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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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seine eigene Tochter, die von Manfred nicht lassen will; beim Herannahen
Friedrichs gibt er sich den Tod. Dieser ist beim Anblick der Leiche tief er¬
schüttert, die Wunde von Parma bricht wieder auf. Er stirbt zu Firenzuolc,
inmitten der Seinen.

Man sieht aus dieser furzen Skizze, daß das Verhältniß Friedrichs zu
Pietro der eigentliche Kern der Tragödie ist. Hier liegt der Conflict, der leise
anhebt, immer unlösbarer sich verwirrt und nur tragisch sich löst. Die Haupt-
und Staatsaction allein hatte noch keineswegs einen tragischen Stoff geliefert.
Weder die Kirchenversammlung zu Lyon, noch die Aufstände und Verschwö¬
rungen reichen dazu aus, sie sind nur äußere Momente eines Kampfes, der
ganz in das Bewußtsein der handelnden Personen hineinverlegt wird. Denn
das Verhältniß des Kaisers zu Pietro dient nicht blos dazu, dem politischen
Inhalt ein psychologisches Interesse beizugesellen, sondern durch dasselbe wird
die Sprödigkeit der politischen Handlung selbst erst aufgeweicht und dramatisch
faßbar gemacht. Die starren Gegensätze von Staat und Kirche, die im Saul
einfach einander gegenübergestellt sind, werden flüssig dadurch, daß sie in
Friedrichs und Pietros Seele verschieden sich reflectiren und diese Verschieden¬
heit allmälig zum Bruch zwischen den beiden Engverbundenen treibt. Es ist
darum vor Allem nöthig, die beiden Hauptcharaktere näher zu betrachten.

Friedrich ist der große, geniale, reformatorische Kaiser, der kein andres
Gesetz anerkennt als seinen Willen, weil er die Kraft in sich fühlt, seinem
Willen Geltung zu verschaffen. "Alles darf in seines Geistes Kraft ein Mensch,
doch muß er können, um zu dürfen!" An Bildung seine Zeit weit überragend,
verachtet er alle objectiven Schranken; obwohl nicht religionslos, steht er dem
(Klauben der Zeit frei gegenüber, des Witzes Funken wirft er unter des Vol¬
kes Puppenspiele, und ebenso setzt er sich in seines Geistes Freiheit über alles
menschliche Recht hinaus. "Wo liegt die Grenze eines Reichs? -- sie liegt
wo des Besitzers Kraft ein Ende hat! So weit sie reicht, muß ihm die Welt
gehören." Schwur und Verträge binden ihn nicht. "Was ist ein Schwur?
-- das Zugeständniß dessen, was heute mir wahr gilt! -- kann mich das ver¬
hindern, die bessre Wahrheit morgen zu erkennen?" Wie sollte er dem einen
Schwur halten, der sich selbst nicht daran bindet? "Es sei der Kirche, was
sie halten kann, wenn ich mir nehme, was des Thrones ist." Ebensowenig
bindet ihn der Schwur, Sicilien niemals an das deutsche Reich zu ketten.
Denn seine Phantasie beflügelt ihn zu den kühnsten Entwürfen, die des her¬
kömmlichen Rechtes spotten. "Verächtlich ist die Macht und angemaßt, die
nicht, der Völker Neugeburt erschaffend, das höchste Wollen ihrer Zeit bedeutet."
"Vom Staufen bis Palermo sei geschwungen die Völkerbrücke, die die Welt
verbindet, wie jener Alexander Griechenland und Asien in eine Bildung schmolz!"
Ja noch weiter schweift seine ungemessene Phantasie: "ein einzig großes Vol-


seine eigene Tochter, die von Manfred nicht lassen will; beim Herannahen
Friedrichs gibt er sich den Tod. Dieser ist beim Anblick der Leiche tief er¬
schüttert, die Wunde von Parma bricht wieder auf. Er stirbt zu Firenzuolc,
inmitten der Seinen.

Man sieht aus dieser furzen Skizze, daß das Verhältniß Friedrichs zu
Pietro der eigentliche Kern der Tragödie ist. Hier liegt der Conflict, der leise
anhebt, immer unlösbarer sich verwirrt und nur tragisch sich löst. Die Haupt-
und Staatsaction allein hatte noch keineswegs einen tragischen Stoff geliefert.
Weder die Kirchenversammlung zu Lyon, noch die Aufstände und Verschwö¬
rungen reichen dazu aus, sie sind nur äußere Momente eines Kampfes, der
ganz in das Bewußtsein der handelnden Personen hineinverlegt wird. Denn
das Verhältniß des Kaisers zu Pietro dient nicht blos dazu, dem politischen
Inhalt ein psychologisches Interesse beizugesellen, sondern durch dasselbe wird
die Sprödigkeit der politischen Handlung selbst erst aufgeweicht und dramatisch
faßbar gemacht. Die starren Gegensätze von Staat und Kirche, die im Saul
einfach einander gegenübergestellt sind, werden flüssig dadurch, daß sie in
Friedrichs und Pietros Seele verschieden sich reflectiren und diese Verschieden¬
heit allmälig zum Bruch zwischen den beiden Engverbundenen treibt. Es ist
darum vor Allem nöthig, die beiden Hauptcharaktere näher zu betrachten.

