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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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wunderbar zu melden -- nicht einmal die anmuthige Sitte des Küssens kennt.
Und siehe da, unter ihnen lebt, wie wir sahen, vollkommen deutlich erkennbar
in ihren Grundgedanken die nordische Sage vom Birnamwald, der gegen Dun-
sinan heranrückt!

Auch von Gebräuchen, die sich an Feste knüpfen, von Kinderspielen, Spielen
unter Erwachsenen u. d. in. findet sich im Morgenlande nicht Weniges, was mit
Abendländischem der Art fast ganz übereinstimmt. Die Melchiten in Syrien
feiern am 26. December des Kreuzes Erhöhung. Am Abend vorher klo¬
pfen die Knaben an den Häusern ihres Stadtviertels und rufen: "A' luna
hatab le' it es faud," d. i. gebt uns Holz zum Feste des Kreuzes. Sie
bekommen Geld, kaufen sich dafür Holz, zünden dieses auf den Gassen an und
springen darüber. Am Sylvesterabend ißt man in Damaskus Suppe von
Weizengraupen, trinkt Wein dazu und legt in das Glas ein Geldstück, "da¬
mit der Trinkende das ganze Jahr über Geld haben soll." Am Palmsonntags
vertheilen die dortigen melchitischen Priester an die Laien Olivenzweige, deren
Blätter man, wenn sie trocken geworden sind, zerreibt, da sie für verschiedene
Krankheiten als Arzenei dienen. Unter den Maroniten kocht man zu Ostern
Eier, die grün oder roth gefärbt werden, und die sich die Knaben gegenseitig
abzugewinnen suchen, indem einer mit seinem El auf das des andern schlägt.
Der, dessen El dabei zerbricht, hat es verloren.

Wer die deutschen Volksbräuche kennt, wird wissen, wie viel von den hier ge¬
gebenen Beispielen orientalischer Sitte, denen sich noch zahlreiche andere anreihen
ließen, ihnen entspricht, und wie sehr manche Deutung jener hiermit widerlegt wird.

Daß die Knaben der Bürger von Damaskus wie die Kinder in Berlin
mit Murmeln und Bällen spielen, daß die Straßenkinder in Athen mit dem
Spiel, welches man in Leipzig "die merseburger Brücke", anderswo in Deutsch¬
land "Himmel und Holle", in England "OrAnges auel I,<zmvus" nennt, sehr
wohl vertraut sind, können wir nach eigner Erfahrung bestätigen. Unser Kreisel
ist selbst in Bagdad bekannt. Ebenso bekannt ist nach Petermanns Mittheilungen
unter den Städtebewohnern Syriens unser Spiel mit dem Plumpsack, unser säch¬
sisches "Hölzelversteckens" und jenes Spiel, bei dem man ein Geldstück empor-
wirft, das man, nachdem es wieder, herabgefallen, mit der Hand bedeckt, worauf
die Gegenpartei gefragt wird: "Bild oder Schrift?" Um anderes hierher Passende
zu übergehen, lebt endlich wie in manchen Kreisen des Abendlandes auch unter
den Zechern von Damaskus der w^ihter didsiräi des alten Rom noch. "Man
kommt zusammen und wählt einen Sultan, vor welchem der Raki (Dattelbrannt¬
wein) und ein kleines Glas steht. Er trinkt zuerst drei Gläser und gibt dann
jedem der Reihe nach ein volles Glas. Verlangt einer wieder zu trinken, so
schenkt sich erst der Sultan ein volles Glas ein, trinkt es aus und läßt dann
dem Verlangenden.zuerst, nachher aber auch allen Uebrigen ein Glas zukommen.


Grenzboten III. 18os. 64

wunderbar zu melden — nicht einmal die anmuthige Sitte des Küssens kennt.
Und siehe da, unter ihnen lebt, wie wir sahen, vollkommen deutlich erkennbar
in ihren Grundgedanken die nordische Sage vom Birnamwald, der gegen Dun-
sinan heranrückt!

Auch von Gebräuchen, die sich an Feste knüpfen, von Kinderspielen, Spielen
unter Erwachsenen u. d. in. findet sich im Morgenlande nicht Weniges, was mit
Abendländischem der Art fast ganz übereinstimmt. Die Melchiten in Syrien
feiern am 26. December des Kreuzes Erhöhung. Am Abend vorher klo¬
pfen die Knaben an den Häusern ihres Stadtviertels und rufen: „A' luna
hatab le' it es faud," d. i. gebt uns Holz zum Feste des Kreuzes. Sie
bekommen Geld, kaufen sich dafür Holz, zünden dieses auf den Gassen an und
springen darüber. Am Sylvesterabend ißt man in Damaskus Suppe von
Weizengraupen, trinkt Wein dazu und legt in das Glas ein Geldstück, „da¬
mit der Trinkende das ganze Jahr über Geld haben soll." Am Palmsonntags
vertheilen die dortigen melchitischen Priester an die Laien Olivenzweige, deren
Blätter man, wenn sie trocken geworden sind, zerreibt, da sie für verschiedene
Krankheiten als Arzenei dienen. Unter den Maroniten kocht man zu Ostern
Eier, die grün oder roth gefärbt werden, und die sich die Knaben gegenseitig
abzugewinnen suchen, indem einer mit seinem El auf das des andern schlägt.
Der, dessen El dabei zerbricht, hat es verloren.

