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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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rette Mahnung, mit welcher A. W. Schlegel seine Vorlesungen über drama¬
tische Kunst und Literatur schließt, heute noch wie vor fünfzig Jahren. Nur
bietet die Benutzung unserer Geschichte für die dramatische Dichtkunst selbst
wieder ihre eigenthümlichen Schwierigkeiten, die nicht immer da gesucht werden,
wo sie in Wirklichkeit liegen. Die Klage ist oft gehört, daß die deutsche Ge¬
schichte gerade für eine nationale Behandlung in der Poesie deshalb besonders
schwierig zu verwenden sei, weil sie, zumal in neueren Zeiten, wesentlich Ge¬
schichte innerer Kämpfe und Kriege, eine Verletzung nach der einen oder an¬
deren Seite darum fast unvermeidlich sei. Um so mehr schienen sich wenigstens
die mittelalterlichen Stoffe zu empfehlen, als der eigentlichen Heidenzeit unserer
Nation entnommen, die damals einen später nie wieder erreichten Grad von
geschlossener Machtentfaltung nach außen behauptet habe. Man könnte hier
zwar auf manchen gelungenen Wurf, z. B. auf Schillers Wallenstein verweisen,
der sicher keinem patriotischen Gemüth zum Anstoß gereichen wird, obwohl der
Stoff dem dreißigjährigen Krieg entlehnt ist, oder auf das Beispiel der Ita¬
liener, die nationale Dramen in Menge haben, obwohl ihre Geschichte an
Bürgerkriegen mindestens so reich ist, als unsere. Allein dieser Punkt bleibe
dahingestellt. Zugegeben, unsere neuere Geschichte biete wirklich in nationa¬
ler Hinsicht diese bedenkliche Seite dar, so bietet die mittelalterliche Geschichte
dafür in dramatischer Beziehung um so größere Schwierigkeiten.

Wäre das, was man in der Geschichte dramatisch oder tragisch zu
nennen pflegt, schon an sich zugleich ein tragischer Stoff für den Dichter,
so gäbe es allerdings für unsere Poesie keinen herrlicheren Gegenstand, als
den weltgeschichtlichen Kampf des Hohenstaufenhauscs mit dem Papstthum.
Von Jugend auf verbindet sich für uns mit dem Namen der schwäbischen
Kaiser ein poetischer Zauber, den keine geschichtliche Kritik ganz zu zerstören im
Stande ist. Es ist wirklich die Zeit der höchsten Macht des deutschen Namens,
eine Zeit, erfüllt von welthistorischen Unternehmungen, in welcher unsrer Na¬
tion die erste Stelle angewiesen ist, ein Kampf, der durch Jahrhunderte mit
allen Waffen der Staatsklugheit und der Leidenschaft geführt wird und mit
einem Falle endigt, der beispiellos in der Geschichte ist, eine Fülle hochbegabter
Kräfte, die nicht ohne eigne Schuld einem unerbittlichen Schicksal erliegen und
deren Untergang uns doch mit dem Bewußtsein erfüllt, daß der Triumph der
feindlichen Macht ein scheinbarer und ihr selber verhängnißvoll war. Wahrlich
die Geschichte selbst hat hier eine Tragödie geschaffen, welche nachzuempfinden
ein höchster künstlerischer Genuß ist. Dazu ein unabsehbarer Reichthum ein¬
zelner Momente, welche dieser Tragödie die höchste Lebendigkeit und Mannig¬
faltigkeit verleihen, und eine Reihe von Beziehungen, die ungesucht den Reiz
eines ganz modernen Interesses darbieten. In der Mitte, und Alles beherr¬
schend, dieser Kampf auf Leben und Tod zwischen Kaiser und Papst, dann der


rette Mahnung, mit welcher A. W. Schlegel seine Vorlesungen über drama¬
tische Kunst und Literatur schließt, heute noch wie vor fünfzig Jahren. Nur
bietet die Benutzung unserer Geschichte für die dramatische Dichtkunst selbst
wieder ihre eigenthümlichen Schwierigkeiten, die nicht immer da gesucht werden,
wo sie in Wirklichkeit liegen. Die Klage ist oft gehört, daß die deutsche Ge¬
schichte gerade für eine nationale Behandlung in der Poesie deshalb besonders
schwierig zu verwenden sei, weil sie, zumal in neueren Zeiten, wesentlich Ge¬
schichte innerer Kämpfe und Kriege, eine Verletzung nach der einen oder an¬
deren Seite darum fast unvermeidlich sei. Um so mehr schienen sich wenigstens
die mittelalterlichen Stoffe zu empfehlen, als der eigentlichen Heidenzeit unserer
Nation entnommen, die damals einen später nie wieder erreichten Grad von
geschlossener Machtentfaltung nach außen behauptet habe. Man könnte hier
zwar auf manchen gelungenen Wurf, z. B. auf Schillers Wallenstein verweisen,
der sicher keinem patriotischen Gemüth zum Anstoß gereichen wird, obwohl der
Stoff dem dreißigjährigen Krieg entlehnt ist, oder auf das Beispiel der Ita¬
liener, die nationale Dramen in Menge haben, obwohl ihre Geschichte an
Bürgerkriegen mindestens so reich ist, als unsere. Allein dieser Punkt bleibe
dahingestellt. Zugegeben, unsere neuere Geschichte biete wirklich in nationa¬
ler Hinsicht diese bedenkliche Seite dar, so bietet die mittelalterliche Geschichte
dafür in dramatischer Beziehung um so größere Schwierigkeiten.

