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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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ausübte, war weniger bedeutend als die Ursachen, welche in der allgemeinen
mangelhaften Organisation und in der dem althergebrachten Schlendrian hul¬
digenden obern Leitung des Heeres zu suchen waren.

Die meisten Regimenter und Bataillone lagen übermäßig lange Zeit
in denselben Garnisonen, welche zudem gewöhnlich nicht weit von dem
Werbebezirke der betreffenden Truppe entfernt waren. Bei den dritten und
Landwehrbataillonen war diese Stabilität fast zur ausnahmslosen Regel geworden.
Nur selten, außer in einer größeren Garnison, kam eine Truppe mit einer an¬
dern derselben Gattung in Berührung, da man bei dem damals eingeführten,
freilich auch sehr nothwendigen Ersparungssystem an eine zeitweilige Zusammen¬
ziehung größerer Truppenmassen nicht dachte. Und auch als Solches in spä¬
terer Zeit geschah und in den einzelnen Provinzen Uebungslager und größere
Manöver stattfanden, wurde entweder die Dauer derselben auf ein Minimum
beschränkt oder man suchte eben die Sache abzuthun, um der Form zu ge¬
nügen, und hatte sich auch wohl schon daran gewöhnt, diese Verschiedenheit
des Dienstbetriebes und Exercitiums der einzelnen Regimenter als eine nun
einmal bestehende und nicht abzuändernde Sache zu betrachten. Man wußte,
daß diese oder jene Truppe eine besonders vorzügliche Disciplin und militärische
Ausbildung besitze und belobte sie deshalb, man wußte auch, daß andere Trup¬
pen in dieser Hinsicht Vieles zu wünschen übrig ließen, und es fehlte auch
dann nicht an scharfen Rügen. Aber dabei blieb man stehen, und man
trachtete nicht, die minder guten Truppen auf die gleiche Höhe mit den besse¬
ren zu bringen, ja man gab sich nicht einmal die Mühe, die Ursachen dieser
Ungleichheit gründlich zu untersuchen.

Durch diesen langen Aufenthalt in einer und derselben Garnison und den
beständigen Verkehr mit den Verwandten und Landsleuten bürgerten sich die
Truppen allmälig so ein, daß man dieselben eher für die Milizen und Schützen¬
gilden irgend eines Kleinstaates, als für die jeden Augenblick zum Abmärsche
bereiten Krieger eines Militärstaates, einer Großmacht, hätte halten können.
Und konnte es anders sein, wenn, wie es sich wirklich ereignet hat, ein Re¬
giment mit allen vier Bataillonen volle zweiunddreißig Jahre in seiner Werbe-
bezirksstation und zwar in derselben Kaserne garnisonirte und während dieser
ganzen Zeit nur ein einziges Mal auf vierzehn Tage sich entfernte, als es in
ein sieben Meilen entferntes Uebungslager ziehen mußte! Als im Jahre 1846,
zur Zeit der polnischen Unruhen, ein in Prag garnisonirendes Regiment nach
Galizien abrücken sollte, liefen bei dem Obersten nicht weniger als 700 Ur¬
laubsgesuche ein, welche fast durchgängig durch die "nothwendige Schlichtung
dringender Familienangelegenheiten" motivirt worden waren. --- Wie sehr
auch die in der Neuzeit immer schroffer hervortretende Absonderung des
Militärs von den übrigen Ständen beklagt werden muß, so ist doch ein ver-


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ausübte, war weniger bedeutend als die Ursachen, welche in der allgemeinen
mangelhaften Organisation und in der dem althergebrachten Schlendrian hul¬
digenden obern Leitung des Heeres zu suchen waren.

Die meisten Regimenter und Bataillone lagen übermäßig lange Zeit
in denselben Garnisonen, welche zudem gewöhnlich nicht weit von dem
Werbebezirke der betreffenden Truppe entfernt waren. Bei den dritten und
Landwehrbataillonen war diese Stabilität fast zur ausnahmslosen Regel geworden.
Nur selten, außer in einer größeren Garnison, kam eine Truppe mit einer an¬
dern derselben Gattung in Berührung, da man bei dem damals eingeführten,
freilich auch sehr nothwendigen Ersparungssystem an eine zeitweilige Zusammen¬
ziehung größerer Truppenmassen nicht dachte. Und auch als Solches in spä¬
terer Zeit geschah und in den einzelnen Provinzen Uebungslager und größere
Manöver stattfanden, wurde entweder die Dauer derselben auf ein Minimum
beschränkt oder man suchte eben die Sache abzuthun, um der Form zu ge¬
nügen, und hatte sich auch wohl schon daran gewöhnt, diese Verschiedenheit
des Dienstbetriebes und Exercitiums der einzelnen Regimenter als eine nun
einmal bestehende und nicht abzuändernde Sache zu betrachten. Man wußte,
daß diese oder jene Truppe eine besonders vorzügliche Disciplin und militärische
Ausbildung besitze und belobte sie deshalb, man wußte auch, daß andere Trup¬
pen in dieser Hinsicht Vieles zu wünschen übrig ließen, und es fehlte auch
dann nicht an scharfen Rügen. Aber dabei blieb man stehen, und man
trachtete nicht, die minder guten Truppen auf die gleiche Höhe mit den besse¬
ren zu bringen, ja man gab sich nicht einmal die Mühe, die Ursachen dieser
Ungleichheit gründlich zu untersuchen.

