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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Erfindung. "Auf preußischer Seite waren 1 Hauptmann. 2 Unteroffiziere und
31 Soldaten außer Kampf gesetzt." Es ward nämlich einem Soldaten die'
Achselklappe weggeschossen und die Schulter leicht gestreift. "Die weniger
zahlreichen Nüssen" -- es war kein einziger von ihnen auf dem Platze --
"hatten nur 7 Mann, worunter ein Unterlieutenant, kampfunfähig. Die Preußen
nahmen 14 Mann, unter denen ein Franzose, Herr Henri Sudeix. gefangen.
Die 13 Polen wurden mit Bayoncttstichen umgebracht, und Herr Sudeix, der
meine Sensenmänner befehligte, den Russen überliefert. Er wurde von diesen
vollständig entkleidet und dann von dem commandirenden Generalmajor beordert,
in diesem Zustande fortzugehen. Kaum hatte er aber vier Schritte gethan, als
er auf der Rückseite von Kugeln durchbohrt todt niederstürzte." Sie wissen, daß
man siebzig Gefangene nach demselben Miloslaw brachte, wo am Abend vor
dem versuchten Uebergange die morgende Heldenthat bei Wein und Punsch ge¬
feiert worden war. Ausgeliefert ist Niemand worden. Was hätte es auch für
Sinn, den Russen einen Franzosen zu überliefern. "Dies ist die genaue Wahr¬
heit über die zwei Kämpfe, welche ohne Provocation unsrerseits Morgens um
drei Uhr auf preußischem Gebiet stattfanden."

Das geht doch übe'' allen Montalembertaber es ist eine beachtens-
werthe Illustration zu den Berichten, welche uns polnische und französische Fe¬
dern über jenseitige Vorgänge bringen. Herr Nochebune-Rochebun, wie er sich
nennt, wird kein Jota weniger dichten als der phantasievolle Bricfcouvertfabri-
kant im Fcldherrnmantel.

Habe ich Herrn Ganier für einige heitere Minuten zu danken, so bin ich
der "Nationalregierung" einen viel ernsteren und wärmeren Dank schuldig. Ihr
letztes Manifest dürfte unserer Sache hier größere Dienste thun, als es das wärmste
Plaidoyer vermag. Die Schlesische Zeitung, die sich besonders gründlich mit den
Angelegenheiten Polens und Posens beschäftigt, fragt in ihrem letzten Leitartikel:
"Haben denn die Führer der polnischen Bewegung wirklich nichts gelernt und nichts
vergessen?" Gewiß nicht, verehrteste Freundin; Sie brauchen blos eine Stunde
offen mit einem Polen zu reden, um sich davon zu überzeugen. Weil der
ganze polnische Patriotismus mehr ein" Spiel der Phantasie, als ein tiefes
Gefühl ist, weil er nirgends festen Boden hat, noch je dazu gekommen ist, seine
Zwecke, wie seine Mittel ruhig zu prüfen, so vermag er es nicht, sich je
zu mäßigen und zu beschränken. Dem Unmöglichen nachjagend, gelangt er nie
dazu, das Mögliche beherzt beim Schöpfe zu fassen. Die Idee der Grenzen von
1772 ist etwas so Vages, wie die polnische Freiheit. -- Wo bleiben nun aber vor
der lauten Forderung derselben jene Betheuerungen. daß es sich beim gegen¬
wärtigen Aufstande nur um Congreßpolen handle? wo die Treuherzigkeit der¬
jenigen, die uns darüber schalten, daß wir sagten, das sei ja dem Polen gar nicht
möglich? ,


Erfindung. „Auf preußischer Seite waren 1 Hauptmann. 2 Unteroffiziere und
31 Soldaten außer Kampf gesetzt." Es ward nämlich einem Soldaten die'
Achselklappe weggeschossen und die Schulter leicht gestreift. „Die weniger
zahlreichen Nüssen" — es war kein einziger von ihnen auf dem Platze —
„hatten nur 7 Mann, worunter ein Unterlieutenant, kampfunfähig. Die Preußen
nahmen 14 Mann, unter denen ein Franzose, Herr Henri Sudeix. gefangen.
Die 13 Polen wurden mit Bayoncttstichen umgebracht, und Herr Sudeix, der
meine Sensenmänner befehligte, den Russen überliefert. Er wurde von diesen
vollständig entkleidet und dann von dem commandirenden Generalmajor beordert,
in diesem Zustande fortzugehen. Kaum hatte er aber vier Schritte gethan, als
er auf der Rückseite von Kugeln durchbohrt todt niederstürzte." Sie wissen, daß
man siebzig Gefangene nach demselben Miloslaw brachte, wo am Abend vor
dem versuchten Uebergange die morgende Heldenthat bei Wein und Punsch ge¬
feiert worden war. Ausgeliefert ist Niemand worden. Was hätte es auch für
Sinn, den Russen einen Franzosen zu überliefern. „Dies ist die genaue Wahr¬
heit über die zwei Kämpfe, welche ohne Provocation unsrerseits Morgens um
drei Uhr auf preußischem Gebiet stattfanden."

Das geht doch übe'' allen Montalembertaber es ist eine beachtens-
werthe Illustration zu den Berichten, welche uns polnische und französische Fe¬
dern über jenseitige Vorgänge bringen. Herr Nochebune-Rochebun, wie er sich
nennt, wird kein Jota weniger dichten als der phantasievolle Bricfcouvertfabri-
kant im Fcldherrnmantel.

Habe ich Herrn Ganier für einige heitere Minuten zu danken, so bin ich
der „Nationalregierung" einen viel ernsteren und wärmeren Dank schuldig. Ihr
letztes Manifest dürfte unserer Sache hier größere Dienste thun, als es das wärmste
Plaidoyer vermag. Die Schlesische Zeitung, die sich besonders gründlich mit den
Angelegenheiten Polens und Posens beschäftigt, fragt in ihrem letzten Leitartikel:
„Haben denn die Führer der polnischen Bewegung wirklich nichts gelernt und nichts
vergessen?" Gewiß nicht, verehrteste Freundin; Sie brauchen blos eine Stunde
offen mit einem Polen zu reden, um sich davon zu überzeugen. Weil der
ganze polnische Patriotismus mehr ein« Spiel der Phantasie, als ein tiefes
Gefühl ist, weil er nirgends festen Boden hat, noch je dazu gekommen ist, seine
Zwecke, wie seine Mittel ruhig zu prüfen, so vermag er es nicht, sich je
zu mäßigen und zu beschränken. Dem Unmöglichen nachjagend, gelangt er nie
dazu, das Mögliche beherzt beim Schöpfe zu fassen. Die Idee der Grenzen von
1772 ist etwas so Vages, wie die polnische Freiheit. — Wo bleiben nun aber vor
der lauten Forderung derselben jene Betheuerungen. daß es sich beim gegen¬
wärtigen Aufstande nur um Congreßpolen handle? wo die Treuherzigkeit der¬
jenigen, die uns darüber schalten, daß wir sagten, das sei ja dem Polen gar nicht
möglich? ,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/320>, abgerufen am 28.07.2024.