Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

malige Jesuitencollegium, ein Gebäude von mächtigem Umfang, welches jetzt
als Dienstwohnung des Oberpräsidenten und als Sitz der Regierungsbehörden
dient. Die Kirche stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert und erinnert an
den überladenen Reichthum italienischer Kirchenausschmückung; das Schloß ldas
ehemalige Jcsuitencolleg) sah seine jüngste" glänzenden Tage, als Fürst Anton
Radzivil nach der preußischen Besitzergreifung 181S Statthalter von Nosen war
und um sich einen Hof der vornehmen deutschen und polnischen Welt zu sam¬
meln verstand, an welchem königliche Prinzen um die Gunst der ebenso schönen
wie geistreichen fürstlichen Tochter warben. Das ist die goldene gute alte Zeit,
von welcher die Posener heut noch schwärmen und die wieder heraufzubeschwö¬
ren Fürst Antons Nachfolger sich vergeblich bemüht haben.

Die übrigen zahlreichen Kirchen der Altstadt sind aus ältester Zeit, aus
dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, bieten aber wenig
Merkwürdiges; die Franziskanerkirche ist die einzige, in welcher eine katholische
deutsche Predigt gehalten wird.

Wenden wir uns vom alten Markt durch die neue Straße oder über den
Sapiehaplatz in die Neustadt hinein, so betreten wir zunächst die Wilhelm-
straße mit ihren eleganten Häusern und Läden, ihrer von doppelter Fahrbahn
eingeschlossenen Kastanienallee, ihrer stärkenden toan mora", für uns ein
wohlthätiger Anblick, die wir aus dem summenden und unruhigen Treiben des
Judenvvlls in der Altstadt kommen. Zwar halten auch hier unter den Kasta¬
nien der Wilhelmstraße in der Nähe der Post die Juden ihre ambulante Börse
und taxiren jede neue Physiognomie nach ihrem klingenden Werth und nach dem
etwa aus ihr zu ziehenden Vortheil, dennoch aber athmet die ganze Neustadt
deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit. Wir sehen breite und saubere
Straßen, moderne und wohlgetünchte Häuser mit verständigem, charakterlosen
Anstrich und könnten uns nach Berlin versetzt wähnen, schaute hier und da
nicht doch der Slave hervor. Wir sehen elegante Damen, theilweis in glän¬
zender Toilette, theilweis in schwarzer, weißberänderter Kleidung, die den Trä¬
gerinnen ein distinguirtes Aussehen verleiht. Es sind Polinnen, welche An¬
gehörige. Opfer des Aufstandes im Königreich betrauern, oder die von einem
demonstrativen Trauergottesdienst heimkehren, welcher in der kleinen Kirche von
Se. Martin für die polnischen Opfer des Aufstandes im Allgemeinen abgehalten
worden ist. Dort saust im scharfen Galopp ein treffliches krakusisches Vier¬
gespann rothbehangen an uns vorüber und biegt äußerst geschickt mit scharfer
Wendung in den Thorweg von Mylius Hotel ein; aber so elegant auch
Pferde. Geschirr und Wagen sind, so ist der Reiter auf dem vordersten Sattel-
Pferde doch der unverfälschte Bauernknecht in seinem langen Kittel und in den
weiten, in die Stiefel gesteckten Hosen, und der schäbige Tressenhut und Frack
des Bedienten verbergen schlecht den Bauerjungen, der heut Bedientendienste


Grenzboten III. 186Z. 33

malige Jesuitencollegium, ein Gebäude von mächtigem Umfang, welches jetzt
als Dienstwohnung des Oberpräsidenten und als Sitz der Regierungsbehörden
dient. Die Kirche stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert und erinnert an
den überladenen Reichthum italienischer Kirchenausschmückung; das Schloß ldas
ehemalige Jcsuitencolleg) sah seine jüngste» glänzenden Tage, als Fürst Anton
Radzivil nach der preußischen Besitzergreifung 181S Statthalter von Nosen war
und um sich einen Hof der vornehmen deutschen und polnischen Welt zu sam¬
meln verstand, an welchem königliche Prinzen um die Gunst der ebenso schönen
wie geistreichen fürstlichen Tochter warben. Das ist die goldene gute alte Zeit,
von welcher die Posener heut noch schwärmen und die wieder heraufzubeschwö¬
ren Fürst Antons Nachfolger sich vergeblich bemüht haben.

Die übrigen zahlreichen Kirchen der Altstadt sind aus ältester Zeit, aus
dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, bieten aber wenig
Merkwürdiges; die Franziskanerkirche ist die einzige, in welcher eine katholische
deutsche Predigt gehalten wird.

