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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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damit nur einen momentanen Erfolg, vielleicht nicht einmal diesen. Ein Drama,
das z. B. den ausgesprochenen Zweck hätte, den Kampf zwischen Kirche und Staat
zu schildern, könnte -- von Seiten der Tendenz betrachtet -- heute schwerlich
auf große Wirkung mehr rechnen. Denn obwohl noch nicht alle Consequenzen
gezogen sind, so ist der Kampf selbst doch längst entschieden. es gibt hier keine
Propaganda mehr in den Herzen zu machen; es ist die Sache der Gesetzgeber,
das vollends in äußeren Einrichtungen auszuprägen, was im Princip kein
Vernünftiger mehr bestreitet. So der Kampf zwischen Adel und Bürgerthum.
Noch hat derselbe nicht alle Stadien durchgemacht, noch sind momentane, em¬
pfindliche Rückschläge möglich, aber geistig ist doch der Kampf längst aus¬
gekämpft, es fällt nicht dem Dichter zu, hier noch ein gewichtiges Wort mitzureden.
So ist es endlich mit Gedanken der nationalen Einheit. Ja es gab eine Zeit,
da unsere Literatur unzweifelhaft berufen gewesen wäre, ihre Energie auf diesen
Gedanken zu concentriren; es war die Zeit, da er unter dem Druck der Con-
gresse und Verträge allmälig aufzudämmern begann, da die Jugend phantastisch
für ihn schwärmte und Verfolgung und Verbannung dafür erntete. Damals
war der Einheitsgedanke noch Sache der Phantasie -- aber es war die Zeit,
da der Dichter


Nicht hatte Zeit zu achten
Auf eines Volkes Schmerz,
Er konnte nur betrachten
Sein groß zerrissen Herz.

Heute, da dieser Gedanke von allen Ecken und Enden tausendfach variirt er
schallt, da, so ferne noch die Erfüllung scheint, doch die praktische Arbeit begonnen
hat, da Ver.'me und Cabinete und selbst die Habsburgische Politik sich mit Plänen
zur Reform des Bundes Plagen, kommt der Dichter zu spät, wenn er dieselbe
Seite anschlägt. Er darf dem Toastredner und dem Staatsmann nicht Con-
currenz machen; diese Gesellschaft schickt sich nicht für ihn. Ihre Wege sind
nicht dieselben. Die großen Anliegen der Nation sind nicht mehr im Stadium
der Ahnungen und des Gefühlsdrangs, sie sind in das Stadium der Praxis
getreten, sie sind nicht mehr Sache der Phantasie, sondern der politischen
Arbeit.

Aber, höre ich einwerfen, wenn ein solches directes Eingreifen der Tendenz¬
dichtung vom Uebel ist, so kann doch der Dichtung nicht der Beruf abgesprochen
werden, durch Belebung des nationalen Sinnes mittelst poetischer Verwerthung
der vaterländischen Geschichte jene praktische Arbeit zu begleiten und zu fördern.
Gewiß, auf diese bescheidene Rolle wird sich die Poesie, sofern sie im bewußten
Zusammenhang mit den höchsten Aufgaben der Nation bleiben will, in jedem
Falle beschränken müssen, und es wird ihr selbst am meisten zu statten kommen,
wenn sie ihre Aufgabe in dieser Weise saßt. In diesem Sinne gilt die be-


damit nur einen momentanen Erfolg, vielleicht nicht einmal diesen. Ein Drama,
das z. B. den ausgesprochenen Zweck hätte, den Kampf zwischen Kirche und Staat
zu schildern, könnte — von Seiten der Tendenz betrachtet — heute schwerlich
auf große Wirkung mehr rechnen. Denn obwohl noch nicht alle Consequenzen
gezogen sind, so ist der Kampf selbst doch längst entschieden. es gibt hier keine
Propaganda mehr in den Herzen zu machen; es ist die Sache der Gesetzgeber,
das vollends in äußeren Einrichtungen auszuprägen, was im Princip kein
Vernünftiger mehr bestreitet. So der Kampf zwischen Adel und Bürgerthum.
Noch hat derselbe nicht alle Stadien durchgemacht, noch sind momentane, em¬
pfindliche Rückschläge möglich, aber geistig ist doch der Kampf längst aus¬
gekämpft, es fällt nicht dem Dichter zu, hier noch ein gewichtiges Wort mitzureden.
So ist es endlich mit Gedanken der nationalen Einheit. Ja es gab eine Zeit,
da unsere Literatur unzweifelhaft berufen gewesen wäre, ihre Energie auf diesen
Gedanken zu concentriren; es war die Zeit, da er unter dem Druck der Con-
gresse und Verträge allmälig aufzudämmern begann, da die Jugend phantastisch
für ihn schwärmte und Verfolgung und Verbannung dafür erntete. Damals
war der Einheitsgedanke noch Sache der Phantasie — aber es war die Zeit,
da der Dichter


Nicht hatte Zeit zu achten
Auf eines Volkes Schmerz,
Er konnte nur betrachten
Sein groß zerrissen Herz.

Heute, da dieser Gedanke von allen Ecken und Enden tausendfach variirt er
schallt, da, so ferne noch die Erfüllung scheint, doch die praktische Arbeit begonnen
hat, da Ver.'me und Cabinete und selbst die Habsburgische Politik sich mit Plänen
zur Reform des Bundes Plagen, kommt der Dichter zu spät, wenn er dieselbe
Seite anschlägt. Er darf dem Toastredner und dem Staatsmann nicht Con-
currenz machen; diese Gesellschaft schickt sich nicht für ihn. Ihre Wege sind
nicht dieselben. Die großen Anliegen der Nation sind nicht mehr im Stadium
der Ahnungen und des Gefühlsdrangs, sie sind in das Stadium der Praxis
getreten, sie sind nicht mehr Sache der Phantasie, sondern der politischen
Arbeit.

Aber, höre ich einwerfen, wenn ein solches directes Eingreifen der Tendenz¬
dichtung vom Uebel ist, so kann doch der Dichtung nicht der Beruf abgesprochen
werden, durch Belebung des nationalen Sinnes mittelst poetischer Verwerthung
der vaterländischen Geschichte jene praktische Arbeit zu begleiten und zu fördern.
Gewiß, auf diese bescheidene Rolle wird sich die Poesie, sofern sie im bewußten
Zusammenhang mit den höchsten Aufgaben der Nation bleiben will, in jedem
Falle beschränken müssen, und es wird ihr selbst am meisten zu statten kommen,
wenn sie ihre Aufgabe in dieser Weise saßt. In diesem Sinne gilt die be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/376>, abgerufen am 28.07.2024.