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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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und Phrasen zu Tage, die auf den Beifall des Augenblicks berechnet sind,
aber in keinem innerlichen Zusammenbang mit dem Stück selbst stehen, oder
die Tendenz ist so sehr die Seele des Ganzen, daß sie die künstlerische Wirkung
beeinträchtigt und ein an sich fremdes Interesse für die Mängel der drama¬
tischen Composition schadlos halten muß. Es braucht keiner Beispiele, es wird
damit nur eine bekannte Thatsache constatirt. Wir haben keine historische
Tragödie, wie wir keine historische Malerei haben, die gleichfalls als die wahr¬
haft moderne Gattung von der Kunstkritik empfohlen, von den Künstlern an¬
gestrebt wird. Lauter Versuche und kein Gelingen, lauter Wollen und Nicht-
können, Absicht und Mühe genug, aber nicht der freie, sichere Wurf, ein un¬
stetes Tasten, aber kein zielbewußtes consequentes Schaffen, dessen Früchte wir
als die würdigen Gradmesser unserer Cultur, als die rechte Signatur unserer
Zeit der Nachwelt hinterlassen könnten.

Woher dieses tcmtalusartige Sichabquälen, hier wie dort? Denn daß
aus demselben Grunde die Kränze der historischen Tragödie wie die Kränze
der historischen Malerei uns zu holen versagt ist, scheint einleuchtend. Ist
einzig das subjective Nichtkönnen unserer Künstler, das Epigonenhafte ihrer
Anlage und Bildung die Schuld, oder beruht nicht dieses Nichtkönnen selbst
wieder auf tieferen Gründen, für die nur die ganze moderne Geistesentwick¬
lung verantworlich ist? Fast sollte man es meinen, wenn man z. B. die Blüthe
der Kunst in andern Zweigen daneben hält. Bei jeder Ausstellung 'pflegt die
erste Frage zu lauten: welche Bilder großen Stils, welche historischen Ge¬
mälde? Und Jahr aus Jahr ein lautet die Antwort gleich beschämend, der
Zahl wie der Bedeutung nach, während die Wände von Genre- und Land¬
schaftsbildern bedeckt sind, unter denen immer eine gute Zahl sich findet, auf
denen das Auge von Kennern und Nichtkennern mit Freuden verweilt. Die
bekannten Ausreden mit der Kostspieligkeit und dem geringen Absatz der Ge¬
mälde großen Stils, mit den jahrelangen Studien und dem unsichern Lohn,
erklären noch nichts. Man nehme nur die Bilder, die vorhanden sind, die
ihren Käufer gefunden haben oder nicht, man nehme sie, wie sie sind. Diese
Kaiser und Könige, diese Helden und Päpste, wie kalt, wie unsäglich kalt
lassen sie uns. Wir können uns vielleicht im Einzelnen keine genaue Rechen¬
schaft von diesem Eindruck geben. Wir finden die Zeichnung richtig, die Com¬
position geistvoll, die Technik untadelig, und doch läßt uns der Anblick kalt;
es ist etwas in uns, das gegen diese nach vorn gestellten Helden reagirt, unser
Gemüth hat nichts mit ihnen zu thun, als etwas Fremdes schauen diese
Purpurmäntel und Bischofsmützen in unsere moderne Welt, wir fühlen: es ist
nicht unsere Welt. Wo nicht irgend ein stoffliches Interesse uns fesselt -- und
dann ist eben die künstlerische und die stoffliche Wirkung kaum auseinander¬
zuhalten -- werden wir uns schwer jener Empfindung erwehren. Dieser auf-


und Phrasen zu Tage, die auf den Beifall des Augenblicks berechnet sind,
aber in keinem innerlichen Zusammenbang mit dem Stück selbst stehen, oder
die Tendenz ist so sehr die Seele des Ganzen, daß sie die künstlerische Wirkung
beeinträchtigt und ein an sich fremdes Interesse für die Mängel der drama¬
tischen Composition schadlos halten muß. Es braucht keiner Beispiele, es wird
damit nur eine bekannte Thatsache constatirt. Wir haben keine historische
Tragödie, wie wir keine historische Malerei haben, die gleichfalls als die wahr¬
haft moderne Gattung von der Kunstkritik empfohlen, von den Künstlern an¬
gestrebt wird. Lauter Versuche und kein Gelingen, lauter Wollen und Nicht-
können, Absicht und Mühe genug, aber nicht der freie, sichere Wurf, ein un¬
stetes Tasten, aber kein zielbewußtes consequentes Schaffen, dessen Früchte wir
als die würdigen Gradmesser unserer Cultur, als die rechte Signatur unserer
Zeit der Nachwelt hinterlassen könnten.

Woher dieses tcmtalusartige Sichabquälen, hier wie dort? Denn daß
aus demselben Grunde die Kränze der historischen Tragödie wie die Kränze
der historischen Malerei uns zu holen versagt ist, scheint einleuchtend. Ist
einzig das subjective Nichtkönnen unserer Künstler, das Epigonenhafte ihrer
Anlage und Bildung die Schuld, oder beruht nicht dieses Nichtkönnen selbst
wieder auf tieferen Gründen, für die nur die ganze moderne Geistesentwick¬
lung verantworlich ist? Fast sollte man es meinen, wenn man z. B. die Blüthe
der Kunst in andern Zweigen daneben hält. Bei jeder Ausstellung 'pflegt die
erste Frage zu lauten: welche Bilder großen Stils, welche historischen Ge¬
mälde? Und Jahr aus Jahr ein lautet die Antwort gleich beschämend, der
Zahl wie der Bedeutung nach, während die Wände von Genre- und Land¬
schaftsbildern bedeckt sind, unter denen immer eine gute Zahl sich findet, auf
denen das Auge von Kennern und Nichtkennern mit Freuden verweilt. Die
bekannten Ausreden mit der Kostspieligkeit und dem geringen Absatz der Ge¬
mälde großen Stils, mit den jahrelangen Studien und dem unsichern Lohn,
erklären noch nichts. Man nehme nur die Bilder, die vorhanden sind, die
ihren Käufer gefunden haben oder nicht, man nehme sie, wie sie sind. Diese
Kaiser und Könige, diese Helden und Päpste, wie kalt, wie unsäglich kalt
lassen sie uns. Wir können uns vielleicht im Einzelnen keine genaue Rechen¬
schaft von diesem Eindruck geben. Wir finden die Zeichnung richtig, die Com¬
position geistvoll, die Technik untadelig, und doch läßt uns der Anblick kalt;
es ist etwas in uns, das gegen diese nach vorn gestellten Helden reagirt, unser
Gemüth hat nichts mit ihnen zu thun, als etwas Fremdes schauen diese
Purpurmäntel und Bischofsmützen in unsere moderne Welt, wir fühlen: es ist
nicht unsere Welt. Wo nicht irgend ein stoffliches Interesse uns fesselt — und
dann ist eben die künstlerische und die stoffliche Wirkung kaum auseinander¬
zuhalten — werden wir uns schwer jener Empfindung erwehren. Dieser auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/372>, abgerufen am 28.07.2024.