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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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dem Christenthum in Griechenland und Rom. Ein volles Jahrtausend hin¬
durch und länger bildete das Kaiserreich von Byzanz die Brücke für diesen
Verkehr. Manches hierher Bezügliche wurde durch den westlichen Siegesgang
des Islam von Neuem nach der pyrenciischm Halbinsel und nach Unteritalien
gebracht, während der östliche aus Indien neuen Stoff zuführte. Manches ge¬
langte hinwiederum durch die Gegenstöße der Kreuzzüge nach Syrien und von
da durch Gefangene weiter in das Innere. Anderes setzten die Türkenkriege
in Osteuropa ab. Nicht wenig auch trugen die Handelsunternehmungen der
Genuesen und Venetianer, die beiden großen Austreibungen der Juden im
Mittelalter, die sie von Spanien und aus Mitteleuropa Verbannten, sehr viel
vermuthlich die Wanderungen der Zigeuner zu diesem Austausch von Mei
nungen und Gebräuchen zwischen Orient und Occident bei. Ja selbst unsre
deutschen Handwerksbursche", die man in nicht geringer Zahl in Syrien und
Aegypten und einzeln sogar in Persien, Mesopotamien und Habesch trifft,
könnten das Eine und das Andere vermittelt haben.

Vieles von solchem importirten Gut wird allmälig sich verflüchtigt haben.
Anderes, dem Geiste des Volkes, welches es aufnahm, verwandter, wurde im
Lauf der Zeit acclimatisirt und nationalisirt, so daß es jetzt kaum noch als Frem¬
des zu erkennen ist. Einiges bewahrte die ausländischen Züge deutlicher.
Noch Anderes endlich scheint auch durch den geschilderten Wechselverkehr nicht
zu erklären und muß so bis auf Weiteres als ein Rest aus der Urzeit an¬
gesehen werden, wo der kaukasische Menschenstamm sich noch nicht in seine
Aeste geschieden hatte, oder als Ueberbleibsel des Glaubens jenes geheimniß-
vollen Volkes, welches vor der Einwanderung der Kaukasier und noch während
derselben, in der Steinzeit, Europa und Westasten bewohnte.

Nicht sehr überrascht sind wir. wenn die Araber von Damaskus sich eine
Geschichte erzählen, in der wir sofort den Gegenstand von Schillers "Bürg-
schaft" erkennen. Die griechische Quelle lag jenen gleich nahe wie uns. Selt¬
sam ferner, aber nicht unerklärlich ist die nahe Verwandtschaft der Anekdoten,
die man im Libanon von den Bewohnern Chelbuns berichtet, mit denen, die
sich in Schöppenstcdt und Bühnen zugetragen haben sollen. Auffallender ist die
von Petermann mitgetheilte mandciische Sage von dem persischen Heros Rustem,
in welcher dessen Vater Sal mit weißen Haaren geboren wird, worauf seine
Eltern annehmen, daß dies nicht ihr rechtes Kind, sondern ein von den Dews
untergeschobener Wechselbalg sei, und ihn auf einen Düngerhaufen werfen las¬
sen, ganz wie unsre Bauern Verfahren, wenn Nixen oder Wichtelmänner ihnen
ihre Neugebornen stehlen und Kielkröpfe dafür hinlegen*). Nicht weniger über-



") Die Wechselbälge sind in Norddeutschland "die alten Leute" der Nixe; rum wirst sie
aus der Wiege, kehrt sie mit einem Besen auf den Mist hinaus und bewirkt dadurch, dos;
die Nixen oder Zwerge das geraubte Kind wiederbringen.

dem Christenthum in Griechenland und Rom. Ein volles Jahrtausend hin¬
durch und länger bildete das Kaiserreich von Byzanz die Brücke für diesen
Verkehr. Manches hierher Bezügliche wurde durch den westlichen Siegesgang
des Islam von Neuem nach der pyrenciischm Halbinsel und nach Unteritalien
gebracht, während der östliche aus Indien neuen Stoff zuführte. Manches ge¬
langte hinwiederum durch die Gegenstöße der Kreuzzüge nach Syrien und von
da durch Gefangene weiter in das Innere. Anderes setzten die Türkenkriege
in Osteuropa ab. Nicht wenig auch trugen die Handelsunternehmungen der
Genuesen und Venetianer, die beiden großen Austreibungen der Juden im
Mittelalter, die sie von Spanien und aus Mitteleuropa Verbannten, sehr viel
vermuthlich die Wanderungen der Zigeuner zu diesem Austausch von Mei
nungen und Gebräuchen zwischen Orient und Occident bei. Ja selbst unsre
deutschen Handwerksbursche», die man in nicht geringer Zahl in Syrien und
Aegypten und einzeln sogar in Persien, Mesopotamien und Habesch trifft,
könnten das Eine und das Andere vermittelt haben.

Vieles von solchem importirten Gut wird allmälig sich verflüchtigt haben.
Anderes, dem Geiste des Volkes, welches es aufnahm, verwandter, wurde im
Lauf der Zeit acclimatisirt und nationalisirt, so daß es jetzt kaum noch als Frem¬
des zu erkennen ist. Einiges bewahrte die ausländischen Züge deutlicher.
Noch Anderes endlich scheint auch durch den geschilderten Wechselverkehr nicht
zu erklären und muß so bis auf Weiteres als ein Rest aus der Urzeit an¬
gesehen werden, wo der kaukasische Menschenstamm sich noch nicht in seine
Aeste geschieden hatte, oder als Ueberbleibsel des Glaubens jenes geheimniß-
vollen Volkes, welches vor der Einwanderung der Kaukasier und noch während
derselben, in der Steinzeit, Europa und Westasten bewohnte.

