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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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daß er platt und trivial oder bombastisch wird? Ist hier nicht zu viel oder
zu wenig motivirt? So lahmt denn des Gedankens Blässe überall den Flug
der Begeisterung, und die Fehler, die eben vermieden werden sollten, sind um
so unvermeidlicher. Der Held ist nun wirklich steif, die Situation unnatürlich,
das Ganze kalt geworden. Und so ist es denn auch hier wie überall eine
Wechselwirkung, auf der schließlich die gegenwärtigen Mißstände beruhen. Wir
klagen über den Dichter, und der Dichter kann mit noch mehr Recht über die
Zeit klagen, aus der er geboren ist, und der er sich so wenig als irgend je¬
mand entziehen kann.

Aber hat nicht andrerseits die Gegenwart eine besondere Vorliebe für
das Historische und Nationale, und kommt sie damit nicht gerade dem hi¬
storischen Drama entgegen? Wird nicht das, was der Dichter seine Hel¬
den in diesem Sinne thun und reden läßt, schon an sich auf ein Echo in
tausend Herzen rechnen dürfen? Die Erfahrung pflegt diese Frage keines¬
wegs zu bejahen. Was die neuere Zeit an sogenannten patriotischen Dramen
hervorgetrieben, hat wohl gelegentlich seine Wirkung gethan, aber das war
auch Alles. Von einem nachhaltigen Eindruck, den sie in der Nation zurück¬
gelassen hätten, keine Spur. Wir werden auch hiervon den Grund meist einfach
in dem subjectiven Nichttonnen der Dichter suchen dürfen.

Ein Vergleich unserer Zustände mit den italienischen vor der Herstellung
des Einheitsstaats gilt jetzt empfindlichen Gemüthern für verpönt; er wird
gleichwohl in vielen Fällen nützlich, manchmal unentbehrlich sein. Das Ita¬
lien der wiener Verträge und der Restaurationen besaß eine Literatur, in welche
sich alle diejenigen Elemente flüchteten, die in einem freien Staatswesen der
Politik und dem öffentlichen Leben sich zugewandt hätten. Die Nation hatte
keine gesetzlichen Organe, ihre Wünsche und Bestrebungen kundzuthun, so wurde
die Dichtung der Mund, durch welchen sie ihnen Ausdruck gab; nicht in directer
Weise, aber in großartigen Gleichnissen, aus der eigenen Geschichte geschöpft,
in prophetischen Mahnungen, die aus vergangenen Jahrhunderten in die Ge¬
genwart herübertönten. Vergebens suchte der freie Gedanke gegen die Uner¬
bittlichkeit der starren Staatsmaschine sich aufzulehnen -- und Niccolini schrieb
seinen Foscarini, eine Familientragödie, deren Held aber zugleich als ein Mär¬
tyrer der Freiheit, als ein Opfer der tyrannischen Staatsgewalt siel. Nie-
mand durfte Oestreich des Mords an der italienischen Freiheit anklagen, --
und Niccolini schrieb seinen Johann von Procida, jenes racheerfüllte Drama von
der sicilischen Vesper, bei dessen Aufführung in Florenz der östreichische Gesandte
zu seinem französischen Kollegen sagte: die Adresse lautet an Sie, aber der In¬
halt ist an uns gerichtet. Keine Tribüne bestand, auf der das weltliche Papst¬
thum als das, was es ist, als der Fluch Italiens bezeichnet werden durfte. --
und Niccolini schleuderte seinen Arnold von Brescia in die Nation, der nur


daß er platt und trivial oder bombastisch wird? Ist hier nicht zu viel oder
zu wenig motivirt? So lahmt denn des Gedankens Blässe überall den Flug
der Begeisterung, und die Fehler, die eben vermieden werden sollten, sind um
so unvermeidlicher. Der Held ist nun wirklich steif, die Situation unnatürlich,
das Ganze kalt geworden. Und so ist es denn auch hier wie überall eine
Wechselwirkung, auf der schließlich die gegenwärtigen Mißstände beruhen. Wir
klagen über den Dichter, und der Dichter kann mit noch mehr Recht über die
Zeit klagen, aus der er geboren ist, und der er sich so wenig als irgend je¬
mand entziehen kann.

Aber hat nicht andrerseits die Gegenwart eine besondere Vorliebe für
das Historische und Nationale, und kommt sie damit nicht gerade dem hi¬
storischen Drama entgegen? Wird nicht das, was der Dichter seine Hel¬
den in diesem Sinne thun und reden läßt, schon an sich auf ein Echo in
tausend Herzen rechnen dürfen? Die Erfahrung pflegt diese Frage keines¬
wegs zu bejahen. Was die neuere Zeit an sogenannten patriotischen Dramen
hervorgetrieben, hat wohl gelegentlich seine Wirkung gethan, aber das war
auch Alles. Von einem nachhaltigen Eindruck, den sie in der Nation zurück¬
gelassen hätten, keine Spur. Wir werden auch hiervon den Grund meist einfach
in dem subjectiven Nichttonnen der Dichter suchen dürfen.

Ein Vergleich unserer Zustände mit den italienischen vor der Herstellung
des Einheitsstaats gilt jetzt empfindlichen Gemüthern für verpönt; er wird
gleichwohl in vielen Fällen nützlich, manchmal unentbehrlich sein. Das Ita¬
lien der wiener Verträge und der Restaurationen besaß eine Literatur, in welche
sich alle diejenigen Elemente flüchteten, die in einem freien Staatswesen der
Politik und dem öffentlichen Leben sich zugewandt hätten. Die Nation hatte
keine gesetzlichen Organe, ihre Wünsche und Bestrebungen kundzuthun, so wurde
die Dichtung der Mund, durch welchen sie ihnen Ausdruck gab; nicht in directer
Weise, aber in großartigen Gleichnissen, aus der eigenen Geschichte geschöpft,
in prophetischen Mahnungen, die aus vergangenen Jahrhunderten in die Ge¬
genwart herübertönten. Vergebens suchte der freie Gedanke gegen die Uner¬
bittlichkeit der starren Staatsmaschine sich aufzulehnen — und Niccolini schrieb
seinen Foscarini, eine Familientragödie, deren Held aber zugleich als ein Mär¬
tyrer der Freiheit, als ein Opfer der tyrannischen Staatsgewalt siel. Nie-
mand durfte Oestreich des Mords an der italienischen Freiheit anklagen, —
und Niccolini schrieb seinen Johann von Procida, jenes racheerfüllte Drama von
der sicilischen Vesper, bei dessen Aufführung in Florenz der östreichische Gesandte
zu seinem französischen Kollegen sagte: die Adresse lautet an Sie, aber der In¬
halt ist an uns gerichtet. Keine Tribüne bestand, auf der das weltliche Papst¬
thum als das, was es ist, als der Fluch Italiens bezeichnet werden durfte. —
und Niccolini schleuderte seinen Arnold von Brescia in die Nation, der nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/374>, abgerufen am 23.12.2024.