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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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sehr vollkommene, aber doch niemals eine absolut unübertreffliche sein wird.
Die natürliche Auswahl ist der Glanzpunkt des darwinschen Systems, in ihr
liegt der Schlüssel zur Lösung aller der Fragen, welche bei der Annahme der
Stabilität der Arten unlösbar sind. Es sei daher gestattet, einige erklärende
Bemerkungen darüber beizubringen. Der Kampf ums Dasein ist es, der die
natürliche Auswahl bewirkt; er tritt in unendlich verschiedenen Formen aus,
die sich aber in zwei Hauptgruppen eintheilen lassen: in den Kampf gegen die
unorganische Natur und in den gegen die Organismen. Pflanzen und Thiere
Andern, indem sie sich fortpflanzen, ihren Wolmort, sie breiten sich immer aus;
die Nachkommen einer wärmere Gegenden bewohnenden Form werden so in
etwas kühlere Gebiete getrieben; es handelt sich nun darum, ob sie hier sich
weiter fortpflanzen können. Ist z. B. die Vcgetationsdauer einer Pflanze zu
lang für den kürzeren Sommer, oder ist die Temperaturerhebung desselben nicht
hinreichend, um rasch genug die Entwickelung zur Vollendung zu bringen, so
folgt noch nicht nothwendig, daß diese Pflanze in der neuen Localität sogleich
vollständig ausgeschlossen sei. Sie kann sich dem neuen Klima von Generation
zu Generation mehr anschmiegen: so wird versichert, daß die nordamerikanischen
großen Maissorten bei uns im ersten Jahr nur schwierig zur Samenreife ge¬
langen; allein die wenigen wirklich keimfähig gewordenen Samen bringen im
zweiten Jahr kleinere Pflanzen mit kürzerer Vegetationszeit, die Samenreife er¬
folgt früher, bei noch hinreichend hoher Temperatur, die Zahl der reifenden
Samen ist diesmal größer, sie produciren im nächsten Jahr noch kleinere Pflan¬
zen mit noch kürzerer Vegetationszeit; die Pflanze hat sich dem neuen Klima
angeschmiegt, indem sie selbst sich ein wenig veränderte; diejenigen Individuen,
welche schon im ersten Jahr zu langsam vegetirten. haben keine Nachkommen
hinterlassen, sie sind ausgestorben. Thier- und Pflanzenformen, welche an feuchte
Orte gewöhnt sind, können in trocknen Jahren der Mehrzahl nach zu Grunde
gehen; einzelne Individuen können aber die Noth überleben, weil sie zufällig
durch irgend eine Eigenthümlichkeit ihrer Organisation dazu befähigt sind; sie
allein werden Nachkommen hinterlassen, die jene Eigenthümlichkeit erben; bei
einer späteren ähnlichen Gelegenheit werden sich ihre Nachkommen besser hal¬
ten, bei einer noch stärkeren Trockenheit aber nur diejenigen übrig bleiben,
bei denen die Organisation in dieser Richtung sich noch vervollkommnet hat. Das
Nichtbestandsfähige wird also nach und nach vernichtet, und es findet ein un¬
bewußter Kampf statt, wo die zufällig besser adaptirten Formen das Feld be¬
haupten.

Der Kampf jeder einzelnen organischen Form um ihr Dasein gegen andere
Organismen gleicher und verschiedener Art beruht vorzugsweise auf der ganz
allgemeinen Thatsache, daß Thiere und Pflanzen sich in weit stärkerem Grade
vermehren, viel mehr Nachkommen erzeugen, als ihrer wirklich auf der Erde


sehr vollkommene, aber doch niemals eine absolut unübertreffliche sein wird.
Die natürliche Auswahl ist der Glanzpunkt des darwinschen Systems, in ihr
liegt der Schlüssel zur Lösung aller der Fragen, welche bei der Annahme der
Stabilität der Arten unlösbar sind. Es sei daher gestattet, einige erklärende
Bemerkungen darüber beizubringen. Der Kampf ums Dasein ist es, der die
natürliche Auswahl bewirkt; er tritt in unendlich verschiedenen Formen aus,
die sich aber in zwei Hauptgruppen eintheilen lassen: in den Kampf gegen die
unorganische Natur und in den gegen die Organismen. Pflanzen und Thiere
Andern, indem sie sich fortpflanzen, ihren Wolmort, sie breiten sich immer aus;
die Nachkommen einer wärmere Gegenden bewohnenden Form werden so in
etwas kühlere Gebiete getrieben; es handelt sich nun darum, ob sie hier sich
weiter fortpflanzen können. Ist z. B. die Vcgetationsdauer einer Pflanze zu
lang für den kürzeren Sommer, oder ist die Temperaturerhebung desselben nicht
hinreichend, um rasch genug die Entwickelung zur Vollendung zu bringen, so
folgt noch nicht nothwendig, daß diese Pflanze in der neuen Localität sogleich
vollständig ausgeschlossen sei. Sie kann sich dem neuen Klima von Generation
zu Generation mehr anschmiegen: so wird versichert, daß die nordamerikanischen
großen Maissorten bei uns im ersten Jahr nur schwierig zur Samenreife ge¬
langen; allein die wenigen wirklich keimfähig gewordenen Samen bringen im
zweiten Jahr kleinere Pflanzen mit kürzerer Vegetationszeit, die Samenreife er¬
folgt früher, bei noch hinreichend hoher Temperatur, die Zahl der reifenden
Samen ist diesmal größer, sie produciren im nächsten Jahr noch kleinere Pflan¬
zen mit noch kürzerer Vegetationszeit; die Pflanze hat sich dem neuen Klima
angeschmiegt, indem sie selbst sich ein wenig veränderte; diejenigen Individuen,
welche schon im ersten Jahr zu langsam vegetirten. haben keine Nachkommen
hinterlassen, sie sind ausgestorben. Thier- und Pflanzenformen, welche an feuchte
Orte gewöhnt sind, können in trocknen Jahren der Mehrzahl nach zu Grunde
gehen; einzelne Individuen können aber die Noth überleben, weil sie zufällig
durch irgend eine Eigenthümlichkeit ihrer Organisation dazu befähigt sind; sie
allein werden Nachkommen hinterlassen, die jene Eigenthümlichkeit erben; bei
einer späteren ähnlichen Gelegenheit werden sich ihre Nachkommen besser hal¬
ten, bei einer noch stärkeren Trockenheit aber nur diejenigen übrig bleiben,
bei denen die Organisation in dieser Richtung sich noch vervollkommnet hat. Das
Nichtbestandsfähige wird also nach und nach vernichtet, und es findet ein un¬
bewußter Kampf statt, wo die zufällig besser adaptirten Formen das Feld be¬
haupten.

Der Kampf jeder einzelnen organischen Form um ihr Dasein gegen andere
Organismen gleicher und verschiedener Art beruht vorzugsweise auf der ganz
allgemeinen Thatsache, daß Thiere und Pflanzen sich in weit stärkerem Grade
vermehren, viel mehr Nachkommen erzeugen, als ihrer wirklich auf der Erde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/310>, abgerufen am 28.07.2024.