Nicht sehr überrascht sind wir. wenn die Araber von Damaskus sich eine
Geschichte erzählen, in der wir sofort den Gegenstand von Schillers „Bürg-
schaft" erkennen. Die griechische Quelle lag jenen gleich nahe wie uns. Selt¬
sam ferner, aber nicht unerklärlich ist die nahe Verwandtschaft der Anekdoten,
die man im Libanon von den Bewohnern Chelbuns berichtet, mit denen, die
sich in Schöppenstcdt und Bühnen zugetragen haben sollen. Auffallender ist die
von Petermann mitgetheilte mandciische Sage von dem persischen Heros Rustem,
in welcher dessen Vater Sal mit weißen Haaren geboren wird, worauf seine
Eltern annehmen, daß dies nicht ihr rechtes Kind, sondern ein von den Dews
untergeschobener Wechselbalg sei, und ihn auf einen Düngerhaufen werfen las¬
sen, ganz wie unsre Bauern Verfahren, wenn Nixen oder Wichtelmänner ihnen
ihre Neugebornen stehlen und Kielkröpfe dafür hinlegen*). Nicht weniger über-



") Die Wechselbälge sind in Norddeutschland „die alten Leute" der Nixe; rum wirst sie
aus der Wiege, kehrt sie mit einem Besen auf den Mist hinaus und bewirkt dadurch, dos;
die Nixen oder Zwerge das geraubte Kind wiederbringen.
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[0433] dem Christenthum in Griechenland und Rom. Ein volles Jahrtausend hin¬ durch und länger bildete das Kaiserreich von Byzanz die Brücke für diesen Verkehr. Manches hierher Bezügliche wurde durch den westlichen Siegesgang des Islam von Neuem nach der pyrenciischm Halbinsel und nach Unteritalien gebracht, während der östliche aus Indien neuen Stoff zuführte. Manches ge¬ langte hinwiederum durch die Gegenstöße der Kreuzzüge nach Syrien und von da durch Gefangene weiter in das Innere. Anderes setzten die Türkenkriege in Osteuropa ab. Nicht wenig auch trugen die Handelsunternehmungen der Genuesen und Venetianer, die beiden großen Austreibungen der Juden im Mittelalter, die sie von Spanien und aus Mitteleuropa Verbannten, sehr viel vermuthlich die Wanderungen der Zigeuner zu diesem Austausch von Mei nungen und Gebräuchen zwischen Orient und Occident bei. Ja selbst unsre deutschen Handwerksbursche», die man in nicht geringer Zahl in Syrien und Aegypten und einzeln sogar in Persien, Mesopotamien und Habesch trifft, könnten das Eine und das Andere vermittelt haben. Vieles von solchem importirten Gut wird allmälig sich verflüchtigt haben. Anderes, dem Geiste des Volkes, welches es aufnahm, verwandter, wurde im Lauf der Zeit acclimatisirt und nationalisirt, so daß es jetzt kaum noch als Frem¬ des zu erkennen ist. Einiges bewahrte die ausländischen Züge deutlicher. Noch Anderes endlich scheint auch durch den geschilderten Wechselverkehr nicht zu erklären und muß so bis auf Weiteres als ein Rest aus der Urzeit an¬ gesehen werden, wo der kaukasische Menschenstamm sich noch nicht in seine Aeste geschieden hatte, oder als Ueberbleibsel des Glaubens jenes geheimniß- vollen Volkes, welches vor der Einwanderung der Kaukasier und noch während derselben, in der Steinzeit, Europa und Westasten bewohnte. Nicht sehr überrascht sind wir. wenn die Araber von Damaskus sich eine Geschichte erzählen, in der wir sofort den Gegenstand von Schillers „Bürg- schaft" erkennen. Die griechische Quelle lag jenen gleich nahe wie uns. Selt¬ sam ferner, aber nicht unerklärlich ist die nahe Verwandtschaft der Anekdoten, die man im Libanon von den Bewohnern Chelbuns berichtet, mit denen, die sich in Schöppenstcdt und Bühnen zugetragen haben sollen. Auffallender ist die von Petermann mitgetheilte mandciische Sage von dem persischen Heros Rustem, in welcher dessen Vater Sal mit weißen Haaren geboren wird, worauf seine Eltern annehmen, daß dies nicht ihr rechtes Kind, sondern ein von den Dews untergeschobener Wechselbalg sei, und ihn auf einen Düngerhaufen werfen las¬ sen, ganz wie unsre Bauern Verfahren, wenn Nixen oder Wichtelmänner ihnen ihre Neugebornen stehlen und Kielkröpfe dafür hinlegen*). Nicht weniger über- ") Die Wechselbälge sind in Norddeutschland „die alten Leute" der Nixe; rum wirst sie aus der Wiege, kehrt sie mit einem Besen auf den Mist hinaus und bewirkt dadurch, dos; die Nixen oder Zwerge das geraubte Kind wiederbringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/433>, abgerufen am 28.07.2024.