Wäre das, was man in der Geschichte dramatisch oder tragisch zu
nennen pflegt, schon an sich zugleich ein tragischer Stoff für den Dichter,
so gäbe es allerdings für unsere Poesie keinen herrlicheren Gegenstand, als
den weltgeschichtlichen Kampf des Hohenstaufenhauscs mit dem Papstthum.
Von Jugend auf verbindet sich für uns mit dem Namen der schwäbischen
Kaiser ein poetischer Zauber, den keine geschichtliche Kritik ganz zu zerstören im
Stande ist. Es ist wirklich die Zeit der höchsten Macht des deutschen Namens,
eine Zeit, erfüllt von welthistorischen Unternehmungen, in welcher unsrer Na¬
tion die erste Stelle angewiesen ist, ein Kampf, der durch Jahrhunderte mit
allen Waffen der Staatsklugheit und der Leidenschaft geführt wird und mit
einem Falle endigt, der beispiellos in der Geschichte ist, eine Fülle hochbegabter
Kräfte, die nicht ohne eigne Schuld einem unerbittlichen Schicksal erliegen und
deren Untergang uns doch mit dem Bewußtsein erfüllt, daß der Triumph der
feindlichen Macht ein scheinbarer und ihr selber verhängnißvoll war. Wahrlich
die Geschichte selbst hat hier eine Tragödie geschaffen, welche nachzuempfinden
ein höchster künstlerischer Genuß ist. Dazu ein unabsehbarer Reichthum ein¬
zelner Momente, welche dieser Tragödie die höchste Lebendigkeit und Mannig¬
faltigkeit verleihen, und eine Reihe von Beziehungen, die ungesucht den Reiz
eines ganz modernen Interesses darbieten. In der Mitte, und Alles beherr¬
schend, dieser Kampf auf Leben und Tod zwischen Kaiser und Papst, dann der


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[0377] rette Mahnung, mit welcher A. W. Schlegel seine Vorlesungen über drama¬ tische Kunst und Literatur schließt, heute noch wie vor fünfzig Jahren. Nur bietet die Benutzung unserer Geschichte für die dramatische Dichtkunst selbst wieder ihre eigenthümlichen Schwierigkeiten, die nicht immer da gesucht werden, wo sie in Wirklichkeit liegen. Die Klage ist oft gehört, daß die deutsche Ge¬ schichte gerade für eine nationale Behandlung in der Poesie deshalb besonders schwierig zu verwenden sei, weil sie, zumal in neueren Zeiten, wesentlich Ge¬ schichte innerer Kämpfe und Kriege, eine Verletzung nach der einen oder an¬ deren Seite darum fast unvermeidlich sei. Um so mehr schienen sich wenigstens die mittelalterlichen Stoffe zu empfehlen, als der eigentlichen Heidenzeit unserer Nation entnommen, die damals einen später nie wieder erreichten Grad von geschlossener Machtentfaltung nach außen behauptet habe. Man könnte hier zwar auf manchen gelungenen Wurf, z. B. auf Schillers Wallenstein verweisen, der sicher keinem patriotischen Gemüth zum Anstoß gereichen wird, obwohl der Stoff dem dreißigjährigen Krieg entlehnt ist, oder auf das Beispiel der Ita¬ liener, die nationale Dramen in Menge haben, obwohl ihre Geschichte an Bürgerkriegen mindestens so reich ist, als unsere. Allein dieser Punkt bleibe dahingestellt. Zugegeben, unsere neuere Geschichte biete wirklich in nationa¬ ler Hinsicht diese bedenkliche Seite dar, so bietet die mittelalterliche Geschichte dafür in dramatischer Beziehung um so größere Schwierigkeiten. Wäre das, was man in der Geschichte dramatisch oder tragisch zu nennen pflegt, schon an sich zugleich ein tragischer Stoff für den Dichter, so gäbe es allerdings für unsere Poesie keinen herrlicheren Gegenstand, als den weltgeschichtlichen Kampf des Hohenstaufenhauscs mit dem Papstthum. Von Jugend auf verbindet sich für uns mit dem Namen der schwäbischen Kaiser ein poetischer Zauber, den keine geschichtliche Kritik ganz zu zerstören im Stande ist. Es ist wirklich die Zeit der höchsten Macht des deutschen Namens, eine Zeit, erfüllt von welthistorischen Unternehmungen, in welcher unsrer Na¬ tion die erste Stelle angewiesen ist, ein Kampf, der durch Jahrhunderte mit allen Waffen der Staatsklugheit und der Leidenschaft geführt wird und mit einem Falle endigt, der beispiellos in der Geschichte ist, eine Fülle hochbegabter Kräfte, die nicht ohne eigne Schuld einem unerbittlichen Schicksal erliegen und deren Untergang uns doch mit dem Bewußtsein erfüllt, daß der Triumph der feindlichen Macht ein scheinbarer und ihr selber verhängnißvoll war. Wahrlich die Geschichte selbst hat hier eine Tragödie geschaffen, welche nachzuempfinden ein höchster künstlerischer Genuß ist. Dazu ein unabsehbarer Reichthum ein¬ zelner Momente, welche dieser Tragödie die höchste Lebendigkeit und Mannig¬ faltigkeit verleihen, und eine Reihe von Beziehungen, die ungesucht den Reiz eines ganz modernen Interesses darbieten. In der Mitte, und Alles beherr¬ schend, dieser Kampf auf Leben und Tod zwischen Kaiser und Papst, dann der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/377>, abgerufen am 23.12.2024.