Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bedeutenden Stoffen. Denn unwillkürlich wird sich ein fremdes Moment, sei
es nun ein historisches oder mehr speculativer Art, in eine solche Handlung
mischen. Es soll die diese Bedeutung dieser Katastrophe, der volle Inhalt
eines solchen Zeitalters dem Zuschauer vor Augen treten; dieses soll in allen
seinen verschiedenen Richtungen möglichst vollständig geschildert werden, jeder
Standpunkt soll in seiner Berechtigung wie in seiner Einseitigkeit zur Dar¬
stellung kommen, lauter Momente, die den Dichter von seiner eigentlichen Aus¬
gabe ablenken, die dramatische Concentration des Stoffs ihm erschweren. Je
hoher die weltgeschichtliche Stellung eines Helden ist, um so sichtbarer sind die
allgemeinen Gesetze, unter denen er steht, um so mehr wird der tragische Con¬
flict jenen allgemeineren Charakter annehmen, von dem die Rede war. Was
der Dichter einerseits gewinnt durch die Wahl eines sympathisch berührenden
Stoffes, wird er in Gefahr sein andrerseits zu verlieren durch die Schwierigkeit
der Charakteristik und der individuellen Durchbildung. Es gilt dies übrigens
nicht allein von den mittelalterlichen Stoffen. Es ist wiederum kein Zufall,
daß die Dramen unsrer classischen Zeit keineswegs die Höhe- und Wendepunkte
geschichtlicher Entwicklung in ihren hervorragendsten Vertretern zu ihrem Inhalt
haben. Es ist immer ein beschränkter Ausschnitt, den sie wählen, dem sie
einen festen psychologischen Kern, eine dramatische Seele geben, und um wel¬
chen herum in freier Weise die Figuren gruppirt sind, die in perspectivischer
Weite dann allerdings die Fülle des Zeitalters ahnen lassen.

Mit diesen Bemerkungen soll nun natürlich nicht gesagt sein, daß es überhaupt
nicht möglich sei, die Geschichte der Hohenstaufen zu tüchtigen Dramen zu ver¬
wenden. In gewissem Sinne mag immer Schlegels Wort gelten: es gibt keine un¬
günstigen Stoffe, es kommt nur darauf an, das Poetische an ihnen herauszufinden.
In letzter Instanz wird immer die Erfahrung entscheiden. Aber eben die Erfah¬
rung hat die obigen Bedenken an die Hand gegeben, und es bleibt uns noch
übrig zu untersuchen, ob sie durch die neuesten Hohenstaufen-Dramen erschüttert
oder bestätigt werden.

Es sind in den letzten Wochen zwei Tragödien erschienen, die beide den Unter¬
gang Friedrichs des Zweiten zum Gegenstand haben, allerdings, daß wir es gleich
sagen, in der Geschichte der schwäbischen Kaiser unsraglich der verhältnißmäßig
dankbarste und für die Dramatisirung geeignetste Stoff. Kennt das Mittel-
alter im Allgemeinen noch nicht den individuellen Menschen, die erste Grund¬
bedingung des Dramas, so ist dagegen Friedrich der Zweite eben die erwünschte
Ausnahme. Um eines^Hauptes Länge ragt er durch sein individuell entwickeltes
Bewußtsein über sein Zeitalter empor, er ist, wie Burckhardt treffend bemerkt,
der erste moderne Mensch auf dem Throne. Ist es ferner ein Kampf zweier
objectiver Mächte, in dem sich die Geschichte der Hohenstaufen bewegt, und dem
auch Friedrich zum Opfer fällt, so wird doch dieser Kampf eben in ihm wie in


bedeutenden Stoffen. Denn unwillkürlich wird sich ein fremdes Moment, sei
es nun ein historisches oder mehr speculativer Art, in eine solche Handlung
mischen. Es soll die diese Bedeutung dieser Katastrophe, der volle Inhalt
eines solchen Zeitalters dem Zuschauer vor Augen treten; dieses soll in allen
seinen verschiedenen Richtungen möglichst vollständig geschildert werden, jeder
Standpunkt soll in seiner Berechtigung wie in seiner Einseitigkeit zur Dar¬
stellung kommen, lauter Momente, die den Dichter von seiner eigentlichen Aus¬
gabe ablenken, die dramatische Concentration des Stoffs ihm erschweren. Je
hoher die weltgeschichtliche Stellung eines Helden ist, um so sichtbarer sind die
allgemeinen Gesetze, unter denen er steht, um so mehr wird der tragische Con¬
flict jenen allgemeineren Charakter annehmen, von dem die Rede war. Was
der Dichter einerseits gewinnt durch die Wahl eines sympathisch berührenden
Stoffes, wird er in Gefahr sein andrerseits zu verlieren durch die Schwierigkeit
der Charakteristik und der individuellen Durchbildung. Es gilt dies übrigens
nicht allein von den mittelalterlichen Stoffen. Es ist wiederum kein Zufall,
daß die Dramen unsrer classischen Zeit keineswegs die Höhe- und Wendepunkte
geschichtlicher Entwicklung in ihren hervorragendsten Vertretern zu ihrem Inhalt
haben. Es ist immer ein beschränkter Ausschnitt, den sie wählen, dem sie
einen festen psychologischen Kern, eine dramatische Seele geben, und um wel¬
chen herum in freier Weise die Figuren gruppirt sind, die in perspectivischer
Weite dann allerdings die Fülle des Zeitalters ahnen lassen.