Friedrich ist der große, geniale, reformatorische Kaiser, der kein andres
Gesetz anerkennt als seinen Willen, weil er die Kraft in sich fühlt, seinem
Willen Geltung zu verschaffen. „Alles darf in seines Geistes Kraft ein Mensch,
doch muß er können, um zu dürfen!" An Bildung seine Zeit weit überragend,
verachtet er alle objectiven Schranken; obwohl nicht religionslos, steht er dem
(Klauben der Zeit frei gegenüber, des Witzes Funken wirft er unter des Vol¬
kes Puppenspiele, und ebenso setzt er sich in seines Geistes Freiheit über alles
menschliche Recht hinaus. „Wo liegt die Grenze eines Reichs? — sie liegt
wo des Besitzers Kraft ein Ende hat! So weit sie reicht, muß ihm die Welt
gehören." Schwur und Verträge binden ihn nicht. „Was ist ein Schwur?
— das Zugeständniß dessen, was heute mir wahr gilt! — kann mich das ver¬
hindern, die bessre Wahrheit morgen zu erkennen?" Wie sollte er dem einen
Schwur halten, der sich selbst nicht daran bindet? „Es sei der Kirche, was
sie halten kann, wenn ich mir nehme, was des Thrones ist." Ebensowenig
bindet ihn der Schwur, Sicilien niemals an das deutsche Reich zu ketten.
Denn seine Phantasie beflügelt ihn zu den kühnsten Entwürfen, die des her¬
kömmlichen Rechtes spotten. „Verächtlich ist die Macht und angemaßt, die
nicht, der Völker Neugeburt erschaffend, das höchste Wollen ihrer Zeit bedeutet."
„Vom Staufen bis Palermo sei geschwungen die Völkerbrücke, die die Welt
verbindet, wie jener Alexander Griechenland und Asien in eine Bildung schmolz!"
Ja noch weiter schweift seine ungemessene Phantasie: „ein einzig großes Vol-


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[0384] seine eigene Tochter, die von Manfred nicht lassen will; beim Herannahen Friedrichs gibt er sich den Tod. Dieser ist beim Anblick der Leiche tief er¬ schüttert, die Wunde von Parma bricht wieder auf. Er stirbt zu Firenzuolc, inmitten der Seinen. Man sieht aus dieser furzen Skizze, daß das Verhältniß Friedrichs zu Pietro der eigentliche Kern der Tragödie ist. Hier liegt der Conflict, der leise anhebt, immer unlösbarer sich verwirrt und nur tragisch sich löst. Die Haupt- und Staatsaction allein hatte noch keineswegs einen tragischen Stoff geliefert. Weder die Kirchenversammlung zu Lyon, noch die Aufstände und Verschwö¬ rungen reichen dazu aus, sie sind nur äußere Momente eines Kampfes, der ganz in das Bewußtsein der handelnden Personen hineinverlegt wird. Denn das Verhältniß des Kaisers zu Pietro dient nicht blos dazu, dem politischen Inhalt ein psychologisches Interesse beizugesellen, sondern durch dasselbe wird die Sprödigkeit der politischen Handlung selbst erst aufgeweicht und dramatisch faßbar gemacht. Die starren Gegensätze von Staat und Kirche, die im Saul einfach einander gegenübergestellt sind, werden flüssig dadurch, daß sie in Friedrichs und Pietros Seele verschieden sich reflectiren und diese Verschieden¬ heit allmälig zum Bruch zwischen den beiden Engverbundenen treibt. Es ist darum vor Allem nöthig, die beiden Hauptcharaktere näher zu betrachten. Friedrich ist der große, geniale, reformatorische Kaiser, der kein andres Gesetz anerkennt als seinen Willen, weil er die Kraft in sich fühlt, seinem Willen Geltung zu verschaffen. „Alles darf in seines Geistes Kraft ein Mensch, doch muß er können, um zu dürfen!" An Bildung seine Zeit weit überragend, verachtet er alle objectiven Schranken; obwohl nicht religionslos, steht er dem (Klauben der Zeit frei gegenüber, des Witzes Funken wirft er unter des Vol¬ kes Puppenspiele, und ebenso setzt er sich in seines Geistes Freiheit über alles menschliche Recht hinaus. „Wo liegt die Grenze eines Reichs? — sie liegt wo des Besitzers Kraft ein Ende hat! So weit sie reicht, muß ihm die Welt gehören." Schwur und Verträge binden ihn nicht. „Was ist ein Schwur? — das Zugeständniß dessen, was heute mir wahr gilt! — kann mich das ver¬ hindern, die bessre Wahrheit morgen zu erkennen?" Wie sollte er dem einen Schwur halten, der sich selbst nicht daran bindet? „Es sei der Kirche, was sie halten kann, wenn ich mir nehme, was des Thrones ist." Ebensowenig bindet ihn der Schwur, Sicilien niemals an das deutsche Reich zu ketten. Denn seine Phantasie beflügelt ihn zu den kühnsten Entwürfen, die des her¬ kömmlichen Rechtes spotten. „Verächtlich ist die Macht und angemaßt, die nicht, der Völker Neugeburt erschaffend, das höchste Wollen ihrer Zeit bedeutet." „Vom Staufen bis Palermo sei geschwungen die Völkerbrücke, die die Welt verbindet, wie jener Alexander Griechenland und Asien in eine Bildung schmolz!" Ja noch weiter schweift seine ungemessene Phantasie: „ein einzig großes Vol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/384>, abgerufen am 23.12.2024.