagen: „Ich suche Zuflucht bei dem Herrn des Tages¬
anbruchs für dich", eine Anspielung auf die 113. Sure des Koran, welche mit
einem Gebet um Schutz gegen Neidische endigt. Vergißt er die Formel, so
wird er sofort von dem Vater mit den Worten „Segne den Propheten" zurecht¬
gewiesen, woraus er mit dem Stoßgebet „O Gott sei unserm Herrn Mohammed
gnädig!" zu antworten hat. Besonders besorgte Eltern aber reißen, wenn
jemand ihr Kind mit Neid zu betrachten scheint, ein Stück vom Kleide des
Kleinen ab, verbrennen es mit Salz, Alaun und Korianderkörnern und bewu¬
ndern dann den bedrohten Liebling damit.

Der eigentliche böse Blick ist hiervon verschieden, aber immerhin verwandt.
Das Anblicken eines bewundernswerthen Gegenstandes schadet, auch wenn das
Auge oder der Mund nur Freude oder Staunen ausdrückt, weil die Gottheit nur
sich selbst hochgehalten wissen will; es schadet noch sicherer, wenn aus dem
Auge des Betreffenden Neid herausschaue, weil Neid immer giftige Wirkung
übt; es schadet aber bei einzelnen Personen auch dann, wenn weder Bewun¬
derung noch Neid in dem Blicke liegt, weil einzelne Menschen von Natur Augen
haben, die unter allen Umständen die Gegenstände, auf welche sie sich richten,
magisch vergiften. Im Alterthum gab es ganze Völkerschaften, welche diese
unheimliche Gabe besaßen. In Deutschland sind es vorzüglich die Juden,
welche bei abergläubigen Landleuten im Verdacht stehen, sie zu haben, weshalb
man (namentlich in Schlesien und auf dem Hunsrück) die Kälber, welche auf¬
gezogen werden sollen, ängstlich vor jedem Judenblick bewahrt. Ferner glaubt
man, daß Menschen, denen die Augenbrauen in der Mitte zusammengewachsen
sind, den bösen Blick besitzen, wie dieselben nach andrer Version „Alpdrücken
gehen", wieder nach anderer einen unnatürlichen Tod zu erwarten haben. So¬
dann gelten stechende und besonders rothe triefende Augen alter Weiber als
ein Anzeichen des bösen Blicks, der bei Menschen und Vieh Krankheit, Abma¬
gerung und Tod bewirkt. Endlich nimmt man hin und wieder an, daß man
sich jene furchtbare Eigenschaft auch durch Unvorsichtigkeit in gewissen Verhält¬
nissen zuziehen könne. Im Lauenburgischen z. B. meint man, daß man leicht
beim Abendmahl das „böse Auge" bekommen kann; denn von dem, welcher beim
Umgang um den Altar sich umsieht, wird künftig alles, was er anblickt, „ver-
schienem".

Hüten kann man sich vor dem bösen Blick selbstverständlich am besten da¬
durch, daß man sich ihm nicht aussetzt, ihn nicht auf sich lenkt. Dann dadurch,


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[0444] werden zu lassen. Der Mann von Erziehung sagt in solchen Fällen nur „Masch¬ allah", d. i. wie Gott will, ein Ausruf, der zwar auch Bewunderung, aber mehr noch Hingebung an die Fügung Gottes, quietistische Gottgelassenheit, das Hauptgebot des Islam, ausdrückt. Nimmt der Moslem ein Kind jemandes auf den Arm, um es zu liebkosen, so wird er nur bei großer Zerstreutheit un¬ terlassen, dabei zu sagen: „Ich suche Zuflucht bei dem Herrn des Tages¬ anbruchs für dich", eine Anspielung auf die 113. Sure des Koran, welche mit einem Gebet um Schutz gegen Neidische endigt. Vergißt er die Formel, so wird er sofort von dem Vater mit den Worten „Segne den Propheten" zurecht¬ gewiesen, woraus er mit dem Stoßgebet „O Gott sei unserm Herrn Mohammed gnädig!" zu antworten hat. Besonders besorgte Eltern aber reißen, wenn jemand ihr Kind mit Neid zu betrachten scheint, ein Stück vom Kleide des Kleinen ab, verbrennen es mit Salz, Alaun und Korianderkörnern und bewu¬ ndern dann den bedrohten Liebling damit. Der eigentliche böse Blick ist hiervon verschieden, aber immerhin verwandt. Das Anblicken eines bewundernswerthen Gegenstandes schadet, auch wenn das Auge oder der Mund nur Freude oder Staunen ausdrückt, weil die Gottheit nur sich selbst hochgehalten wissen will; es schadet noch sicherer, wenn aus dem Auge des Betreffenden Neid herausschaue, weil Neid immer giftige Wirkung übt; es schadet aber bei einzelnen Personen auch dann, wenn weder Bewun¬ derung noch Neid in dem Blicke liegt, weil einzelne Menschen von Natur Augen haben, die unter allen Umständen die Gegenstände, auf welche sie sich richten, magisch vergiften. Im Alterthum gab es ganze Völkerschaften, welche diese unheimliche Gabe besaßen. In Deutschland sind es vorzüglich die Juden, welche bei abergläubigen Landleuten im Verdacht stehen, sie zu haben, weshalb man (namentlich in Schlesien und auf dem Hunsrück) die Kälber, welche auf¬ gezogen werden sollen, ängstlich vor jedem Judenblick bewahrt. Ferner glaubt man, daß Menschen, denen die Augenbrauen in der Mitte zusammengewachsen sind, den bösen Blick besitzen, wie dieselben nach andrer Version „Alpdrücken gehen", wieder nach anderer einen unnatürlichen Tod zu erwarten haben. So¬ dann gelten stechende und besonders rothe triefende Augen alter Weiber als ein Anzeichen des bösen Blicks, der bei Menschen und Vieh Krankheit, Abma¬ gerung und Tod bewirkt. Endlich nimmt man hin und wieder an, daß man sich jene furchtbare Eigenschaft auch durch Unvorsichtigkeit in gewissen Verhält¬ nissen zuziehen könne. Im Lauenburgischen z. B. meint man, daß man leicht beim Abendmahl das „böse Auge" bekommen kann; denn von dem, welcher beim Umgang um den Altar sich umsieht, wird künftig alles, was er anblickt, „ver- schienem". Hüten kann man sich vor dem bösen Blick selbstverständlich am besten da¬ durch, daß man sich ihm nicht aussetzt, ihn nicht auf sich lenkt. Dann dadurch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/444>, abgerufen am 28.07.2024.