Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mehrt. Die Garnisonsbataillone wurden gänzlich aufgelöst und erst in späterer
Zeit mehre Disciplinarcompagnien errichtet, in welche die unverbesserlichsten
Subjecte der ganzen Armee eingetheilt werden sollten.

Die Hauptsache aber war die Aenderung der Dienstzeit der Soldaten. Die
Dienstzeit bei der Linie blieb zwar wie bisher auf acht Jahre festgesetzt, dagegen
wurde die Landwehrverpflichtung gänzlich aufgehoben und an deren Stelle
eine zweijährige Neservedienstzeit eingeführt. Sobald der Soldat seine acht¬
jährige Dienstzeit beendet hatte, wurde er zur Reserve versetzt und beurlaubt,
konnte aber auch diese zwei Jahre bei der Linie addieren. Jene, welche eine
zweite Kapitulation annahmen, wurden von dem Reservedienst befreit.

Aus diesen Reservemännern wurden die Depots aufgestellt, der dann noch
überbleibende Rest (?) wurde bei der activen Truppe eingetheilt.

Das war denn eine Organisation, die auf dem Papier ganz gut aussah
und Alles recht symmetrisch zusammengeleimt hatte, in der Wirklichkeit aber
die heillosesten Folgen nach sich ziehen mußte.

Die Reserve betrug höchstens den fünften Theil der Linientruppen und
verdiente also gar nicht ihren Namen, sondern höchstens den eines Ersatzcon-
tingents. Bei der Versetzung auf den Kriegsstand mußte jedes Regiment --
abgesehen von der Ergänzung der bereits bestehenden -- noch acht neue Com¬
pagnien errichten. Die Hälfte der letztern mußte also aus Rekruten bestehen.
Auch war es ein Fehler, daß man die Reservemänner dem Depot, einer nur
zur Abrichtung der Rekruten bestimmten Truppe, zuwies, statt dieselben in die
Feldtruppe einzureihen und so die junge Mannschaft der letzteren durch die
Beimengung älterer Soldaten zu kräftigen.

Der Gedanke, die Grenadiere in eine Elitetruppe im eigentlichen Sinne
des Wortes umzuwandeln, war gut; aber man konnte, um dieses Ziel zu er¬
reichen, kaum einen verfehlteren Weg einschlagen. Die Zahl der Grenadiere
war gegen jene der Füsiliere zu groß. Die Gendarmerie, die Polizei, die Garden
und Sanitätstruppen hatten der Infanterie bereits so viele gute Kräfte ent¬
zogen, daß die Obersten, wofern sie den Füsilieren nicht alles Taugliche nehmen
wollten, ihre Grenadiere eben nur aus mittelmäßigen Leuten zusammensetzen
konnten. Weiter wurden die Grenadiere erst beim Ausbruch des Kriegs aus
dem gewohnten Verband herausgerissen und in ein neues Bataillon formirt,
dessen Leitung häusig einem erst ernannten Stabsoffizier, welcher vielleicht weder
das Regiment noch die Regimentssprache kannte, übertragen wurde. Unter so
ungünstigen Verhältnissen konnte natürlich auch nichts Besonderes erwartet
werden.

War eine weitere Vermehrung der Streitkräfte erforderlich, wie solches
1839 durch die Errichtung der fünften Feldbatailtone und vieler Freibataillone
geschah, so konnten diese Truppenkörper fast nur durch ganz unausgebildete


mehrt. Die Garnisonsbataillone wurden gänzlich aufgelöst und erst in späterer
Zeit mehre Disciplinarcompagnien errichtet, in welche die unverbesserlichsten
Subjecte der ganzen Armee eingetheilt werden sollten.

Die Hauptsache aber war die Aenderung der Dienstzeit der Soldaten. Die
Dienstzeit bei der Linie blieb zwar wie bisher auf acht Jahre festgesetzt, dagegen
wurde die Landwehrverpflichtung gänzlich aufgehoben und an deren Stelle
eine zweijährige Neservedienstzeit eingeführt. Sobald der Soldat seine acht¬
jährige Dienstzeit beendet hatte, wurde er zur Reserve versetzt und beurlaubt,
konnte aber auch diese zwei Jahre bei der Linie addieren. Jene, welche eine
zweite Kapitulation annahmen, wurden von dem Reservedienst befreit.

Aus diesen Reservemännern wurden die Depots aufgestellt, der dann noch
überbleibende Rest (?) wurde bei der activen Truppe eingetheilt.

Das war denn eine Organisation, die auf dem Papier ganz gut aussah
und Alles recht symmetrisch zusammengeleimt hatte, in der Wirklichkeit aber
die heillosesten Folgen nach sich ziehen mußte.

