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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Besitzergreifung die Aufhebung der Leibeigenschaft und damit allmälig Selbst¬
bewußtsein, höherer geistiger und materieller Aufschwung in die Masse des nie¬
deren Volkes kam. Der Stammesunterschied im Blut ist noch heut erkennbar.
Das gemeine Volk ist von mittlerer Größe, gedrungenen Wuchses; Haar und
Gesichtsfarbe sind dunkel, die Nase und Backenknochen breit, die schmal-
gcschnittnen Augen in einem Winkel zu einander geneigt. Im polnischen Edel¬
mann hingegen findet man oft den Typus vollendeter kaukasischer Schönheit
vertreten, schlanker Wuchs, gerade Nase und blondes Haar.

Der preußisch-polnische Bauer erinnert sich sehr wohl noch der alten Wirth¬
schaft und erkennt dankbar die Segnungen an, welche die preußische Herrschaft
ihm gebracht hat. Sein gesunder Verstand sagt ihm. daß er bei keiner Revo¬
lution gewinnen kann, und er wurde vollkommen taub sein gegen alle Ver¬
sprechungen und Aussetzungen des Edelmannes, hätte dieser.sich nicht mit dem
Geistlichen zu vereinigen gewußt. Aber auch diese Vereinigung wird schwerlich
hinreichen, eine etwaige polnische Erhebung in Preußisch-Polen zu irgend einer
Bedeutung gelangen zu lassen. In dieser Beziehung hat das preußische Mili-
tärsystem unendlich viel Gutes gestiftet, weil es die ausgebildeten Soldaten
mit Begriffen von Treue und Gehorsam gegen den Eid und gegen den König,
mit Anhänglichkeit an das alte Regiment, in welchem der Vater schon gedient
hat und der Sohn wieder dienen wird, in die Heimath entließ, wo jene Be¬
griffe Verbreitung fände". Wir haben in dem Aufstande des Jahres 1848
Beispiele erlebt, daß polnische Deserteure von den eigenen Angehörigen an die
Regimenter zurückgeliefert wurden.

Anders denkt der polnische Edelmann. Grundsätzlich meidet er den Staats¬
dienst; da er sich nun aber von der Militärpflichtigkeit durchaus nicht drücken
kann, schickt er seine Söhne, wenn es irgend möglich ist, in die Artillerie oder
Kavallerie, mit der oft ausgesprochenen Absicht, daß sie das dort Erlernte einst
zum Nutzen Polens gegen ihre alten Fahnen anwenden sollen.

Werfen wir einen Blick auf die geselligen Verhältnisse, wie solche sich in
den letzten fünfzig Jahren zwischen Deutschen und Polen in der Stadt Posen
gestaltet haben, so finden wir in denselben den Ausdruck der politischen Stim¬
mung der Provinz. In den ersten Jahren nach der preußischen Besitzergrei¬
fung von 1815 folgte eine gewisse Abspannung auf die Anstrengungen und
Enttäuschungen der napoleonischen Zeit. Man hatte genug des politischen
Haders und freute sich des friedlichen Gedeihens und Aufblühens der Provinz
unter dem neuen Regiment. In Posen entwickelte sich eine wahrhaft glän¬
zende Geselligkeit, zu welcher Fürst Anton Radzivil, der Statthalter, das Bei¬
spiel gab, und an welcher der polnische Adel, sowie das preußische Beamten-
thum und Militär gleichmäßig theilnahmen. Die liebenswürdigen Eigen¬
schaften der Polen, der Luxus des Adels verliehen dieser Geselligkeit einen


Besitzergreifung die Aufhebung der Leibeigenschaft und damit allmälig Selbst¬
bewußtsein, höherer geistiger und materieller Aufschwung in die Masse des nie¬
deren Volkes kam. Der Stammesunterschied im Blut ist noch heut erkennbar.
Das gemeine Volk ist von mittlerer Größe, gedrungenen Wuchses; Haar und
Gesichtsfarbe sind dunkel, die Nase und Backenknochen breit, die schmal-
gcschnittnen Augen in einem Winkel zu einander geneigt. Im polnischen Edel¬
mann hingegen findet man oft den Typus vollendeter kaukasischer Schönheit
vertreten, schlanker Wuchs, gerade Nase und blondes Haar.

Der preußisch-polnische Bauer erinnert sich sehr wohl noch der alten Wirth¬
schaft und erkennt dankbar die Segnungen an, welche die preußische Herrschaft
ihm gebracht hat. Sein gesunder Verstand sagt ihm. daß er bei keiner Revo¬
lution gewinnen kann, und er wurde vollkommen taub sein gegen alle Ver¬
sprechungen und Aussetzungen des Edelmannes, hätte dieser.sich nicht mit dem
Geistlichen zu vereinigen gewußt. Aber auch diese Vereinigung wird schwerlich
hinreichen, eine etwaige polnische Erhebung in Preußisch-Polen zu irgend einer
Bedeutung gelangen zu lassen. In dieser Beziehung hat das preußische Mili-
tärsystem unendlich viel Gutes gestiftet, weil es die ausgebildeten Soldaten
mit Begriffen von Treue und Gehorsam gegen den Eid und gegen den König,
mit Anhänglichkeit an das alte Regiment, in welchem der Vater schon gedient
hat und der Sohn wieder dienen wird, in die Heimath entließ, wo jene Be¬
griffe Verbreitung fände». Wir haben in dem Aufstande des Jahres 1848
Beispiele erlebt, daß polnische Deserteure von den eigenen Angehörigen an die
Regimenter zurückgeliefert wurden.

