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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Raum und Nahrung finden können. Die Nachkommen eines einzigen Pflanzen¬
individuums oder selbst einer selten gebärenden Thierform würden nach einigen
Generationen sich ins Unglaubliche vermehren; jede einzelne Form wäre im
Stande, in verhältnißmäßig kurzer Zeit die Erde dicht zu bevölkern. Da dies
factisch nicht der Fall ist, so folgt ohne weiteres, daß immerfort enorme Zah¬
len von Organismen aller Art untergehen; auch hier sind die verhältnißmäßig
sehr wenigen überlebenden die stärksten, die dem Kampf gegen die Mitbewerber
am meisten gewachsen sind. Die Pflanzen machen sich gegenseitig den Raum
streitig, die einen wachsen rasch, verdunkeln die anderen und entziehen ihnen
die Nahrung, bis sie endlich eingehen, jeder verunkrautete Garten liefert dafür
lehrreiche Beispiele; in jedem Hochwald bleiben in letzter Instanz nur diejenigen
Bäume übrig, welche den raschesten und kräftigsten Wuchs haben, die anderen
zurückgedrängten gehen ein, hinterlassen keine Nachkommen. Aber nicht blos
der rasche Wuchs, auch die Fähigkeit mit mehr oder weniger Licht, mit mehr
oder weniger Feuchtigkeit noch gedeihen zu können, wird in diesem Kampf des
gegenseitigen Verdrängens entscheidend. Bei den Thieren tritt der Kampf schon
deutlicher hervor, aber er ist auch hier viel allgemeiner als es anfangs scheint.
Auf einem gegebenen Areal wird das stärkere Individuum einer Raubthierart den
schwächeren die Beute wegfangen und sich stärker vermehren, seine Nachkommen
erfolgreicher vertheidigen als andere, und diese werden ihrerseits die größere
Kraft und Geschicklichkeit der Eltern geerbt haben und andere schwächere auf
neuen Revieren verdrängen, ins zuletzt überhaupt alle schwächeren verschwunden
sind; in diesem Kampf wird jeder Vorzug geltend gemacht, eine spitzere, härtere
Klaue, ein rascherer Sprung, eine feinere Nase wird dem Besitzer gelegentlich
zum Siege verhelfen. Unter den Pflanzenfressern werden die stärkeren Individuen
ihren Nachbarn das Futter streitig machen, sie werden sich besser vertheidigen
gegen Raubthiere, oder sie haben raschere Beine zur Flucht. Alle körperlichen
Vortheile können unterstützt oder aufgewogen werden durch die mehr oder' min¬
der individuell ausgebildeten Instinkte, erbliche Schlauheit und List wird dem
schwachen Geschlecht endlich unter Umständen selbst über kräftigere, aber plumpere
Gegner den Sieg verschaffen.

Da nun im Laufe unzähliger Generationen immer nur die am besten aus¬
gerüsteten Individuen sich fortpflanzen, da jede neue Eigenschaft, welche ihrem
Besitzer dienlich ist, durch Erbschaft seinen Nachkommen zu Gute kommt, so
muß endlich bei allen übrig bleibenden Organismen ein äußerst hoher Grad
von Adaptation eintreten; nach so harten Proben, welche jede Descendenten¬
reihe im Laufe der Zeit besteht, bleibt endlich nur das Erprobteste und dem
allseitigen Kampf Gewachsene übrig. Aber es ist auch ersichtlich, daß die natür¬
liche Auswahl eine fortwährende Steigerung der ganzen organischen Welt be¬
wirkt; sie ist die nächste Ursache der zunehmenden Vollkommenheit der Thier-


Raum und Nahrung finden können. Die Nachkommen eines einzigen Pflanzen¬
individuums oder selbst einer selten gebärenden Thierform würden nach einigen
Generationen sich ins Unglaubliche vermehren; jede einzelne Form wäre im
Stande, in verhältnißmäßig kurzer Zeit die Erde dicht zu bevölkern. Da dies
factisch nicht der Fall ist, so folgt ohne weiteres, daß immerfort enorme Zah¬
len von Organismen aller Art untergehen; auch hier sind die verhältnißmäßig
sehr wenigen überlebenden die stärksten, die dem Kampf gegen die Mitbewerber
am meisten gewachsen sind. Die Pflanzen machen sich gegenseitig den Raum
streitig, die einen wachsen rasch, verdunkeln die anderen und entziehen ihnen
die Nahrung, bis sie endlich eingehen, jeder verunkrautete Garten liefert dafür
lehrreiche Beispiele; in jedem Hochwald bleiben in letzter Instanz nur diejenigen
Bäume übrig, welche den raschesten und kräftigsten Wuchs haben, die anderen
zurückgedrängten gehen ein, hinterlassen keine Nachkommen. Aber nicht blos
der rasche Wuchs, auch die Fähigkeit mit mehr oder weniger Licht, mit mehr
oder weniger Feuchtigkeit noch gedeihen zu können, wird in diesem Kampf des
gegenseitigen Verdrängens entscheidend. Bei den Thieren tritt der Kampf schon
deutlicher hervor, aber er ist auch hier viel allgemeiner als es anfangs scheint.
Auf einem gegebenen Areal wird das stärkere Individuum einer Raubthierart den
schwächeren die Beute wegfangen und sich stärker vermehren, seine Nachkommen
erfolgreicher vertheidigen als andere, und diese werden ihrerseits die größere
Kraft und Geschicklichkeit der Eltern geerbt haben und andere schwächere auf
neuen Revieren verdrängen, ins zuletzt überhaupt alle schwächeren verschwunden
sind; in diesem Kampf wird jeder Vorzug geltend gemacht, eine spitzere, härtere
Klaue, ein rascherer Sprung, eine feinere Nase wird dem Besitzer gelegentlich
zum Siege verhelfen. Unter den Pflanzenfressern werden die stärkeren Individuen
ihren Nachbarn das Futter streitig machen, sie werden sich besser vertheidigen
gegen Raubthiere, oder sie haben raschere Beine zur Flucht. Alle körperlichen
Vortheile können unterstützt oder aufgewogen werden durch die mehr oder' min¬
der individuell ausgebildeten Instinkte, erbliche Schlauheit und List wird dem
schwachen Geschlecht endlich unter Umständen selbst über kräftigere, aber plumpere
Gegner den Sieg verschaffen.

