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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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fürstcn abwechselnd das Jahr regieren. In dem Augenblick, wo der eine Fürst
dem andern die Herrschaft übergibt, tritt ein Interregnum ein, in welchem die
Welt ohne Regenten ist und das Herabfallen schädlicher Substanzen vom Himmel
nicht verhütet wird. In diesen gefährlichen Momenten treten die Stammmutter
als hilfreiche Gewalten ein, und das sind Bilha, Rachel, silva und Lea, also
wieder das schützende Eisen.

Diesen Faseleien gegenüber ist hervorzuheben, daß der Blutstropfen der
Tckufah des Sommermonats Tamus, der ursprünglich der einzige gewesen sein
wird, an den phönicischen Frühlingsgott Adonis erinnert, der im Sommer blutig
starb und dessen Fluß im Libanon noch jetzt mit Eintritt der warmen Jahres¬
zeit blutroth gefärbt erscheint. Der Tod des Adonis wurde unter den Juden
ganz ebenso beklagt, wie unter den phönicischen Nachbarn, doch führte er hier
den Namen Tamus, der dann auch auf den ihm geweihten Junimonat über¬
ging. Bei Ezechiel sitzen Frauen "vor dem nördlichen Thor und beweinen den
Tamus". Die schadcnverhütende Kraft des Eisens aber stammt vielleicht aus
der Urzeit, wo dieses Metall noch wenig bekannt war und wo sich an seinen
Vorzug vor dem bis dahin gebrauchten Kupfer Vorstellungen von übernatür¬
lichen Eigenschaften knüpfen konnten.

Der Glaube an die Tekufoth wurzelt übrigens noch jetzt unter den Juden
in Polen so tief, daß viele Rabbiner sie ihren Gemeinden jedesmal feierlich
verkündigen.

Der ägyptische Fellah kennt diesen Aberglauben ebenfalls. Er nennt die
Nacht des 17. Juni "Lejlet En Nut'dech", die Nacht des Tropfens, weil in der¬
selben ein blutiger Tropfen vom Himmel in den Nil fällt, der aber nur diesen,
nicht die von dessen Wässer Trinkenden schwellen macht. Und er weiß eben¬
falls, daß das Eisen eine schützende Kraft gegen unheimliche Mächte besitzt. Er
weiß, daß namentlich die Dschinn, die bösen Geister, vor diesem Metall großen
Respect haben. Sieht er z. B. einen Wirbelwind oder eine Sandhose auf sich
zukommen, so ruft er dem darin sitzenden Dämon " Chadid pa maschum",
Eisen, o Unseliger, zu und glaubt sich gesichert.

Auch der deutsche Bauer scheint, vielleicht durch die Juden, Kenntniß von
geheimnißvollen Gift zu haben, welches zu bestimmter Zeit aus der Luft fällt
Wenigstens läßt sich ein oberpfälzischcr Aberglaube dahin beziehen, nach welchem
man von Michaeli bis Georgi nicht aus einem offnen Brunnen trinken soll,
weil dann Gift vom Himmel hinein thaut und die Kröte nicht darin sitzt, die
zu andern Zeiten dasselbe an sich zieht. Und noch klarer ist unser Landsmann,
obwohl er sicher nichts von den hebräischen Stammmüttern und Himmelsfürsten
gehört hat, sich darüber, daß Eisen ein vortreffliches Präservativmittel gegen
alle möglichen dämonischen Einflüsse ist. Der Wirbelwind heißt in Tirol Hexen,
tanz; denn wo er entsteht, ist eine Hexe in Unruhe, gegen Unwetter aber, welches


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fürstcn abwechselnd das Jahr regieren. In dem Augenblick, wo der eine Fürst
dem andern die Herrschaft übergibt, tritt ein Interregnum ein, in welchem die
Welt ohne Regenten ist und das Herabfallen schädlicher Substanzen vom Himmel
nicht verhütet wird. In diesen gefährlichen Momenten treten die Stammmutter
als hilfreiche Gewalten ein, und das sind Bilha, Rachel, silva und Lea, also
wieder das schützende Eisen.

Diesen Faseleien gegenüber ist hervorzuheben, daß der Blutstropfen der
Tckufah des Sommermonats Tamus, der ursprünglich der einzige gewesen sein
wird, an den phönicischen Frühlingsgott Adonis erinnert, der im Sommer blutig
starb und dessen Fluß im Libanon noch jetzt mit Eintritt der warmen Jahres¬
zeit blutroth gefärbt erscheint. Der Tod des Adonis wurde unter den Juden
ganz ebenso beklagt, wie unter den phönicischen Nachbarn, doch führte er hier
den Namen Tamus, der dann auch auf den ihm geweihten Junimonat über¬
ging. Bei Ezechiel sitzen Frauen „vor dem nördlichen Thor und beweinen den
Tamus". Die schadcnverhütende Kraft des Eisens aber stammt vielleicht aus
der Urzeit, wo dieses Metall noch wenig bekannt war und wo sich an seinen
Vorzug vor dem bis dahin gebrauchten Kupfer Vorstellungen von übernatür¬
lichen Eigenschaften knüpfen konnten.

Der Glaube an die Tekufoth wurzelt übrigens noch jetzt unter den Juden
in Polen so tief, daß viele Rabbiner sie ihren Gemeinden jedesmal feierlich
verkündigen.

Der ägyptische Fellah kennt diesen Aberglauben ebenfalls. Er nennt die
Nacht des 17. Juni „Lejlet En Nut'dech", die Nacht des Tropfens, weil in der¬
selben ein blutiger Tropfen vom Himmel in den Nil fällt, der aber nur diesen,
nicht die von dessen Wässer Trinkenden schwellen macht. Und er weiß eben¬
falls, daß das Eisen eine schützende Kraft gegen unheimliche Mächte besitzt. Er
weiß, daß namentlich die Dschinn, die bösen Geister, vor diesem Metall großen
Respect haben. Sieht er z. B. einen Wirbelwind oder eine Sandhose auf sich
zukommen, so ruft er dem darin sitzenden Dämon „ Chadid pa maschum",
Eisen, o Unseliger, zu und glaubt sich gesichert.

Auch der deutsche Bauer scheint, vielleicht durch die Juden, Kenntniß von
geheimnißvollen Gift zu haben, welches zu bestimmter Zeit aus der Luft fällt
Wenigstens läßt sich ein oberpfälzischcr Aberglaube dahin beziehen, nach welchem
man von Michaeli bis Georgi nicht aus einem offnen Brunnen trinken soll,
weil dann Gift vom Himmel hinein thaut und die Kröte nicht darin sitzt, die
zu andern Zeiten dasselbe an sich zieht. Und noch klarer ist unser Landsmann,
obwohl er sicher nichts von den hebräischen Stammmüttern und Himmelsfürsten
gehört hat, sich darüber, daß Eisen ein vortreffliches Präservativmittel gegen
alle möglichen dämonischen Einflüsse ist. Der Wirbelwind heißt in Tirol Hexen,
tanz; denn wo er entsteht, ist eine Hexe in Unruhe, gegen Unwetter aber, welches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/437>, abgerufen am 28.07.2024.