Durch diesen langen Aufenthalt in einer und derselben Garnison und den
beständigen Verkehr mit den Verwandten und Landsleuten bürgerten sich die
Truppen allmälig so ein, daß man dieselben eher für die Milizen und Schützen¬
gilden irgend eines Kleinstaates, als für die jeden Augenblick zum Abmärsche
bereiten Krieger eines Militärstaates, einer Großmacht, hätte halten können.
Und konnte es anders sein, wenn, wie es sich wirklich ereignet hat, ein Re¬
giment mit allen vier Bataillonen volle zweiunddreißig Jahre in seiner Werbe-
bezirksstation und zwar in derselben Kaserne garnisonirte und während dieser
ganzen Zeit nur ein einziges Mal auf vierzehn Tage sich entfernte, als es in
ein sieben Meilen entferntes Uebungslager ziehen mußte! Als im Jahre 1846,
zur Zeit der polnischen Unruhen, ein in Prag garnisonirendes Regiment nach
Galizien abrücken sollte, liefen bei dem Obersten nicht weniger als 700 Ur¬
laubsgesuche ein, welche fast durchgängig durch die „nothwendige Schlichtung
dringender Familienangelegenheiten" motivirt worden waren. -— Wie sehr
auch die in der Neuzeit immer schroffer hervortretende Absonderung des
Militärs von den übrigen Ständen beklagt werden muß, so ist doch ein ver-


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[0347] ausübte, war weniger bedeutend als die Ursachen, welche in der allgemeinen mangelhaften Organisation und in der dem althergebrachten Schlendrian hul¬ digenden obern Leitung des Heeres zu suchen waren. Die meisten Regimenter und Bataillone lagen übermäßig lange Zeit in denselben Garnisonen, welche zudem gewöhnlich nicht weit von dem Werbebezirke der betreffenden Truppe entfernt waren. Bei den dritten und Landwehrbataillonen war diese Stabilität fast zur ausnahmslosen Regel geworden. Nur selten, außer in einer größeren Garnison, kam eine Truppe mit einer an¬ dern derselben Gattung in Berührung, da man bei dem damals eingeführten, freilich auch sehr nothwendigen Ersparungssystem an eine zeitweilige Zusammen¬ ziehung größerer Truppenmassen nicht dachte. Und auch als Solches in spä¬ terer Zeit geschah und in den einzelnen Provinzen Uebungslager und größere Manöver stattfanden, wurde entweder die Dauer derselben auf ein Minimum beschränkt oder man suchte eben die Sache abzuthun, um der Form zu ge¬ nügen, und hatte sich auch wohl schon daran gewöhnt, diese Verschiedenheit des Dienstbetriebes und Exercitiums der einzelnen Regimenter als eine nun einmal bestehende und nicht abzuändernde Sache zu betrachten. Man wußte, daß diese oder jene Truppe eine besonders vorzügliche Disciplin und militärische Ausbildung besitze und belobte sie deshalb, man wußte auch, daß andere Trup¬ pen in dieser Hinsicht Vieles zu wünschen übrig ließen, und es fehlte auch dann nicht an scharfen Rügen. Aber dabei blieb man stehen, und man trachtete nicht, die minder guten Truppen auf die gleiche Höhe mit den besse¬ ren zu bringen, ja man gab sich nicht einmal die Mühe, die Ursachen dieser Ungleichheit gründlich zu untersuchen. Durch diesen langen Aufenthalt in einer und derselben Garnison und den beständigen Verkehr mit den Verwandten und Landsleuten bürgerten sich die Truppen allmälig so ein, daß man dieselben eher für die Milizen und Schützen¬ gilden irgend eines Kleinstaates, als für die jeden Augenblick zum Abmärsche bereiten Krieger eines Militärstaates, einer Großmacht, hätte halten können. Und konnte es anders sein, wenn, wie es sich wirklich ereignet hat, ein Re¬ giment mit allen vier Bataillonen volle zweiunddreißig Jahre in seiner Werbe- bezirksstation und zwar in derselben Kaserne garnisonirte und während dieser ganzen Zeit nur ein einziges Mal auf vierzehn Tage sich entfernte, als es in ein sieben Meilen entferntes Uebungslager ziehen mußte! Als im Jahre 1846, zur Zeit der polnischen Unruhen, ein in Prag garnisonirendes Regiment nach Galizien abrücken sollte, liefen bei dem Obersten nicht weniger als 700 Ur¬ laubsgesuche ein, welche fast durchgängig durch die „nothwendige Schlichtung dringender Familienangelegenheiten" motivirt worden waren. -— Wie sehr auch die in der Neuzeit immer schroffer hervortretende Absonderung des Militärs von den übrigen Ständen beklagt werden muß, so ist doch ein ver- 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/347>, abgerufen am 28.07.2024.