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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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den Mund zur Vertheidigung; der Wuth des Kaisers kann er nur einen Fluch
entgegensetzen, und in diesem Gefühl unauslöschlichen Hasses gibt der Geblen¬
dete sich den Tod, damit kein Staufenauge ihn mehr lebend sehe; während der
Kaiser, nachdem zu spät der Betrug entdeckt worden, sich reuevoll der Blut¬
schuld anklagt, mit wiedererwachender Thatenlust, um das Geschehene zu ver¬
gessen, zu neuem Kampf sich rüstet, aber an der Bahre des gemordeten Freun¬
des zusammenbricht.

Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß diese ganze Handlung wahr¬
haft groß und echt tragisch angelegt ist. Das Tragische liegt besonders darin,
daß Beider Schuld gleichzeitig und ganz unmerklich anhebt, aber sofort durch
ihre innere Logik unentwirrbar anwächst. Der erste Schritt, den Pietro thut,
ist kaum Schuld zu nennen, er ist gewagt, aber der Gedanke war edel, es ist
ein berechtigter Stolz darin. Allein kaum ist der erste Schritt gethan, so ist
eine abschüssige Bahn eröffnet, auf der keine Rettung mehr möglich ist. Neue
Motive treten hinzu und schürzen den Knoten dichter, und unaufhaltsam reißt
es die Schuldigen tiefer, jenen bis an den Rand des Verraths, diesen zu selbst¬
vergessener Leidenschaft. Die dramatische Steigerung wird durch äußere Mittel
unterstützt, aber vor Allem durch die der Schuld und Leidenschaft inwohnende
Dialektik selbst hervorgebracht.

Wenn nun so die Anlage des Stücks sich zu wirklich tragischer Höhe er¬
hebt, so möchten wir der Ausführung im Einzelnen und der Zeichnung der
Charaktere dasselbe Lob spenden können. Allein hier liegt die schwache Seite
des Stücks. Die Umwandlung Pietros vom ergebenen eifersüchtigen Freund
zum haßerfüllten fluchenden Feind ist ein vortreffliches Seelengemälde, aber hiermit
ist des Dichters Kraft der Charakteristik nahezu erschöpft. Schon Friedrich gibt
zu manchen Bedenken Anlaß. Er ist wohl im Ganzen folgerichtig angelegt.
Aber da, wo er nicht durch das Verhältniß zu Pietro bestimmt ist, hat die
Zeichnung nicht mehr die sonstige Sicherheit, aus dem Dramatiker spürt man
den Lyriker heraus. Es wird immer etwas Mißliches sein, einen genialen
und seiner Genialität sich bewußten Helden zu zeichnen. Man wird vor Allem
von ihm verlangen, daß er in seinem Reden und Thun auch wirkliche Geniali¬
tät zeige. Hier wird aber die Gefahr nahe liegen, daß der Dichter den Bogen
überspannt und seinem Helden ein Pathos in den Mund legt, das eine ganz
andre als die beabsichtigte Wirkung hervorbringt. Ein starkes Selbstbewußtsein
gehört unstreitig zu Friedrichs Wesen, allein der Zuschauer will die Wirkungen
desselben sehen, zu dessen Selbstäußerung, je öfter sie wiederholt wird, wird er
nur mißtrauisch sich Verhalten. Phrasen wie die: "ein Staufe verliert den
Kampfplatz nur mit seinem Leben," oder die Schlußworte vom zweiten Aufzug
und ähnliche streifen^doch nahe an unerlaubte Rhetorik, oder sie verrathen eine
viel zu gespitzte Reflexion, z. B. die Worte: "Und schöner als die Sieges-


den Mund zur Vertheidigung; der Wuth des Kaisers kann er nur einen Fluch
entgegensetzen, und in diesem Gefühl unauslöschlichen Hasses gibt der Geblen¬
dete sich den Tod, damit kein Staufenauge ihn mehr lebend sehe; während der
Kaiser, nachdem zu spät der Betrug entdeckt worden, sich reuevoll der Blut¬
schuld anklagt, mit wiedererwachender Thatenlust, um das Geschehene zu ver¬
gessen, zu neuem Kampf sich rüstet, aber an der Bahre des gemordeten Freun¬
des zusammenbricht.

Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß diese ganze Handlung wahr¬
haft groß und echt tragisch angelegt ist. Das Tragische liegt besonders darin,
daß Beider Schuld gleichzeitig und ganz unmerklich anhebt, aber sofort durch
ihre innere Logik unentwirrbar anwächst. Der erste Schritt, den Pietro thut,
ist kaum Schuld zu nennen, er ist gewagt, aber der Gedanke war edel, es ist
ein berechtigter Stolz darin. Allein kaum ist der erste Schritt gethan, so ist
eine abschüssige Bahn eröffnet, auf der keine Rettung mehr möglich ist. Neue
Motive treten hinzu und schürzen den Knoten dichter, und unaufhaltsam reißt
es die Schuldigen tiefer, jenen bis an den Rand des Verraths, diesen zu selbst¬
vergessener Leidenschaft. Die dramatische Steigerung wird durch äußere Mittel
unterstützt, aber vor Allem durch die der Schuld und Leidenschaft inwohnende
Dialektik selbst hervorgebracht.

Wenn nun so die Anlage des Stücks sich zu wirklich tragischer Höhe er¬
hebt, so möchten wir der Ausführung im Einzelnen und der Zeichnung der
Charaktere dasselbe Lob spenden können. Allein hier liegt die schwache Seite
des Stücks. Die Umwandlung Pietros vom ergebenen eifersüchtigen Freund
zum haßerfüllten fluchenden Feind ist ein vortreffliches Seelengemälde, aber hiermit
ist des Dichters Kraft der Charakteristik nahezu erschöpft. Schon Friedrich gibt
zu manchen Bedenken Anlaß. Er ist wohl im Ganzen folgerichtig angelegt.
Aber da, wo er nicht durch das Verhältniß zu Pietro bestimmt ist, hat die
Zeichnung nicht mehr die sonstige Sicherheit, aus dem Dramatiker spürt man
den Lyriker heraus. Es wird immer etwas Mißliches sein, einen genialen
und seiner Genialität sich bewußten Helden zu zeichnen. Man wird vor Allem
von ihm verlangen, daß er in seinem Reden und Thun auch wirkliche Geniali¬
tät zeige. Hier wird aber die Gefahr nahe liegen, daß der Dichter den Bogen
überspannt und seinem Helden ein Pathos in den Mund legt, das eine ganz
andre als die beabsichtigte Wirkung hervorbringt. Ein starkes Selbstbewußtsein
gehört unstreitig zu Friedrichs Wesen, allein der Zuschauer will die Wirkungen
desselben sehen, zu dessen Selbstäußerung, je öfter sie wiederholt wird, wird er
nur mißtrauisch sich Verhalten. Phrasen wie die: „ein Staufe verliert den
Kampfplatz nur mit seinem Leben," oder die Schlußworte vom zweiten Aufzug
und ähnliche streifen^doch nahe an unerlaubte Rhetorik, oder sie verrathen eine
viel zu gespitzte Reflexion, z. B. die Worte: „Und schöner als die Sieges-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/388>, abgerufen am 23.12.2024.