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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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daß die Einigung der materiellen Interessen die sicherste Grundlage der poli¬
tischen Einigung ist, so darf unbedenklich das Verdienst davon zum größten
Theil auf jene Kämpfe zurückgeführt werden, welche die Theilnahme an diesen
Gegenständen zum ersten Mal in weiteren Kreisen erweckten. Zudem hatte die
Listsche Theorie -- abgesehen von seinen letzten Zielen überhaupt -- ein un¬
verkennbar nationales Element und bildete damit ein wohlthätiges Gegen¬
gewicht gegen die kosmopolitischen Tendenzen, an welchen wir in jenen Jahren
überhaupt tränkten. Auf den Begriff der Nationalität als des Mittelglieds zwischen
Individualität und Menschheit war ja ausdrücklich sein System der politischen
Oekonomie gegründet. Noch jetzt (Vorrede zum nationalen System) gilt ihm
die Theorie der Handelsfreiheit für richtig; nur führte ihn die augenblickliche
Lage, die Wirkungen des Continentalsystems und die Folgen seiner Aufhebung
auf den Gedanken, daß jene Theorie nur wahr sei, wenn alle Nationen wechsel¬
seitig das Princip der Handelsfreiheit befolgten; freie Concurrenz könne nur
dann zwischen zwei Nationen wohlthätig wirken, wenn beide sich auf einem
ungefähr gleichen Standpunkt der industriellen Bildung befänden. Durch ein
gemeinschaftliches Handelssystem nach außen müsse also Deutschland denjenigen
Grad von industrieller und commercieller Ausbildung zu erreichen streben, den
andere Nationen durch ihre Handelspolitik errungen hätten.

Man sieht, es ist noch ganz dieselbe Grundanschauung, die schon die ersten
Arbeiten Liste durchdrang, nur daß jetzt der letzte Zweck immer mehr zurück¬
trat, und List mit der ihm eigen-en Energie sich einzig auf das Mittel warf,
so daß dieses unvermerkt selbst zum Zweck wurde, und von hier aus die Theorie
der Handelsfreiheit, die doch der eigentliche Zielpunkt sein sollte, geradezu be¬
kämpft wurde. Hatte er im Anfang nationalen Schutz der Industrie verlangt
als ein vorübergehendes Mittel, um die andern Nationen zur Handelsfreiheit
zu zwingen, so brachte er, der Feind aller Systeme, ihn jetzt selbst in ein theo¬
retisches System, das allgemeine Geltung beanspruchte. Was er zuerst aus
ganz bestimmten Zuständen einer Epoche abgeleitet hatte, versuchte er jetzt durch
wissenschaftliche Begründung zur Dignität einer theoretischen Wahrheit zu er¬
heben. An diese Seite klammerte sich seine "Schule" fest, während sie den
großen Zusammenhang vergaß, in welchem bei List wenigstens ursprünglich
diese Ideen gestanden harten. Und ihrem Widerstand war es dann zu danken,
daß, während List die Initiative zur Einleitung der Aera der Handelsfreiheit
Deutschland zugedacht^ hatte, dieses Land weiter zurückblieb als die anderen,
und erst der handelspolitische Fortschritt der andern Nationen den Zollverein
zwingen mußte, wenn er nicht vom Weltverkehr ausgeschlossen sein wollte,
seinerseits entgegenkommende Schritte zu thun.

Wie dann List in jenem Gedankengange sich immer hartnäckiger verfing,
während doch dazwischen immer wieder die großen zu Grunde liegenden Ideen


daß die Einigung der materiellen Interessen die sicherste Grundlage der poli¬
tischen Einigung ist, so darf unbedenklich das Verdienst davon zum größten
Theil auf jene Kämpfe zurückgeführt werden, welche die Theilnahme an diesen
Gegenständen zum ersten Mal in weiteren Kreisen erweckten. Zudem hatte die
Listsche Theorie — abgesehen von seinen letzten Zielen überhaupt — ein un¬
verkennbar nationales Element und bildete damit ein wohlthätiges Gegen¬
gewicht gegen die kosmopolitischen Tendenzen, an welchen wir in jenen Jahren
überhaupt tränkten. Auf den Begriff der Nationalität als des Mittelglieds zwischen
Individualität und Menschheit war ja ausdrücklich sein System der politischen
Oekonomie gegründet. Noch jetzt (Vorrede zum nationalen System) gilt ihm
die Theorie der Handelsfreiheit für richtig; nur führte ihn die augenblickliche
Lage, die Wirkungen des Continentalsystems und die Folgen seiner Aufhebung
auf den Gedanken, daß jene Theorie nur wahr sei, wenn alle Nationen wechsel¬
seitig das Princip der Handelsfreiheit befolgten; freie Concurrenz könne nur
dann zwischen zwei Nationen wohlthätig wirken, wenn beide sich auf einem
ungefähr gleichen Standpunkt der industriellen Bildung befänden. Durch ein
gemeinschaftliches Handelssystem nach außen müsse also Deutschland denjenigen
Grad von industrieller und commercieller Ausbildung zu erreichen streben, den
andere Nationen durch ihre Handelspolitik errungen hätten.

Man sieht, es ist noch ganz dieselbe Grundanschauung, die schon die ersten
Arbeiten Liste durchdrang, nur daß jetzt der letzte Zweck immer mehr zurück¬
trat, und List mit der ihm eigen-en Energie sich einzig auf das Mittel warf,
so daß dieses unvermerkt selbst zum Zweck wurde, und von hier aus die Theorie
der Handelsfreiheit, die doch der eigentliche Zielpunkt sein sollte, geradezu be¬
kämpft wurde. Hatte er im Anfang nationalen Schutz der Industrie verlangt
als ein vorübergehendes Mittel, um die andern Nationen zur Handelsfreiheit
zu zwingen, so brachte er, der Feind aller Systeme, ihn jetzt selbst in ein theo¬
retisches System, das allgemeine Geltung beanspruchte. Was er zuerst aus
ganz bestimmten Zuständen einer Epoche abgeleitet hatte, versuchte er jetzt durch
wissenschaftliche Begründung zur Dignität einer theoretischen Wahrheit zu er¬
heben. An diese Seite klammerte sich seine „Schule" fest, während sie den
großen Zusammenhang vergaß, in welchem bei List wenigstens ursprünglich
diese Ideen gestanden harten. Und ihrem Widerstand war es dann zu danken,
daß, während List die Initiative zur Einleitung der Aera der Handelsfreiheit
Deutschland zugedacht^ hatte, dieses Land weiter zurückblieb als die anderen,
und erst der handelspolitische Fortschritt der andern Nationen den Zollverein
zwingen mußte, wenn er nicht vom Weltverkehr ausgeschlossen sein wollte,
seinerseits entgegenkommende Schritte zu thun.

Wie dann List in jenem Gedankengange sich immer hartnäckiger verfing,
während doch dazwischen immer wieder die großen zu Grunde liegenden Ideen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/336>, abgerufen am 28.07.2024.