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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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stärksten sich entwickeln und am deutlichsten hervortreten, und die die Frömmsten
sein wollten'und Lehrer aller der größten Gerechtigkeit, mußten die wahre Re¬
ligion am meisten verfinstern und hemmen, ähnlich wie sich dies unter uns
mit den Jesuiten wiederholt."

Herr Ewald wird nach dem Mitgetheilten gestatten, daß wir seine Meinung
zu treffen glauben, wenn wir die Pharisäer einfach für das halten, was sie im
Volksmunde sind, für eine Sekte wohlgeschulter Heuchler, welche das Fromm¬
thun geschäftsmäßig betreiben, um damit dem Volke zu imponiren und es so
ihrer Selbstsucht und Herrschbegicr dienstbar zu machen, dann für Vertheidiger
des Herkommens, die indeß, wenn es damit nicht recht geht, bereit sind, einen
Pflock zurückzustecken. Vielleicht dürfen wir auch seiner Beistimmung sicher, sein,
wenn wir weiter gehen und seine Ansicht durch die eines katholischen Collegen
ergänzen. Scheinheilige Frömmler sucht man vorzüglich unter Priestern, die
Priester aber waren der Adel unter den Juden. Also waren die Pharisäer vor¬
nehme Heuchler, oder wie Döllinger sich ausdrückt, "die Vornehmen und Ge¬
bildeten, die Aristokratie des jüdischen Geblüts" und, da die Aristokratie conser-
vativ zu sein pflegt, starre Freunde des Herkommens auch auf politischem Ge¬
biet, mit einem Worte: Stahl und die Neue Preußische im alten Jeruschalajim.

Vergleichen wir damit, was Geiger aus den älteren talmudischen Ueber¬
lieferungen gewonnen hat, so stellt sich die Sache beinahe durchgehends anders,
und sowohl die Sadducäer als die Pharisäer gewinnen eine fast vollständig
von ihrem bisher festgehaltenen Bilde verschiedene Physiognomie. Im Fol¬
genden geben wir in der Kürze das, was wir uns von seiner Meinung an¬
eignen können. Die Beweise möge man in den angeführten Schriften selbst
nachlesen.

Die Pharisäer sind nicht die conssrvative, noch weniger die vornehme
Partei, auch nicht mit den Jesuiten zu vergleichen, sondern die Partei des Volkes
und des Fortschritts. Die Sadducäer andrerseits vertreten nicht die Aufklärung,
die Freiheit und die Anbequemung an das Griechenthum, sie haben auch nichts
mit den Epicuräern gemein; sie repräsentiren vielmehr die conservative Ari¬
stokratie.

Die Sadducäer reichen in ihren Anfängen bis über das Exil zurück. Sie
entstanden aus dem Anschluß der jüdischen Adelsgeschlechter an die altberühmte
Priesterfamilie der Söhne Zadoks, der sich in den letzten Jahrzehnten des Ver¬
falls der königlichen Macht überhaupt die nationalen Sympathien zuwendeten,
und aus der meist auch die Hohenpriester genommen wurden. Die Pharisäer
gingen nach dem Exil aus dem niedern Volke hervor, indem sie sich mit Aengst-
lichkeit von den nicht mit Eifer an der nationalen Ueberlieferung Festhalten¬
den absonderten (daher der Name Pcruschim ---- Abgesonderte) und zunächst vor¬
züglich gegen die einreißenden Mischehen kämpften. Sie standen als strenge


stärksten sich entwickeln und am deutlichsten hervortreten, und die die Frömmsten
sein wollten'und Lehrer aller der größten Gerechtigkeit, mußten die wahre Re¬
ligion am meisten verfinstern und hemmen, ähnlich wie sich dies unter uns
mit den Jesuiten wiederholt."

Herr Ewald wird nach dem Mitgetheilten gestatten, daß wir seine Meinung
zu treffen glauben, wenn wir die Pharisäer einfach für das halten, was sie im
Volksmunde sind, für eine Sekte wohlgeschulter Heuchler, welche das Fromm¬
thun geschäftsmäßig betreiben, um damit dem Volke zu imponiren und es so
ihrer Selbstsucht und Herrschbegicr dienstbar zu machen, dann für Vertheidiger
des Herkommens, die indeß, wenn es damit nicht recht geht, bereit sind, einen
Pflock zurückzustecken. Vielleicht dürfen wir auch seiner Beistimmung sicher, sein,
wenn wir weiter gehen und seine Ansicht durch die eines katholischen Collegen
ergänzen. Scheinheilige Frömmler sucht man vorzüglich unter Priestern, die
Priester aber waren der Adel unter den Juden. Also waren die Pharisäer vor¬
nehme Heuchler, oder wie Döllinger sich ausdrückt, „die Vornehmen und Ge¬
bildeten, die Aristokratie des jüdischen Geblüts" und, da die Aristokratie conser-
vativ zu sein pflegt, starre Freunde des Herkommens auch auf politischem Ge¬
biet, mit einem Worte: Stahl und die Neue Preußische im alten Jeruschalajim.

Vergleichen wir damit, was Geiger aus den älteren talmudischen Ueber¬
lieferungen gewonnen hat, so stellt sich die Sache beinahe durchgehends anders,
und sowohl die Sadducäer als die Pharisäer gewinnen eine fast vollständig
von ihrem bisher festgehaltenen Bilde verschiedene Physiognomie. Im Fol¬
genden geben wir in der Kürze das, was wir uns von seiner Meinung an¬
eignen können. Die Beweise möge man in den angeführten Schriften selbst
nachlesen.

Die Pharisäer sind nicht die conssrvative, noch weniger die vornehme
Partei, auch nicht mit den Jesuiten zu vergleichen, sondern die Partei des Volkes
und des Fortschritts. Die Sadducäer andrerseits vertreten nicht die Aufklärung,
die Freiheit und die Anbequemung an das Griechenthum, sie haben auch nichts
mit den Epicuräern gemein; sie repräsentiren vielmehr die conservative Ari¬
stokratie.

Die Sadducäer reichen in ihren Anfängen bis über das Exil zurück. Sie
entstanden aus dem Anschluß der jüdischen Adelsgeschlechter an die altberühmte
Priesterfamilie der Söhne Zadoks, der sich in den letzten Jahrzehnten des Ver¬
falls der königlichen Macht überhaupt die nationalen Sympathien zuwendeten,
und aus der meist auch die Hohenpriester genommen wurden. Die Pharisäer
gingen nach dem Exil aus dem niedern Volke hervor, indem sie sich mit Aengst-
lichkeit von den nicht mit Eifer an der nationalen Ueberlieferung Festhalten¬
den absonderten (daher der Name Pcruschim ---- Abgesonderte) und zunächst vor¬
züglich gegen die einreißenden Mischehen kämpften. Sie standen als strenge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/417>, abgerufen am 23.12.2024.