Die Reserve betrug höchstens den fünften Theil der Linientruppen und
verdiente also gar nicht ihren Namen, sondern höchstens den eines Ersatzcon-
tingents. Bei der Versetzung auf den Kriegsstand mußte jedes Regiment —
abgesehen von der Ergänzung der bereits bestehenden — noch acht neue Com¬
pagnien errichten. Die Hälfte der letztern mußte also aus Rekruten bestehen.
Auch war es ein Fehler, daß man die Reservemänner dem Depot, einer nur
zur Abrichtung der Rekruten bestimmten Truppe, zuwies, statt dieselben in die
Feldtruppe einzureihen und so die junge Mannschaft der letzteren durch die
Beimengung älterer Soldaten zu kräftigen.

Der Gedanke, die Grenadiere in eine Elitetruppe im eigentlichen Sinne
des Wortes umzuwandeln, war gut; aber man konnte, um dieses Ziel zu er¬
reichen, kaum einen verfehlteren Weg einschlagen. Die Zahl der Grenadiere
war gegen jene der Füsiliere zu groß. Die Gendarmerie, die Polizei, die Garden
und Sanitätstruppen hatten der Infanterie bereits so viele gute Kräfte ent¬
zogen, daß die Obersten, wofern sie den Füsilieren nicht alles Taugliche nehmen
wollten, ihre Grenadiere eben nur aus mittelmäßigen Leuten zusammensetzen
konnten. Weiter wurden die Grenadiere erst beim Ausbruch des Kriegs aus
dem gewohnten Verband herausgerissen und in ein neues Bataillon formirt,
dessen Leitung häusig einem erst ernannten Stabsoffizier, welcher vielleicht weder
das Regiment noch die Regimentssprache kannte, übertragen wurde. Unter so
ungünstigen Verhältnissen konnte natürlich auch nichts Besonderes erwartet
werden.