Mit diesen Bemerkungen soll nun natürlich nicht gesagt sein, daß es überhaupt
nicht möglich sei, die Geschichte der Hohenstaufen zu tüchtigen Dramen zu ver¬
wenden. In gewissem Sinne mag immer Schlegels Wort gelten: es gibt keine un¬
günstigen Stoffe, es kommt nur darauf an, das Poetische an ihnen herauszufinden.
In letzter Instanz wird immer die Erfahrung entscheiden. Aber eben die Erfah¬
rung hat die obigen Bedenken an die Hand gegeben, und es bleibt uns noch
übrig zu untersuchen, ob sie durch die neuesten Hohenstaufen-Dramen erschüttert
oder bestätigt werden.

Es sind in den letzten Wochen zwei Tragödien erschienen, die beide den Unter¬
gang Friedrichs des Zweiten zum Gegenstand haben, allerdings, daß wir es gleich
sagen, in der Geschichte der schwäbischen Kaiser unsraglich der verhältnißmäßig
dankbarste und für die Dramatisirung geeignetste Stoff. Kennt das Mittel-
alter im Allgemeinen noch nicht den individuellen Menschen, die erste Grund¬
bedingung des Dramas, so ist dagegen Friedrich der Zweite eben die erwünschte
Ausnahme. Um eines^Hauptes Länge ragt er durch sein individuell entwickeltes
Bewußtsein über sein Zeitalter empor, er ist, wie Burckhardt treffend bemerkt,
der erste moderne Mensch auf dem Throne. Ist es ferner ein Kampf zweier
objectiver Mächte, in dem sich die Geschichte der Hohenstaufen bewegt, und dem
auch Friedrich zum Opfer fällt, so wird doch dieser Kampf eben in ihm wie in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115772"/>
          <p xml:id="ID_1061" prev="#ID_1060"> bedeutenden Stoffen. Denn unwillkürlich wird sich ein fremdes Moment, sei<lb/>
es nun ein historisches oder mehr speculativer Art, in eine solche Handlung<lb/>
mischen. Es soll die diese Bedeutung dieser Katastrophe, der volle Inhalt<lb/>
eines solchen Zeitalters dem Zuschauer vor Augen treten; dieses soll in allen<lb/>
seinen verschiedenen Richtungen möglichst vollständig geschildert werden, jeder<lb/>
Standpunkt soll in seiner Berechtigung wie in seiner Einseitigkeit zur Dar¬<lb/>
stellung kommen, lauter Momente, die den Dichter von seiner eigentlichen Aus¬<lb/>
gabe ablenken, die dramatische Concentration des Stoffs ihm erschweren. Je<lb/>
hoher die weltgeschichtliche Stellung eines Helden ist, um so sichtbarer sind die<lb/>
allgemeinen Gesetze, unter denen er steht, um so mehr wird der tragische Con¬<lb/>
flict jenen allgemeineren Charakter annehmen, von dem die Rede war. Was<lb/>
der Dichter einerseits gewinnt durch die Wahl eines sympathisch berührenden<lb/>
Stoffes, wird er in Gefahr sein andrerseits zu verlieren durch die Schwierigkeit<lb/>
der Charakteristik und der individuellen Durchbildung. Es gilt dies übrigens<lb/>
nicht allein von den mittelalterlichen Stoffen. Es ist wiederum kein Zufall,<lb/>
daß die Dramen unsrer classischen Zeit keineswegs die Höhe- und Wendepunkte<lb/>
geschichtlicher Entwicklung in ihren hervorragendsten Vertretern zu ihrem Inhalt<lb/>
haben. Es ist immer ein beschränkter Ausschnitt, den sie wählen, dem sie<lb/>
einen festen psychologischen Kern, eine dramatische Seele geben, und um wel¬<lb/>
chen herum in freier Weise die Figuren gruppirt sind, die in perspectivischer<lb/>
Weite dann allerdings die Fülle des Zeitalters ahnen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Mit diesen Bemerkungen soll nun natürlich nicht gesagt sein, daß es überhaupt<lb/>
nicht möglich sei, die Geschichte der Hohenstaufen zu tüchtigen Dramen zu ver¬<lb/>
wenden. In gewissem Sinne mag immer Schlegels Wort gelten: es gibt keine un¬<lb/>
günstigen Stoffe, es kommt nur darauf an, das Poetische an ihnen herauszufinden.<lb/>
In letzter Instanz wird immer die Erfahrung entscheiden. Aber eben die Erfah¬<lb/>
rung hat die obigen Bedenken an die Hand gegeben, und es bleibt uns noch<lb/>
übrig zu untersuchen, ob sie durch die neuesten Hohenstaufen-Dramen erschüttert<lb/>
oder bestätigt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Es sind in den letzten Wochen zwei Tragödien erschienen, die beide den Unter¬<lb/>
