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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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fanatische Volksführer dem kühlen, mehr auf das Familieninteresse als auf das
öffentliche Wohl bedachten Patriciat gegenüber, waren gewissermaßen die Jo^v
olmreli neben dem Hochkirchenthum. Orthodox wollten beide Parteien
sein. Die Sadducäer waren allerdings lau gegen das Eindringen fremder
Elemente, keineswegs aber hellenisirte Freigeister. Palästinensische Schriftgelehrte
belegten, wie wir aus dem Talmud wissen, "den, welcher Schweine züchtete, und
den, welcher seinem Sohne die griechische Wissenschaft lehrte," mit demselben
Fluche. Ein Rabbi, gefragt, welches die passendste Zeit sei, die Kinder in die
hellenische Weisheit einzuweihen, antwortete: "Die Stunde, welche weder Tag
noch Nacht ist; denn im Gesetz steht geschrieben: Du sollst es Tag und Nacht
studiren." Sicher gehörten weder jene Schriftgelehrten noch dieser Rabbi zu den
Sadducäern. Aber wenn diese nicht gegen das Griechenthum und seine Freunde
eiferte", so war-der Grund davon nur Gleichgiltigkeit gegen dieses, nicht Gleich-
giltigkeit gegen das Gesetz und die nationale Sitte. Im Gegentheil, sie küm¬
merten sich um die kleinsten rituellen Fragen mit starkem Interesse und legten
Werth darauf, sie besser zu verstehen als die Pharisäer. Der Unterschied zwischen
ihnen und den letzteren liegt lediglich darin, daß sie die alte Scheidung der
Stände, die Bevorzugung gewisser Familien und andrerseits die Satzungen der
alten heiligen Literatur unverändert festhalten, während ihre Gegner,, aufgeregt
von messianischen Hoffnungen und demokratischen Lehren, vorwärts drängen
und neue Zustände zu schaffen bestrebt sind.

Die Sadducäer hielten vor Allein auf die bestehenden priesterlichen Ein¬
richtungen. Das Volk außerhalb des Tempeladels zählte ihnen nur insoweit,
als ihre Vorrechte in ihm eine Basis hatten; dessen Gleichberechtigung mit dem
Priesterstand war ihnen ein Greuel. Sie waren der damaligen Weltbildung
nicht fremd. Allein sie beharrten in der bürgerlichen und religiösen Verwaltung
beim Herkommen, wollten keine Weiterentwickelung und am wenigsten eine Er¬
hebung der Masse zur Mitbetheiligung an allen religiösen Gütern.

Der Grundgedanke der Pharisäer dagegen war: Gott habe Allen das Erbe,
das Königreich, das Priesterthum und die Heiligung gegeben. Sie erstrebten
Gleichstellung des gesammten Volkes mit den Priestern, soweit das Gesetz Mosis
keinen Unterschied festgesetzt hatte*). Sie bestritten jenen nicht blos die Berech¬
tigung zur weltlichen Herrschaft, welche sie vielmehr einzig dem Geschlechte
Davids zuerkannten, und deren Wiederherstellung sie von einem Sprößling die¬
ses Geschlechts, dem Messias, erhofften, sondern suchten auch die religiöse Be-



') Hierher gehört unter Anderm vorzüglich, daß Hillcl von Babylon, der Schüler Schc-
majahs und Abtalions, die Gleichstellung eines Privat- oder Laicnovfcrs, des Passah, mit
den Tcmvclopfern gegen den Einspruch der Priesterpartei durchsetzte -- ein ganz entschiedener
und bedeutsamer Sieg der Ansicht, welcher das ganze Volk heilig war, über die Exclusivität
der priesterlichen Aristokratie.

fanatische Volksführer dem kühlen, mehr auf das Familieninteresse als auf das
öffentliche Wohl bedachten Patriciat gegenüber, waren gewissermaßen die Jo^v
olmreli neben dem Hochkirchenthum. Orthodox wollten beide Parteien
sein. Die Sadducäer waren allerdings lau gegen das Eindringen fremder
Elemente, keineswegs aber hellenisirte Freigeister. Palästinensische Schriftgelehrte
belegten, wie wir aus dem Talmud wissen, „den, welcher Schweine züchtete, und
den, welcher seinem Sohne die griechische Wissenschaft lehrte," mit demselben
Fluche. Ein Rabbi, gefragt, welches die passendste Zeit sei, die Kinder in die
hellenische Weisheit einzuweihen, antwortete: „Die Stunde, welche weder Tag
noch Nacht ist; denn im Gesetz steht geschrieben: Du sollst es Tag und Nacht
studiren." Sicher gehörten weder jene Schriftgelehrten noch dieser Rabbi zu den
Sadducäern. Aber wenn diese nicht gegen das Griechenthum und seine Freunde
eiferte», so war-der Grund davon nur Gleichgiltigkeit gegen dieses, nicht Gleich-
giltigkeit gegen das Gesetz und die nationale Sitte. Im Gegentheil, sie küm¬
merten sich um die kleinsten rituellen Fragen mit starkem Interesse und legten
Werth darauf, sie besser zu verstehen als die Pharisäer. Der Unterschied zwischen
ihnen und den letzteren liegt lediglich darin, daß sie die alte Scheidung der
Stände, die Bevorzugung gewisser Familien und andrerseits die Satzungen der
alten heiligen Literatur unverändert festhalten, während ihre Gegner,, aufgeregt
von messianischen Hoffnungen und demokratischen Lehren, vorwärts drängen
und neue Zustände zu schaffen bestrebt sind.

Die Sadducäer hielten vor Allein auf die bestehenden priesterlichen Ein¬
richtungen. Das Volk außerhalb des Tempeladels zählte ihnen nur insoweit,
als ihre Vorrechte in ihm eine Basis hatten; dessen Gleichberechtigung mit dem
Priesterstand war ihnen ein Greuel. Sie waren der damaligen Weltbildung
nicht fremd. Allein sie beharrten in der bürgerlichen und religiösen Verwaltung
beim Herkommen, wollten keine Weiterentwickelung und am wenigsten eine Er¬
hebung der Masse zur Mitbetheiligung an allen religiösen Gütern.

Der Grundgedanke der Pharisäer dagegen war: Gott habe Allen das Erbe,
das Königreich, das Priesterthum und die Heiligung gegeben. Sie erstrebten
Gleichstellung des gesammten Volkes mit den Priestern, soweit das Gesetz Mosis
keinen Unterschied festgesetzt hatte*). Sie bestritten jenen nicht blos die Berech¬
tigung zur weltlichen Herrschaft, welche sie vielmehr einzig dem Geschlechte
Davids zuerkannten, und deren Wiederherstellung sie von einem Sprößling die¬
ses Geschlechts, dem Messias, erhofften, sondern suchten auch die religiöse Be-



') Hierher gehört unter Anderm vorzüglich, daß Hillcl von Babylon, der Schüler Schc-
majahs und Abtalions, die Gleichstellung eines Privat- oder Laicnovfcrs, des Passah, mit
den Tcmvclopfern gegen den Einspruch der Priesterpartei durchsetzte — ein ganz entschiedener
und bedeutsamer Sieg der Ansicht, welcher das ganze Volk heilig war, über die Exclusivität
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/418>, abgerufen am 28.07.2024.