Anders denkt der polnische Edelmann. Grundsätzlich meidet er den Staats¬
dienst; da er sich nun aber von der Militärpflichtigkeit durchaus nicht drücken
kann, schickt er seine Söhne, wenn es irgend möglich ist, in die Artillerie oder
Kavallerie, mit der oft ausgesprochenen Absicht, daß sie das dort Erlernte einst
zum Nutzen Polens gegen ihre alten Fahnen anwenden sollen.

Werfen wir einen Blick auf die geselligen Verhältnisse, wie solche sich in
den letzten fünfzig Jahren zwischen Deutschen und Polen in der Stadt Posen
gestaltet haben, so finden wir in denselben den Ausdruck der politischen Stim¬
mung der Provinz. In den ersten Jahren nach der preußischen Besitzergrei¬
fung von 1815 folgte eine gewisse Abspannung auf die Anstrengungen und
Enttäuschungen der napoleonischen Zeit. Man hatte genug des politischen
Haders und freute sich des friedlichen Gedeihens und Aufblühens der Provinz
unter dem neuen Regiment. In Posen entwickelte sich eine wahrhaft glän¬
zende Geselligkeit, zu welcher Fürst Anton Radzivil, der Statthalter, das Bei¬
spiel gab, und an welcher der polnische Adel, sowie das preußische Beamten-
thum und Militär gleichmäßig theilnahmen. Die liebenswürdigen Eigen¬
schaften der Polen, der Luxus des Adels verliehen dieser Geselligkeit einen


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[0271] Besitzergreifung die Aufhebung der Leibeigenschaft und damit allmälig Selbst¬ bewußtsein, höherer geistiger und materieller Aufschwung in die Masse des nie¬ deren Volkes kam. Der Stammesunterschied im Blut ist noch heut erkennbar. Das gemeine Volk ist von mittlerer Größe, gedrungenen Wuchses; Haar und Gesichtsfarbe sind dunkel, die Nase und Backenknochen breit, die schmal- gcschnittnen Augen in einem Winkel zu einander geneigt. Im polnischen Edel¬ mann hingegen findet man oft den Typus vollendeter kaukasischer Schönheit vertreten, schlanker Wuchs, gerade Nase und blondes Haar. Der preußisch-polnische Bauer erinnert sich sehr wohl noch der alten Wirth¬ schaft und erkennt dankbar die Segnungen an, welche die preußische Herrschaft ihm gebracht hat. Sein gesunder Verstand sagt ihm. daß er bei keiner Revo¬ lution gewinnen kann, und er wurde vollkommen taub sein gegen alle Ver¬ sprechungen und Aussetzungen des Edelmannes, hätte dieser.sich nicht mit dem Geistlichen zu vereinigen gewußt. Aber auch diese Vereinigung wird schwerlich hinreichen, eine etwaige polnische Erhebung in Preußisch-Polen zu irgend einer Bedeutung gelangen zu lassen. In dieser Beziehung hat das preußische Mili- tärsystem unendlich viel Gutes gestiftet, weil es die ausgebildeten Soldaten mit Begriffen von Treue und Gehorsam gegen den Eid und gegen den König, mit Anhänglichkeit an das alte Regiment, in welchem der Vater schon gedient hat und der Sohn wieder dienen wird, in die Heimath entließ, wo jene Be¬ griffe Verbreitung fände». Wir haben in dem Aufstande des Jahres 1848 Beispiele erlebt, daß polnische Deserteure von den eigenen Angehörigen an die Regimenter zurückgeliefert wurden. Anders denkt der polnische Edelmann. Grundsätzlich meidet er den Staats¬ dienst; da er sich nun aber von der Militärpflichtigkeit durchaus nicht drücken kann, schickt er seine Söhne, wenn es irgend möglich ist, in die Artillerie oder Kavallerie, mit der oft ausgesprochenen Absicht, daß sie das dort Erlernte einst zum Nutzen Polens gegen ihre alten Fahnen anwenden sollen. Werfen wir einen Blick auf die geselligen Verhältnisse, wie solche sich in den letzten fünfzig Jahren zwischen Deutschen und Polen in der Stadt Posen gestaltet haben, so finden wir in denselben den Ausdruck der politischen Stim¬ mung der Provinz. In den ersten Jahren nach der preußischen Besitzergrei¬ fung von 1815 folgte eine gewisse Abspannung auf die Anstrengungen und Enttäuschungen der napoleonischen Zeit. Man hatte genug des politischen Haders und freute sich des friedlichen Gedeihens und Aufblühens der Provinz unter dem neuen Regiment. In Posen entwickelte sich eine wahrhaft glän¬ zende Geselligkeit, zu welcher Fürst Anton Radzivil, der Statthalter, das Bei¬ spiel gab, und an welcher der polnische Adel, sowie das preußische Beamten- thum und Militär gleichmäßig theilnahmen. Die liebenswürdigen Eigen¬ schaften der Polen, der Luxus des Adels verliehen dieser Geselligkeit einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/271>, abgerufen am 28.07.2024.