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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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lich dramatische Charakteristik der einzelnen Personen, welche in naivster Weise
in eine Gruppe edler, biedrer Seelen und, eine Gruppe verstockter Bösewichter
zerfallen. Dem Verfasser ist es nur um das Aussprechen seiner eigenen Ideen
über das Verhältniß von Kirche und Staat zu thun. Und auch hier herrscht
die naive Anschauung, daß durch versöhnliches Entgegenkommen, durch guten
Willen auf beiden Seiten der so wünschenswerthe Friede unfehlbar hätte zu
Stande kommen müssen. Friedrich ist aller Tugenden voll und wie sein
Kanzler von den besten Absichten beseelt; nur die heuchlerische Verstocktheit des
Papstes hindert der Eintracht schönen Bund zwischen Thron und Kirche, und
in Friedrichs ganzer Umgebung wird fortwährend so viel Süßes und Holdes
gesprochen, daß man ordentlich aufathmet, wenn im letzten Act endlich auch
einige Verbrecher und Giftmischer auftauchen. Die Verschwörung gegen den
Kaiser selbst mißlingt, aber der unschuldige Pietro geräth in falschen Verdacht
der Untreue, der ihn ohne vorherigen Versuch zur Aufklärung des Mißverständ¬
nisses zum Selbstmord treibt, und nachdem seine Unschuld an den Tag
gekommen, schließt das Stück in völlig undramatischer Weise mit einer Anrede
des Kaisers. Es hieße, die dem Andenken des edlen Mannes schuldige Pietät
verletzen, wollte man an diese von wärmster Gesinnung erfüllte Arbeit den
Maßstab der Kritik legen. Ganz anders wird diese durch I. G. Fischers
Tragödie herausgefordert.'

I. G. Fischer hat sich als Lyriker einen geachteten Namen erworben. Ab¬
weichend von dem vorherrschenden Ton der Lyrik in seiner schwäbischen Heimath
pulsirt ein energisches Feuer in seinen Liedern. Ein männlich frischer Ton
geht durch sie; starke Gefühle, Sturm und Kampf sind ihr hervorstechendes
Element. Bei dieser stark subjectiven Anlage wird man nicht von vornherein
geneigt sein, dem Dichter eine eigentlich dramatische Begabung zuzutrauen.
Es wird ihm schwer sei", sich mit völliger Objectivitcit in verschiedenartige Cha¬
raktere einzuleben, der Kreis seiner dramatischen Charaktere wird jedenfalls ein
beschränkter sei. Nicht minder wird dies aus die Wahl der Stoffe Einfluß haben.
Es ist bezeichnend, daß gleich sein erstes Drama, Sand, sich in dem princi¬
piellen Gegensatz von Kirche und Staat bewegte, und zwar so, daß dieses all¬
gemeine Motiv der Charakterzeichnung wesentlich Eintrag that. Das Stück
hatte zwar viel Schwung, eine kräftige und zugleich flüssige Sprache, auch die
Dramatistrung zeigte Geschick. Aber im Ganzen ließ es doch kalt, es fehlte
die Hauptsache: es waren wohl Träger politischer Grundsätze da, aber keine
Menschen von Fleisch und Blut, keine Leidenschaften, die eine tragische Ver¬
wicklung herbeiführten. Auf der Bühne konnte es nur mäßigen Erfolg haben.
Man mußte es darum bedenklich finden, daß der Dichter abermals nach einem
verwandten Stoffe griff. Allein es ist, als ob er absichtlich noch einmal dasselbe
Thema aufgegriffen hätte, um in einer zweiten Bearbeitung zu zeigen, wie


lich dramatische Charakteristik der einzelnen Personen, welche in naivster Weise
in eine Gruppe edler, biedrer Seelen und, eine Gruppe verstockter Bösewichter
zerfallen. Dem Verfasser ist es nur um das Aussprechen seiner eigenen Ideen
über das Verhältniß von Kirche und Staat zu thun. Und auch hier herrscht
die naive Anschauung, daß durch versöhnliches Entgegenkommen, durch guten
Willen auf beiden Seiten der so wünschenswerthe Friede unfehlbar hätte zu
Stande kommen müssen. Friedrich ist aller Tugenden voll und wie sein
Kanzler von den besten Absichten beseelt; nur die heuchlerische Verstocktheit des
Papstes hindert der Eintracht schönen Bund zwischen Thron und Kirche, und
in Friedrichs ganzer Umgebung wird fortwährend so viel Süßes und Holdes
gesprochen, daß man ordentlich aufathmet, wenn im letzten Act endlich auch
einige Verbrecher und Giftmischer auftauchen. Die Verschwörung gegen den
Kaiser selbst mißlingt, aber der unschuldige Pietro geräth in falschen Verdacht
der Untreue, der ihn ohne vorherigen Versuch zur Aufklärung des Mißverständ¬
nisses zum Selbstmord treibt, und nachdem seine Unschuld an den Tag
gekommen, schließt das Stück in völlig undramatischer Weise mit einer Anrede
des Kaisers. Es hieße, die dem Andenken des edlen Mannes schuldige Pietät
verletzen, wollte man an diese von wärmster Gesinnung erfüllte Arbeit den
Maßstab der Kritik legen. Ganz anders wird diese durch I. G. Fischers
Tragödie herausgefordert.'

