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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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widerlegt, durch die praktische Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens über¬
holt; aber das Große und Bleibende an seiner Wirksamkeit ist der gewaltige
Anstoß, den er auf allen Punkten des wirthschaftlichen Lebens der Nation
gegeben, die bis dahin unerhörte Energie, die ein Privatmann mittelst der
Presse und persönlicher Agitation entfaltete, um seine schöpferischen Lehren, die
der Wiedergeburt der Nation in ihrem ganzen Umfang galten, so lange zu
wiederholen, bis sie in das Blut des Volks übergegangen und durch dessen
rechtmäßige Organe ins Leben geführt wären, Ideen, die denn auch heute zu
einem großen Theile praktisch geworden sind, und deren volle Verwirklichung
vielleicht einem nahen Geschlechte beschieden ist. Wir können heute nicht mehr
entscheiden, ob List das geworden wäre, was er wurde, ohne die Einseitigkeiten
in seinem Wesen und Wirken. Aber gerade dies scheint mit zu der Art der
Reformatoren zu gehören, daß sie mitten in ihrem Drang nach Entfesselung
selbst wieder neue willkürliche Schranken setzen, gleichsam um einen festeren An¬
haltepunkt für ihren Kampf zu haben, oder damit das allgemeine Gesetz daran
offenbar würde, daß aller Fortschritt nur in ganz bestimmten Absätzen geschehe.
An den nachfolgenden Geschlechtern ist es dann, auch diese neuen künstlichen
Dämme wegzuräumen und den Ideen, die eine reformatorische Kraft in die
Welt geworfen, ungehemmten Lauf zu verschaffen.

Es mag gerade in diesen Tagen nicht unpassend sein, an die einfachen
großen Gedanken wieder zu erinnern, die Lifts ganzer Wirksamkeit zu Grunde
lagen, im Gegensatz gegen die theoretischen Verrenkungen, auf welche sich heute
noch seine angeblichen Jünger berufen. Denn auch das pflegt zum Schicksal
eines Reformators zu gehören, daß eine zünftige Jüngerschaft sich gerade an
das Kleine, Unfreie, Beschränkte in dessen Wirken anklammert. Was List wollte,
hat er im Grunde schon vollständig und klar in der Eingabe ausgesprochen,
die er im Jahre 1819 im Namen des deutschen Handels- und Gewerbevereins
für den Bundestag verfaßte. Es sind überhaupt nur wenige Sätze, die er
immer und immer wiederholte, hier und dort eindringlich befürwortete und
später nur historisch und theoretisch weiter zu begründen suchte. Ausgehend
von dem trostlosen Zustande des wirthschaftlichen Lebens in Deutschland nach
Aufhebung der Kontinentalsperre sieht er die Ursache des Uebels einzig in den
Mängeln der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland. Vernünftige Freiheit
sei die Bedingung aller physischen und geistigen Entwicklung. Wie der mensch¬
liche Geist niedergehalten wird durch Bande des Gedankenverkehrs, so wird
der Wohlstand der Völker gebeugt durch Fesseln, welche der Production und
dem Verkehr materieller Güter angelegt werden. Nur alsdann werden die
Völker der Erde den höchsten Grad des Physischen Wohlstands erreichen,
wenn sie allgemeinen freien, unbeschränkten Handelsverkehr unter sich festsetzen.
Wollen sie sich aber gegenseitig recht schwächen, so müssen sie nicht nur die Ein-


widerlegt, durch die praktische Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens über¬
holt; aber das Große und Bleibende an seiner Wirksamkeit ist der gewaltige
Anstoß, den er auf allen Punkten des wirthschaftlichen Lebens der Nation
gegeben, die bis dahin unerhörte Energie, die ein Privatmann mittelst der
Presse und persönlicher Agitation entfaltete, um seine schöpferischen Lehren, die
der Wiedergeburt der Nation in ihrem ganzen Umfang galten, so lange zu
wiederholen, bis sie in das Blut des Volks übergegangen und durch dessen
rechtmäßige Organe ins Leben geführt wären, Ideen, die denn auch heute zu
einem großen Theile praktisch geworden sind, und deren volle Verwirklichung
vielleicht einem nahen Geschlechte beschieden ist. Wir können heute nicht mehr
entscheiden, ob List das geworden wäre, was er wurde, ohne die Einseitigkeiten
in seinem Wesen und Wirken. Aber gerade dies scheint mit zu der Art der
Reformatoren zu gehören, daß sie mitten in ihrem Drang nach Entfesselung
selbst wieder neue willkürliche Schranken setzen, gleichsam um einen festeren An¬
haltepunkt für ihren Kampf zu haben, oder damit das allgemeine Gesetz daran
offenbar würde, daß aller Fortschritt nur in ganz bestimmten Absätzen geschehe.
An den nachfolgenden Geschlechtern ist es dann, auch diese neuen künstlichen
Dämme wegzuräumen und den Ideen, die eine reformatorische Kraft in die
Welt geworfen, ungehemmten Lauf zu verschaffen.

Es mag gerade in diesen Tagen nicht unpassend sein, an die einfachen
großen Gedanken wieder zu erinnern, die Lifts ganzer Wirksamkeit zu Grunde
lagen, im Gegensatz gegen die theoretischen Verrenkungen, auf welche sich heute
noch seine angeblichen Jünger berufen. Denn auch das pflegt zum Schicksal
eines Reformators zu gehören, daß eine zünftige Jüngerschaft sich gerade an
das Kleine, Unfreie, Beschränkte in dessen Wirken anklammert. Was List wollte,
hat er im Grunde schon vollständig und klar in der Eingabe ausgesprochen,
die er im Jahre 1819 im Namen des deutschen Handels- und Gewerbevereins
für den Bundestag verfaßte. Es sind überhaupt nur wenige Sätze, die er
immer und immer wiederholte, hier und dort eindringlich befürwortete und
später nur historisch und theoretisch weiter zu begründen suchte. Ausgehend
von dem trostlosen Zustande des wirthschaftlichen Lebens in Deutschland nach
Aufhebung der Kontinentalsperre sieht er die Ursache des Uebels einzig in den
Mängeln der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland. Vernünftige Freiheit
sei die Bedingung aller physischen und geistigen Entwicklung. Wie der mensch¬
liche Geist niedergehalten wird durch Bande des Gedankenverkehrs, so wird
der Wohlstand der Völker gebeugt durch Fesseln, welche der Production und
dem Verkehr materieller Güter angelegt werden. Nur alsdann werden die
Völker der Erde den höchsten Grad des Physischen Wohlstands erreichen,
wenn sie allgemeinen freien, unbeschränkten Handelsverkehr unter sich festsetzen.
Wollen sie sich aber gegenseitig recht schwächen, so müssen sie nicht nur die Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/332>, abgerufen am 28.07.2024.