Da nun im Laufe unzähliger Generationen immer nur die am besten aus¬
gerüsteten Individuen sich fortpflanzen, da jede neue Eigenschaft, welche ihrem
Besitzer dienlich ist, durch Erbschaft seinen Nachkommen zu Gute kommt, so
muß endlich bei allen übrig bleibenden Organismen ein äußerst hoher Grad
von Adaptation eintreten; nach so harten Proben, welche jede Descendenten¬
reihe im Laufe der Zeit besteht, bleibt endlich nur das Erprobteste und dem
allseitigen Kampf Gewachsene übrig. Aber es ist auch ersichtlich, daß die natür¬
liche Auswahl eine fortwährende Steigerung der ganzen organischen Welt be¬
wirkt; sie ist die nächste Ursache der zunehmenden Vollkommenheit der Thier-


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[0311] Raum und Nahrung finden können. Die Nachkommen eines einzigen Pflanzen¬ individuums oder selbst einer selten gebärenden Thierform würden nach einigen Generationen sich ins Unglaubliche vermehren; jede einzelne Form wäre im Stande, in verhältnißmäßig kurzer Zeit die Erde dicht zu bevölkern. Da dies factisch nicht der Fall ist, so folgt ohne weiteres, daß immerfort enorme Zah¬ len von Organismen aller Art untergehen; auch hier sind die verhältnißmäßig sehr wenigen überlebenden die stärksten, die dem Kampf gegen die Mitbewerber am meisten gewachsen sind. Die Pflanzen machen sich gegenseitig den Raum streitig, die einen wachsen rasch, verdunkeln die anderen und entziehen ihnen die Nahrung, bis sie endlich eingehen, jeder verunkrautete Garten liefert dafür lehrreiche Beispiele; in jedem Hochwald bleiben in letzter Instanz nur diejenigen Bäume übrig, welche den raschesten und kräftigsten Wuchs haben, die anderen zurückgedrängten gehen ein, hinterlassen keine Nachkommen. Aber nicht blos der rasche Wuchs, auch die Fähigkeit mit mehr oder weniger Licht, mit mehr oder weniger Feuchtigkeit noch gedeihen zu können, wird in diesem Kampf des gegenseitigen Verdrängens entscheidend. Bei den Thieren tritt der Kampf schon deutlicher hervor, aber er ist auch hier viel allgemeiner als es anfangs scheint. Auf einem gegebenen Areal wird das stärkere Individuum einer Raubthierart den schwächeren die Beute wegfangen und sich stärker vermehren, seine Nachkommen erfolgreicher vertheidigen als andere, und diese werden ihrerseits die größere Kraft und Geschicklichkeit der Eltern geerbt haben und andere schwächere auf neuen Revieren verdrängen, ins zuletzt überhaupt alle schwächeren verschwunden sind; in diesem Kampf wird jeder Vorzug geltend gemacht, eine spitzere, härtere Klaue, ein rascherer Sprung, eine feinere Nase wird dem Besitzer gelegentlich zum Siege verhelfen. Unter den Pflanzenfressern werden die stärkeren Individuen ihren Nachbarn das Futter streitig machen, sie werden sich besser vertheidigen gegen Raubthiere, oder sie haben raschere Beine zur Flucht. Alle körperlichen Vortheile können unterstützt oder aufgewogen werden durch die mehr oder' min¬ der individuell ausgebildeten Instinkte, erbliche Schlauheit und List wird dem schwachen Geschlecht endlich unter Umständen selbst über kräftigere, aber plumpere Gegner den Sieg verschaffen. Da nun im Laufe unzähliger Generationen immer nur die am besten aus¬ gerüsteten Individuen sich fortpflanzen, da jede neue Eigenschaft, welche ihrem Besitzer dienlich ist, durch Erbschaft seinen Nachkommen zu Gute kommt, so muß endlich bei allen übrig bleibenden Organismen ein äußerst hoher Grad von Adaptation eintreten; nach so harten Proben, welche jede Descendenten¬ reihe im Laufe der Zeit besteht, bleibt endlich nur das Erprobteste und dem allseitigen Kampf Gewachsene übrig. Aber es ist auch ersichtlich, daß die natür¬ liche Auswahl eine fortwährende Steigerung der ganzen organischen Welt be¬ wirkt; sie ist die nächste Ursache der zunehmenden Vollkommenheit der Thier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/311>, abgerufen am 28.07.2024.