I. G. Fischer hat sich als Lyriker einen geachteten Namen erworben. Ab¬
weichend von dem vorherrschenden Ton der Lyrik in seiner schwäbischen Heimath
pulsirt ein energisches Feuer in seinen Liedern. Ein männlich frischer Ton
geht durch sie; starke Gefühle, Sturm und Kampf sind ihr hervorstechendes
Element. Bei dieser stark subjectiven Anlage wird man nicht von vornherein
geneigt sein, dem Dichter eine eigentlich dramatische Begabung zuzutrauen.
Es wird ihm schwer sei», sich mit völliger Objectivitcit in verschiedenartige Cha¬
raktere einzuleben, der Kreis seiner dramatischen Charaktere wird jedenfalls ein
beschränkter sei. Nicht minder wird dies aus die Wahl der Stoffe Einfluß haben.
Es ist bezeichnend, daß gleich sein erstes Drama, Sand, sich in dem princi¬
piellen Gegensatz von Kirche und Staat bewegte, und zwar so, daß dieses all¬
gemeine Motiv der Charakterzeichnung wesentlich Eintrag that. Das Stück
hatte zwar viel Schwung, eine kräftige und zugleich flüssige Sprache, auch die
Dramatistrung zeigte Geschick. Aber im Ganzen ließ es doch kalt, es fehlte
die Hauptsache: es waren wohl Träger politischer Grundsätze da, aber keine
Menschen von Fleisch und Blut, keine Leidenschaften, die eine tragische Ver¬
wicklung herbeiführten. Auf der Bühne konnte es nur mäßigen Erfolg haben.
Man mußte es darum bedenklich finden, daß der Dichter abermals nach einem
verwandten Stoffe griff. Allein es ist, als ob er absichtlich noch einmal dasselbe
Thema aufgegriffen hätte, um in einer zweiten Bearbeitung zu zeigen, wie


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[0382] lich dramatische Charakteristik der einzelnen Personen, welche in naivster Weise in eine Gruppe edler, biedrer Seelen und, eine Gruppe verstockter Bösewichter zerfallen. Dem Verfasser ist es nur um das Aussprechen seiner eigenen Ideen über das Verhältniß von Kirche und Staat zu thun. Und auch hier herrscht die naive Anschauung, daß durch versöhnliches Entgegenkommen, durch guten Willen auf beiden Seiten der so wünschenswerthe Friede unfehlbar hätte zu Stande kommen müssen. Friedrich ist aller Tugenden voll und wie sein Kanzler von den besten Absichten beseelt; nur die heuchlerische Verstocktheit des Papstes hindert der Eintracht schönen Bund zwischen Thron und Kirche, und in Friedrichs ganzer Umgebung wird fortwährend so viel Süßes und Holdes gesprochen, daß man ordentlich aufathmet, wenn im letzten Act endlich auch einige Verbrecher und Giftmischer auftauchen. Die Verschwörung gegen den Kaiser selbst mißlingt, aber der unschuldige Pietro geräth in falschen Verdacht der Untreue, der ihn ohne vorherigen Versuch zur Aufklärung des Mißverständ¬ nisses zum Selbstmord treibt, und nachdem seine Unschuld an den Tag gekommen, schließt das Stück in völlig undramatischer Weise mit einer Anrede des Kaisers. Es hieße, die dem Andenken des edlen Mannes schuldige Pietät verletzen, wollte man an diese von wärmster Gesinnung erfüllte Arbeit den Maßstab der Kritik legen. Ganz anders wird diese durch I. G. Fischers Tragödie herausgefordert.' I. G. Fischer hat sich als Lyriker einen geachteten Namen erworben. Ab¬ weichend von dem vorherrschenden Ton der Lyrik in seiner schwäbischen Heimath pulsirt ein energisches Feuer in seinen Liedern. Ein männlich frischer Ton geht durch sie; starke Gefühle, Sturm und Kampf sind ihr hervorstechendes Element. Bei dieser stark subjectiven Anlage wird man nicht von vornherein geneigt sein, dem Dichter eine eigentlich dramatische Begabung zuzutrauen. Es wird ihm schwer sei», sich mit völliger Objectivitcit in verschiedenartige Cha¬ raktere einzuleben, der Kreis seiner dramatischen Charaktere wird jedenfalls ein beschränkter sei. Nicht minder wird dies aus die Wahl der Stoffe Einfluß haben. Es ist bezeichnend, daß gleich sein erstes Drama, Sand, sich in dem princi¬ piellen Gegensatz von Kirche und Staat bewegte, und zwar so, daß dieses all¬ gemeine Motiv der Charakterzeichnung wesentlich Eintrag that. Das Stück hatte zwar viel Schwung, eine kräftige und zugleich flüssige Sprache, auch die Dramatistrung zeigte Geschick. Aber im Ganzen ließ es doch kalt, es fehlte die Hauptsache: es waren wohl Träger politischer Grundsätze da, aber keine Menschen von Fleisch und Blut, keine Leidenschaften, die eine tragische Ver¬ wicklung herbeiführten. Auf der Bühne konnte es nur mäßigen Erfolg haben. Man mußte es darum bedenklich finden, daß der Dichter abermals nach einem verwandten Stoffe griff. Allein es ist, als ob er absichtlich noch einmal dasselbe Thema aufgegriffen hätte, um in einer zweiten Bearbeitung zu zeigen, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/382>, abgerufen am 28.07.2024.