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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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unerfahren und unwissend, ihre Stellung bietet ihnen keine Vortheile und wird
von ihnen gewöhnlich nur als Hinderniß ihrer Beurlaubung betrachtet, sie
genießen bei der Mannschaft kein Ansehn oder machen auch wohl mit derselben
gemeinsame Sache gegen ihre obern Befehlshaber, und endlich wirkt der geringe
Grad des Vertrauens, welches ihre Vorgesetzten ihnen "zeigen, sehr nachtheilig
aus ihre Thätigkeit und die Entwicklung ihres Selbstgefühls ein. Die Mann¬
schaft endlich, mangelhaft ausgebildet, ungenügend verpflegt, durch die übertrie¬
benen Dienstanforderungen erschöpft, hier und da wieder aus der entgegen¬
gesetzten Ursache -- nämlich durch den andauernden Mangel an Beschäftigung --
erschlafft und unausgesetzt den Zeitpunkt ihrer Beurlaubung herbeiwünschend,
bildet ein noch unerquicklicheres Bild.

Die scharf ausgeprägten Eigenheiten, in welchen sich die verschiedenen
Nationalitäten und Provinzen angehörenden Regimenter kennbar machten, wur¬
den zwar zum größeren Theil verwischt und die gesammten Fußtruppen er¬
hielten ein gleichartigeres Aussehen, aber es schwanden auch die meisten Vor¬
züge dahin, welche den Contingentcn einiger Provinzen eine in specieller Hin¬
sicht oft unvergleichliche Brauchbarkeit verliehen hatten und, von einem geschickten
Feldherrn zur rechten Zeit und am rechten Orte benutzt, zu den herrlichsten
Erfolgen führen mußten.

Aber der bedeutendste Uebelstand ist der, daß Oestreich gegenwärtig keine
Landwehr oder ein Institut ähnlicher Art besitzt, wodurch im Kriegsfalle das
Heer um eine namhafte Anzahl geübter und verläßlicher Krieger verstärkt wer¬
den kann. Denn die noch bestehende Reserve verdient kaum diese Benennung
und vermag höchstens die in dem stehenden Heere offenen Lücken zu ergänzen.
Ist der gegenwärtige Kriegsstand also ungenügend, und dieses wird in jedem
größeren Kriege der Fall sein, so kann die Vermehrung des Heeres nur durch
Errichtung neuer Bataillone bewirkt werden, und für diese stehen dann nur
Rekruten und die bei den Feldtruppen als entbehrlich und minder tauglich aus¬
gemusterten Chargirten zur Verfügung.

In blinder Furcht vor Allem, was Nationalgarde oder Volkswehr heißt,
hat man sogar die ehedem in den meisten Städten der deutsch-östreichischen
Provinzen bestandenen Bürgergarden und Schützencompagnien aufgelöst oder
wenigstens zu einem armseligen Spielwerk zusammenschrumpfen lassen. Diese
Corporationen waren der Negierung gewiß nicht gefährlich und traten den Be¬
strebungen der demokratischen Partei an vielen Orten mit Energie entgegen,
wie auch selbst im Jahre 1848 in Wien die Bürgergarden den Nationalgarten
sehr schroff gegenüberstanden und während der Octoberrevolution ziemlich thätig
waren, noch weitere Ausschreitungen des Pöbels zu verhindern. Trotz ihre"r
geringen militärischen Ausbildung konnten sie doch ganz gut dazu verwendet
werden, im Kriegsfalle den in ihrer Stadt bisher von den Truppen geleisteten


unerfahren und unwissend, ihre Stellung bietet ihnen keine Vortheile und wird
von ihnen gewöhnlich nur als Hinderniß ihrer Beurlaubung betrachtet, sie
genießen bei der Mannschaft kein Ansehn oder machen auch wohl mit derselben
gemeinsame Sache gegen ihre obern Befehlshaber, und endlich wirkt der geringe
Grad des Vertrauens, welches ihre Vorgesetzten ihnen »zeigen, sehr nachtheilig
aus ihre Thätigkeit und die Entwicklung ihres Selbstgefühls ein. Die Mann¬
schaft endlich, mangelhaft ausgebildet, ungenügend verpflegt, durch die übertrie¬
benen Dienstanforderungen erschöpft, hier und da wieder aus der entgegen¬
gesetzten Ursache — nämlich durch den andauernden Mangel an Beschäftigung —
erschlafft und unausgesetzt den Zeitpunkt ihrer Beurlaubung herbeiwünschend,
bildet ein noch unerquicklicheres Bild.

Die scharf ausgeprägten Eigenheiten, in welchen sich die verschiedenen
Nationalitäten und Provinzen angehörenden Regimenter kennbar machten, wur¬
den zwar zum größeren Theil verwischt und die gesammten Fußtruppen er¬
hielten ein gleichartigeres Aussehen, aber es schwanden auch die meisten Vor¬
züge dahin, welche den Contingentcn einiger Provinzen eine in specieller Hin¬
sicht oft unvergleichliche Brauchbarkeit verliehen hatten und, von einem geschickten
Feldherrn zur rechten Zeit und am rechten Orte benutzt, zu den herrlichsten
Erfolgen führen mußten.

Aber der bedeutendste Uebelstand ist der, daß Oestreich gegenwärtig keine
Landwehr oder ein Institut ähnlicher Art besitzt, wodurch im Kriegsfalle das
Heer um eine namhafte Anzahl geübter und verläßlicher Krieger verstärkt wer¬
den kann. Denn die noch bestehende Reserve verdient kaum diese Benennung
und vermag höchstens die in dem stehenden Heere offenen Lücken zu ergänzen.
Ist der gegenwärtige Kriegsstand also ungenügend, und dieses wird in jedem
größeren Kriege der Fall sein, so kann die Vermehrung des Heeres nur durch
Errichtung neuer Bataillone bewirkt werden, und für diese stehen dann nur
Rekruten und die bei den Feldtruppen als entbehrlich und minder tauglich aus¬
gemusterten Chargirten zur Verfügung.

In blinder Furcht vor Allem, was Nationalgarde oder Volkswehr heißt,
hat man sogar die ehedem in den meisten Städten der deutsch-östreichischen
Provinzen bestandenen Bürgergarden und Schützencompagnien aufgelöst oder
wenigstens zu einem armseligen Spielwerk zusammenschrumpfen lassen. Diese
Corporationen waren der Negierung gewiß nicht gefährlich und traten den Be¬
strebungen der demokratischen Partei an vielen Orten mit Energie entgegen,
wie auch selbst im Jahre 1848 in Wien die Bürgergarden den Nationalgarten
sehr schroff gegenüberstanden und während der Octoberrevolution ziemlich thätig
waren, noch weitere Ausschreitungen des Pöbels zu verhindern. Trotz ihre"r
geringen militärischen Ausbildung konnten sie doch ganz gut dazu verwendet
werden, im Kriegsfalle den in ihrer Stadt bisher von den Truppen geleisteten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/428>, abgerufen am 28.07.2024.