Wer die deutschen Volksbräuche kennt, wird wissen, wie viel von den hier ge¬
gebenen Beispielen orientalischer Sitte, denen sich noch zahlreiche andere anreihen
ließen, ihnen entspricht, und wie sehr manche Deutung jener hiermit widerlegt wird.

Daß die Knaben der Bürger von Damaskus wie die Kinder in Berlin
mit Murmeln und Bällen spielen, daß die Straßenkinder in Athen mit dem
Spiel, welches man in Leipzig „die merseburger Brücke", anderswo in Deutsch¬
land „Himmel und Holle", in England „OrAnges auel I,<zmvus" nennt, sehr
wohl vertraut sind, können wir nach eigner Erfahrung bestätigen. Unser Kreisel
ist selbst in Bagdad bekannt. Ebenso bekannt ist nach Petermanns Mittheilungen
unter den Städtebewohnern Syriens unser Spiel mit dem Plumpsack, unser säch¬
sisches „Hölzelversteckens" und jenes Spiel, bei dem man ein Geldstück empor-
wirft, das man, nachdem es wieder, herabgefallen, mit der Hand bedeckt, worauf
die Gegenpartei gefragt wird: „Bild oder Schrift?" Um anderes hierher Passende
zu übergehen, lebt endlich wie in manchen Kreisen des Abendlandes auch unter
den Zechern von Damaskus der w^ihter didsiräi des alten Rom noch. „Man
kommt zusammen und wählt einen Sultan, vor welchem der Raki (Dattelbrannt¬
wein) und ein kleines Glas steht. Er trinkt zuerst drei Gläser und gibt dann
jedem der Reihe nach ein volles Glas. Verlangt einer wieder zu trinken, so
schenkt sich erst der Sultan ein volles Glas ein, trinkt es aus und läßt dann
dem Verlangenden.zuerst, nachher aber auch allen Uebrigen ein Glas zukommen.


Grenzboten III. 18os. 64
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[0435] wunderbar zu melden — nicht einmal die anmuthige Sitte des Küssens kennt. Und siehe da, unter ihnen lebt, wie wir sahen, vollkommen deutlich erkennbar in ihren Grundgedanken die nordische Sage vom Birnamwald, der gegen Dun- sinan heranrückt! Auch von Gebräuchen, die sich an Feste knüpfen, von Kinderspielen, Spielen unter Erwachsenen u. d. in. findet sich im Morgenlande nicht Weniges, was mit Abendländischem der Art fast ganz übereinstimmt. Die Melchiten in Syrien feiern am 26. December des Kreuzes Erhöhung. Am Abend vorher klo¬ pfen die Knaben an den Häusern ihres Stadtviertels und rufen: „A' luna hatab le' it es faud," d. i. gebt uns Holz zum Feste des Kreuzes. Sie bekommen Geld, kaufen sich dafür Holz, zünden dieses auf den Gassen an und springen darüber. Am Sylvesterabend ißt man in Damaskus Suppe von Weizengraupen, trinkt Wein dazu und legt in das Glas ein Geldstück, „da¬ mit der Trinkende das ganze Jahr über Geld haben soll." Am Palmsonntags vertheilen die dortigen melchitischen Priester an die Laien Olivenzweige, deren Blätter man, wenn sie trocken geworden sind, zerreibt, da sie für verschiedene Krankheiten als Arzenei dienen. Unter den Maroniten kocht man zu Ostern Eier, die grün oder roth gefärbt werden, und die sich die Knaben gegenseitig abzugewinnen suchen, indem einer mit seinem El auf das des andern schlägt. Der, dessen El dabei zerbricht, hat es verloren. Wer die deutschen Volksbräuche kennt, wird wissen, wie viel von den hier ge¬ gebenen Beispielen orientalischer Sitte, denen sich noch zahlreiche andere anreihen ließen, ihnen entspricht, und wie sehr manche Deutung jener hiermit widerlegt wird. Daß die Knaben der Bürger von Damaskus wie die Kinder in Berlin mit Murmeln und Bällen spielen, daß die Straßenkinder in Athen mit dem Spiel, welches man in Leipzig „die merseburger Brücke", anderswo in Deutsch¬ land „Himmel und Holle", in England „OrAnges auel I,<zmvus" nennt, sehr wohl vertraut sind, können wir nach eigner Erfahrung bestätigen. Unser Kreisel ist selbst in Bagdad bekannt. Ebenso bekannt ist nach Petermanns Mittheilungen unter den Städtebewohnern Syriens unser Spiel mit dem Plumpsack, unser säch¬ sisches „Hölzelversteckens" und jenes Spiel, bei dem man ein Geldstück empor- wirft, das man, nachdem es wieder, herabgefallen, mit der Hand bedeckt, worauf die Gegenpartei gefragt wird: „Bild oder Schrift?" Um anderes hierher Passende zu übergehen, lebt endlich wie in manchen Kreisen des Abendlandes auch unter den Zechern von Damaskus der w^ihter didsiräi des alten Rom noch. „Man kommt zusammen und wählt einen Sultan, vor welchem der Raki (Dattelbrannt¬ wein) und ein kleines Glas steht. Er trinkt zuerst drei Gläser und gibt dann jedem der Reihe nach ein volles Glas. Verlangt einer wieder zu trinken, so schenkt sich erst der Sultan ein volles Glas ein, trinkt es aus und läßt dann dem Verlangenden.zuerst, nachher aber auch allen Uebrigen ein Glas zukommen. Grenzboten III. 18os. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/435>, abgerufen am 28.07.2024.