War eine weitere Vermehrung der Streitkräfte erforderlich, wie solches
1839 durch die Errichtung der fünften Feldbatailtone und vieler Freibataillone
geschah, so konnten diese Truppenkörper fast nur durch ganz unausgebildete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115792"/>
            <p xml:id="ID_1133" prev="#ID_1132"> mehrt. Die Garnisonsbataillone wurden gänzlich aufgelöst und erst in späterer<lb/>
Zeit mehre Disciplinarcompagnien errichtet, in welche die unverbesserlichsten<lb/>
Subjecte der ganzen Armee eingetheilt werden sollten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1134"> Die Hauptsache aber war die Aenderung der Dienstzeit der Soldaten. Die<lb/>
Dienstzeit bei der Linie blieb zwar wie bisher auf acht Jahre festgesetzt, dagegen<lb/>
wurde die Landwehrverpflichtung gänzlich aufgehoben und an deren Stelle<lb/>
eine zweijährige Neservedienstzeit eingeführt. Sobald der Soldat seine acht¬<lb/>
jährige Dienstzeit beendet hatte, wurde er zur Reserve versetzt und beurlaubt,<lb/>
konnte aber auch diese zwei Jahre bei der Linie addieren. Jene, welche eine<lb/>
zweite Kapitulation annahmen, wurden von dem Reservedienst befreit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1135"> Aus diesen Reservemännern wurden die Depots aufgestellt, der dann noch<lb/>
überbleibende Rest (?) wurde bei der activen Truppe eingetheilt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1136"> Das war denn eine Organisation, die auf dem Papier ganz gut aussah<lb/>
und Alles recht symmetrisch zusammengeleimt hatte, in der Wirklichkeit aber<lb/>
die heillosesten Folgen nach sich ziehen mußte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1137"> Die Reserve betrug höchstens den fünften Theil der Linientruppen und<lb/>
verdiente also gar nicht ihren Namen, sondern höchstens den eines Ersatzcon-<lb/>
tingents. Bei der Versetzung auf den Kriegsstand mußte jedes Regiment &#x2014;<lb/>
abgesehen von der Ergänzung der bereits bestehenden &#x2014; noch acht neue Com¬<lb/>
pagnien errichten. Die Hälfte der letztern mußte also aus Rekruten bestehen.<lb/>
Auch war es ein Fehler, daß man die Reservemänner dem Depot, einer nur<lb/>
zur Abrichtung der Rekruten bestimmten Truppe, zuwies, statt dieselben in die<lb/>
Feldtruppe einzureihen und so die junge Mannschaft der letzteren durch die<lb/>
Beimengung älterer Soldaten zu kräftigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1138"> Der Gedanke, die Grenadiere in eine Elitetruppe im eigentlichen Sinne<lb/>
des Wortes umzuwandeln, war gut; aber man konnte, um dieses Ziel zu er¬<lb/>
reichen, kaum einen verfehlteren Weg einschlagen. Die Zahl der Grenadiere<lb/>
war gegen jene der Füsiliere zu groß. Die Gendarmerie, die Polizei, die Garden<lb/>
und Sanitätstruppen hatten der Infanterie bereits so viele gute Kräfte ent¬<lb/>
zogen, daß die Obersten, wofern sie den Füsilieren nicht alles Taugliche nehmen<lb/>
wollten, ihre Grenadiere eben nur aus mittelmäßigen Leuten zusammensetzen<lb/>
konnten. Weiter wurden die Grenadiere erst beim Ausbruch des Kriegs aus<lb/>
dem gewohnten Verband herausgerissen und in ein neues Bataillon formirt,<lb/>
dessen Leitung häusig einem erst ernannten Stabsoffizier, welcher vielleicht weder<lb/>
das Regiment noch die Regimentssprache kannte, übertragen wurde. Unter so<lb/>
ungünstigen Verhältnissen konnte natürlich auch nichts Besonderes erwartet<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1139" next="#ID_1140"> War eine weitere Vermehrung der Streitkräfte erforderlich, wie solches<lb/>
1839 durch die Errichtung der fünften Feldbatailtone und vieler Freibataillone<lb/>
geschah, so konnten diese Truppenkörper fast nur durch ganz unausgebildete</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] mehrt. Die Garnisonsbataillone wurden gänzlich aufgelöst und erst in späterer Zeit mehre Disciplinarcompagnien errichtet, in welche die unverbesserlichsten Subjecte der ganzen Armee eingetheilt werden sollten. Die Hauptsache aber war die Aenderung der Dienstzeit der Soldaten. Die Dienstzeit bei der Linie blieb zwar wie bisher auf acht Jahre festgesetzt, dagegen wurde die Landwehrverpflichtung gänzlich aufgehoben und an deren Stelle eine zweijährige Neservedienstzeit eingeführt. Sobald der Soldat seine acht¬ jährige Dienstzeit beendet hatte, wurde er zur Reserve versetzt und beurlaubt, konnte aber auch diese zwei Jahre bei der Linie addieren. Jene, welche eine zweite Kapitulation annahmen, wurden von dem Reservedienst befreit. Aus diesen Reservemännern wurden die Depots aufgestellt, der dann noch überbleibende Rest (?) wurde bei der activen Truppe eingetheilt. Das war denn eine Organisation, die auf dem Papier ganz gut aussah und Alles recht symmetrisch zusammengeleimt hatte, in der Wirklichkeit aber die heillosesten Folgen nach sich ziehen mußte. Die Reserve betrug höchstens den fünften Theil der Linientruppen und verdiente also gar nicht ihren Namen, sondern höchstens den eines Ersatzcon- tingents. Bei der Versetzung auf den Kriegsstand mußte jedes Regiment — abgesehen von der Ergänzung der bereits bestehenden — noch acht neue Com¬ pagnien errichten. Die Hälfte der letztern mußte also aus Rekruten bestehen. Auch war es ein Fehler, daß man die Reservemänner dem Depot, einer nur zur Abrichtung der Rekruten bestimmten Truppe, zuwies, statt dieselben in die Feldtruppe einzureihen und so die junge Mannschaft der letzteren durch die Beimengung älterer Soldaten zu kräftigen. Der Gedanke, die Grenadiere in eine Elitetruppe im eigentlichen Sinne des Wortes umzuwandeln, war gut; aber man konnte, um dieses Ziel zu er¬ reichen, kaum einen verfehlteren Weg einschlagen. Die Zahl der Grenadiere war gegen jene der Füsiliere zu groß. Die Gendarmerie, die Polizei, die Garden und Sanitätstruppen hatten der Infanterie bereits so viele gute Kräfte ent¬ zogen, daß die Obersten, wofern sie den Füsilieren nicht alles Taugliche nehmen wollten, ihre Grenadiere eben nur aus mittelmäßigen Leuten zusammensetzen konnten. Weiter wurden die Grenadiere erst beim Ausbruch des Kriegs aus dem gewohnten Verband herausgerissen und in ein neues Bataillon formirt, dessen Leitung häusig einem erst ernannten Stabsoffizier, welcher vielleicht weder das Regiment noch die Regimentssprache kannte, übertragen wurde. Unter so ungünstigen Verhältnissen konnte natürlich auch nichts Besonderes erwartet werden. War eine weitere Vermehrung der Streitkräfte erforderlich, wie solches 1839 durch die Errichtung der fünften Feldbatailtone und vieler Freibataillone geschah, so konnten diese Truppenkörper fast nur durch ganz unausgebildete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/400>, abgerufen am 28.07.2024.