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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Braten und Ungarwein ausruht, suchen auch die Leute ihr Vergnügen. Ein¬
zelne Störungen, Streitigkeiten, welche auch wohl das Einschreiten der stets in
größerer Zahl anwesenden Gensdarmen nöthig machen, fehlen nie. Diesmal
aber kam es zum Widerstand gegen die Gensdarmerie. Diese konnte des Tu¬
multes nicht Herr werden, und erst Militär hat Ruhe geschafft, das aus der
nächsten Stadt kam. Es fanden dann zwanzig Verhaftungen statt.

Räthselhaft ist ein andrer Vorgang, und es wird dem Kreisgericht Gnesen
obliegen zu untersuchen, ob wir es mit einem rohen Spaß oder mit einem
wirklichen Verbrechen zu thun haben. Sechs Handwerksgesellen, welche gemein¬
schaftlich spazieren gehen, gerathen plötzlich in Streit; fünf von ihnen rotten sich
wider den sechsten. Sie bilden einen ordentlichen Gerichtshof, dem Einer von
ihnen präsidire, und leiten ein Verfahren wegen Verrätherei wider jenen ein.
Vergeblich macht ein Andrer den freundlichen Vorschlag, den Sünder zu hauen;
er werde dann vielleicht noch "herüber" gehen. Einige der Burschen waren
nämlich drüben gewesen; diese dringen auf das Todesurtheil, das auch sofort
executire werden sollte. Zum Glück gelang dem Geängsteten die Flucht; ihm
muß das Ding als Ernst erschienen sein, denn er hat sofort denuncirt und die
Verhaftung seiner Quälgeister herbeigeführt. Von diesen haben zwei oder drei
deutsche Namen, die überhaupt weder hier, noch drüben unter den Agitatoren
ganz selten sind; und sind sie einmal polnische Parteigänger, dann sind sie es
auch mit doppelter Bitterkeit.

Neulich schrieb ich Ihnen von den evangelischen Polen. Ihre Kirchen,
ihre Pfarrsysteme, die sorgfältige Bewahrung ihrer Muttersprache in Schule
und Kirche danken sie fast nur dem deutschen Gustav-Adolphs-Verein, und wäh¬
rend dieser eben jetzt jenen Polen als Polen neue Liebe zuwendet, lesen wir
in krakauer und galizischen Blättern, daß der Gustav-Adolphs-Verein ein Haupt¬
mittel sei, die Polen um ihre Sprache zu betrügen. Die Wahrhaftigkeit steht
nicht im Dienste der polnischen Agitation.

Der Held von Czeste, der wackere Briefcouvertfabrikant Georg Ganier
aus Paris, hat bekanntlich in jener glorreichen Schlacht nichts für drin¬
gender erachtet, als dem französischen Volke einen edeln Bürger, dem polnischen
einen tapferen Bundesgenossen zu erhalten. Es ist ihm gelungen. Die po-
sener Freunde aber waren stark ungehalten, daß er sie durch sein ebenso unsin¬
niges wie feiges Benehmen um die Frucht wochenlanger Mühen und großer Opfer
betrogen hatte; sie schössen Geld zusammen und spedirten den Obersten nach
Paris zurück. Dieser aber hat, ehe er sich entschließen konnte, das Falzbein wieder
statt des Schwertes zur Hand zu nehmen, Europa mit einer Beschreibung jener
Niederlage beglückt, für die wir ihm gar nicht genug danken können. Erlauben
Sie mir dies Cabinetstück durch die Aufnahme in die grünen Blätter frisch zu
erhalten. "Da ich mich," schreibt der große Mann an den Redacteur des


Braten und Ungarwein ausruht, suchen auch die Leute ihr Vergnügen. Ein¬
zelne Störungen, Streitigkeiten, welche auch wohl das Einschreiten der stets in
größerer Zahl anwesenden Gensdarmen nöthig machen, fehlen nie. Diesmal
aber kam es zum Widerstand gegen die Gensdarmerie. Diese konnte des Tu¬
multes nicht Herr werden, und erst Militär hat Ruhe geschafft, das aus der
nächsten Stadt kam. Es fanden dann zwanzig Verhaftungen statt.

Räthselhaft ist ein andrer Vorgang, und es wird dem Kreisgericht Gnesen
obliegen zu untersuchen, ob wir es mit einem rohen Spaß oder mit einem
wirklichen Verbrechen zu thun haben. Sechs Handwerksgesellen, welche gemein¬
schaftlich spazieren gehen, gerathen plötzlich in Streit; fünf von ihnen rotten sich
wider den sechsten. Sie bilden einen ordentlichen Gerichtshof, dem Einer von
ihnen präsidire, und leiten ein Verfahren wegen Verrätherei wider jenen ein.
Vergeblich macht ein Andrer den freundlichen Vorschlag, den Sünder zu hauen;
er werde dann vielleicht noch „herüber" gehen. Einige der Burschen waren
nämlich drüben gewesen; diese dringen auf das Todesurtheil, das auch sofort
executire werden sollte. Zum Glück gelang dem Geängsteten die Flucht; ihm
muß das Ding als Ernst erschienen sein, denn er hat sofort denuncirt und die
Verhaftung seiner Quälgeister herbeigeführt. Von diesen haben zwei oder drei
deutsche Namen, die überhaupt weder hier, noch drüben unter den Agitatoren
ganz selten sind; und sind sie einmal polnische Parteigänger, dann sind sie es
auch mit doppelter Bitterkeit.