gang Friedrichs des Zweiten zum Gegenstand haben, allerdings, daß wir es gleich<lb/>
sagen, in der Geschichte der schwäbischen Kaiser unsraglich der verhältnißmäßig<lb/>
dankbarste und für die Dramatisirung geeignetste Stoff. Kennt das Mittel-<lb/>
alter im Allgemeinen noch nicht den individuellen Menschen, die erste Grund¬<lb/>
bedingung des Dramas, so ist dagegen Friedrich der Zweite eben die erwünschte<lb/>
Ausnahme. Um eines^Hauptes Länge ragt er durch sein individuell entwickeltes<lb/>
Bewußtsein über sein Zeitalter empor, er ist, wie Burckhardt treffend bemerkt,<lb/>
der erste moderne Mensch auf dem Throne. Ist es ferner ein Kampf zweier<lb/>
objectiver Mächte, in dem sich die Geschichte der Hohenstaufen bewegt, und dem<lb/>
auch Friedrich zum Opfer fällt, so wird doch dieser Kampf eben in ihm wie in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] bedeutenden Stoffen. Denn unwillkürlich wird sich ein fremdes Moment, sei es nun ein historisches oder mehr speculativer Art, in eine solche Handlung mischen. Es soll die diese Bedeutung dieser Katastrophe, der volle Inhalt eines solchen Zeitalters dem Zuschauer vor Augen treten; dieses soll in allen seinen verschiedenen Richtungen möglichst vollständig geschildert werden, jeder Standpunkt soll in seiner Berechtigung wie in seiner Einseitigkeit zur Dar¬ stellung kommen, lauter Momente, die den Dichter von seiner eigentlichen Aus¬ gabe ablenken, die dramatische Concentration des Stoffs ihm erschweren. Je hoher die weltgeschichtliche Stellung eines Helden ist, um so sichtbarer sind die allgemeinen Gesetze, unter denen er steht, um so mehr wird der tragische Con¬ flict jenen allgemeineren Charakter annehmen, von dem die Rede war. Was der Dichter einerseits gewinnt durch die Wahl eines sympathisch berührenden Stoffes, wird er in Gefahr sein andrerseits zu verlieren durch die Schwierigkeit der Charakteristik und der individuellen Durchbildung. Es gilt dies übrigens nicht allein von den mittelalterlichen Stoffen. Es ist wiederum kein Zufall, daß die Dramen unsrer classischen Zeit keineswegs die Höhe- und Wendepunkte geschichtlicher Entwicklung in ihren hervorragendsten Vertretern zu ihrem Inhalt haben. Es ist immer ein beschränkter Ausschnitt, den sie wählen, dem sie einen festen psychologischen Kern, eine dramatische Seele geben, und um wel¬ chen herum in freier Weise die Figuren gruppirt sind, die in perspectivischer Weite dann allerdings die Fülle des Zeitalters ahnen lassen. Mit diesen Bemerkungen soll nun natürlich nicht gesagt sein, daß es überhaupt nicht möglich sei, die Geschichte der Hohenstaufen zu tüchtigen Dramen zu ver¬ wenden. In gewissem Sinne mag immer Schlegels Wort gelten: es gibt keine un¬ günstigen Stoffe, es kommt nur darauf an, das Poetische an ihnen herauszufinden. In letzter Instanz wird immer die Erfahrung entscheiden. Aber eben die Erfah¬ rung hat die obigen Bedenken an die Hand gegeben, und es bleibt uns noch übrig zu untersuchen, ob sie durch die neuesten Hohenstaufen-Dramen erschüttert oder bestätigt werden. Es sind in den letzten Wochen zwei Tragödien erschienen, die beide den Unter¬ gang Friedrichs des Zweiten zum Gegenstand haben, allerdings, daß wir es gleich sagen, in der Geschichte der schwäbischen Kaiser unsraglich der verhältnißmäßig dankbarste und für die Dramatisirung geeignetste Stoff. Kennt das Mittel- alter im Allgemeinen noch nicht den individuellen Menschen, die erste Grund¬ bedingung des Dramas, so ist dagegen Friedrich der Zweite eben die erwünschte Ausnahme. Um eines^Hauptes Länge ragt er durch sein individuell entwickeltes Bewußtsein über sein Zeitalter empor, er ist, wie Burckhardt treffend bemerkt, der erste moderne Mensch auf dem Throne. Ist es ferner ein Kampf zweier objectiver Mächte, in dem sich die Geschichte der Hohenstaufen bewegt, und dem auch Friedrich zum Opfer fällt, so wird doch dieser Kampf eben in ihm wie in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/380>, abgerufen am 28.07.2024.