Neulich schrieb ich Ihnen von den evangelischen Polen. Ihre Kirchen,
ihre Pfarrsysteme, die sorgfältige Bewahrung ihrer Muttersprache in Schule
und Kirche danken sie fast nur dem deutschen Gustav-Adolphs-Verein, und wäh¬
rend dieser eben jetzt jenen Polen als Polen neue Liebe zuwendet, lesen wir
in krakauer und galizischen Blättern, daß der Gustav-Adolphs-Verein ein Haupt¬
mittel sei, die Polen um ihre Sprache zu betrügen. Die Wahrhaftigkeit steht
nicht im Dienste der polnischen Agitation.

Der Held von Czeste, der wackere Briefcouvertfabrikant Georg Ganier
aus Paris, hat bekanntlich in jener glorreichen Schlacht nichts für drin¬
gender erachtet, als dem französischen Volke einen edeln Bürger, dem polnischen
einen tapferen Bundesgenossen zu erhalten. Es ist ihm gelungen. Die po-
sener Freunde aber waren stark ungehalten, daß er sie durch sein ebenso unsin¬
niges wie feiges Benehmen um die Frucht wochenlanger Mühen und großer Opfer
betrogen hatte; sie schössen Geld zusammen und spedirten den Obersten nach
Paris zurück. Dieser aber hat, ehe er sich entschließen konnte, das Falzbein wieder
statt des Schwertes zur Hand zu nehmen, Europa mit einer Beschreibung jener
Niederlage beglückt, für die wir ihm gar nicht genug danken können. Erlauben
Sie mir dies Cabinetstück durch die Aufnahme in die grünen Blätter frisch zu
erhalten. „Da ich mich," schreibt der große Mann an den Redacteur des


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[0318] Braten und Ungarwein ausruht, suchen auch die Leute ihr Vergnügen. Ein¬ zelne Störungen, Streitigkeiten, welche auch wohl das Einschreiten der stets in größerer Zahl anwesenden Gensdarmen nöthig machen, fehlen nie. Diesmal aber kam es zum Widerstand gegen die Gensdarmerie. Diese konnte des Tu¬ multes nicht Herr werden, und erst Militär hat Ruhe geschafft, das aus der nächsten Stadt kam. Es fanden dann zwanzig Verhaftungen statt. Räthselhaft ist ein andrer Vorgang, und es wird dem Kreisgericht Gnesen obliegen zu untersuchen, ob wir es mit einem rohen Spaß oder mit einem wirklichen Verbrechen zu thun haben. Sechs Handwerksgesellen, welche gemein¬ schaftlich spazieren gehen, gerathen plötzlich in Streit; fünf von ihnen rotten sich wider den sechsten. Sie bilden einen ordentlichen Gerichtshof, dem Einer von ihnen präsidire, und leiten ein Verfahren wegen Verrätherei wider jenen ein. Vergeblich macht ein Andrer den freundlichen Vorschlag, den Sünder zu hauen; er werde dann vielleicht noch „herüber" gehen. Einige der Burschen waren nämlich drüben gewesen; diese dringen auf das Todesurtheil, das auch sofort executire werden sollte. Zum Glück gelang dem Geängsteten die Flucht; ihm muß das Ding als Ernst erschienen sein, denn er hat sofort denuncirt und die Verhaftung seiner Quälgeister herbeigeführt. Von diesen haben zwei oder drei deutsche Namen, die überhaupt weder hier, noch drüben unter den Agitatoren ganz selten sind; und sind sie einmal polnische Parteigänger, dann sind sie es auch mit doppelter Bitterkeit. Neulich schrieb ich Ihnen von den evangelischen Polen. Ihre Kirchen, ihre Pfarrsysteme, die sorgfältige Bewahrung ihrer Muttersprache in Schule und Kirche danken sie fast nur dem deutschen Gustav-Adolphs-Verein, und wäh¬ rend dieser eben jetzt jenen Polen als Polen neue Liebe zuwendet, lesen wir in krakauer und galizischen Blättern, daß der Gustav-Adolphs-Verein ein Haupt¬ mittel sei, die Polen um ihre Sprache zu betrügen. Die Wahrhaftigkeit steht nicht im Dienste der polnischen Agitation. Der Held von Czeste, der wackere Briefcouvertfabrikant Georg Ganier aus Paris, hat bekanntlich in jener glorreichen Schlacht nichts für drin¬ gender erachtet, als dem französischen Volke einen edeln Bürger, dem polnischen einen tapferen Bundesgenossen zu erhalten. Es ist ihm gelungen. Die po- sener Freunde aber waren stark ungehalten, daß er sie durch sein ebenso unsin¬ niges wie feiges Benehmen um die Frucht wochenlanger Mühen und großer Opfer betrogen hatte; sie schössen Geld zusammen und spedirten den Obersten nach Paris zurück. Dieser aber hat, ehe er sich entschließen konnte, das Falzbein wieder statt des Schwertes zur Hand zu nehmen, Europa mit einer Beschreibung jener Niederlage beglückt, für die wir ihm gar nicht genug danken können. Erlauben Sie mir dies Cabinetstück durch die Aufnahme in die grünen Blätter frisch zu erhalten. „Da ich mich," schreibt der große Mann an den Redacteur des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/318>, abgerufen am 28.07.2024.