Wenden wir uns vom alten Markt durch die neue Straße oder über den
Sapiehaplatz in die Neustadt hinein, so betreten wir zunächst die Wilhelm-
straße mit ihren eleganten Häusern und Läden, ihrer von doppelter Fahrbahn
eingeschlossenen Kastanienallee, ihrer stärkenden toan mora«, für uns ein
wohlthätiger Anblick, die wir aus dem summenden und unruhigen Treiben des
Judenvvlls in der Altstadt kommen. Zwar halten auch hier unter den Kasta¬
nien der Wilhelmstraße in der Nähe der Post die Juden ihre ambulante Börse
und taxiren jede neue Physiognomie nach ihrem klingenden Werth und nach dem
etwa aus ihr zu ziehenden Vortheil, dennoch aber athmet die ganze Neustadt
deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit. Wir sehen breite und saubere
Straßen, moderne und wohlgetünchte Häuser mit verständigem, charakterlosen
Anstrich und könnten uns nach Berlin versetzt wähnen, schaute hier und da
nicht doch der Slave hervor. Wir sehen elegante Damen, theilweis in glän¬
zender Toilette, theilweis in schwarzer, weißberänderter Kleidung, die den Trä¬
gerinnen ein distinguirtes Aussehen verleiht. Es sind Polinnen, welche An¬
gehörige. Opfer des Aufstandes im Königreich betrauern, oder die von einem
demonstrativen Trauergottesdienst heimkehren, welcher in der kleinen Kirche von
Se. Martin für die polnischen Opfer des Aufstandes im Allgemeinen abgehalten
worden ist. Dort saust im scharfen Galopp ein treffliches krakusisches Vier¬
gespann rothbehangen an uns vorüber und biegt äußerst geschickt mit scharfer
Wendung in den Thorweg von Mylius Hotel ein; aber so elegant auch
Pferde. Geschirr und Wagen sind, so ist der Reiter auf dem vordersten Sattel-
Pferde doch der unverfälschte Bauernknecht in seinem langen Kittel und in den
weiten, in die Stiefel gesteckten Hosen, und der schäbige Tressenhut und Frack
des Bedienten verbergen schlecht den Bauerjungen, der heut Bedientendienste


Grenzboten III. 186Z. 33
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115657"/>
          <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> malige Jesuitencollegium, ein Gebäude von mächtigem Umfang, welches jetzt<lb/>
als Dienstwohnung des Oberpräsidenten und als Sitz der Regierungsbehörden<lb/>
dient. Die Kirche stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert und erinnert an<lb/>
den überladenen Reichthum italienischer Kirchenausschmückung; das Schloß ldas<lb/>
ehemalige Jcsuitencolleg) sah seine jüngste» glänzenden Tage, als Fürst Anton<lb/>
Radzivil nach der preußischen Besitzergreifung 181S Statthalter von Nosen war<lb/>
und um sich einen Hof der vornehmen deutschen und polnischen Welt zu sam¬<lb/>
meln verstand, an welchem königliche Prinzen um die Gunst der ebenso schönen<lb/>
wie geistreichen fürstlichen Tochter warben. Das ist die goldene gute alte Zeit,<lb/>
von welcher die Posener heut noch schwärmen und die wieder heraufzubeschwö¬<lb/>
ren Fürst Antons Nachfolger sich vergeblich bemüht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_723"> Die übrigen zahlreichen Kirchen der Altstadt sind aus ältester Zeit, aus<lb/>
dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, bieten aber wenig<lb/>
Merkwürdiges; die Franziskanerkirche ist die einzige, in welcher eine katholische<lb/>
deutsche Predigt gehalten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_724" next="#ID_725"> Wenden wir uns vom alten Markt durch die neue Straße oder über den<lb/>
Sapiehaplatz in die Neustadt hinein, so betreten wir zunächst die Wilhelm-<lb/>
straße mit ihren eleganten Häusern und Läden, ihrer von doppelter Fahrbahn<lb/>
eingeschlossenen Kastanienallee, ihrer stärkenden toan mora«, für uns ein<lb/>
wohlthätiger Anblick, die wir aus dem summenden und unruhigen Treiben des<lb/>
Judenvvlls in der Altstadt kommen. Zwar halten auch hier unter den Kasta¬<lb/>
nien der Wilhelmstraße in der Nähe der Post die Juden ihre ambulante Börse<lb/>
und taxiren jede neue Physiognomie nach ihrem klingenden Werth und nach dem<lb/>
etwa aus ihr zu ziehenden Vortheil, dennoch aber athmet die ganze Neustadt<lb/>
deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit. Wir sehen breite und saubere<lb/>
Straßen, moderne und wohlgetünchte Häuser mit verständigem, charakterlosen<lb/>
Anstrich und könnten uns nach Berlin versetzt wähnen, schaute hier und da<lb/>
nicht doch der Slave hervor. Wir sehen elegante Damen, theilweis in glän¬<lb/>
zender Toilette, theilweis in schwarzer, weißberänderter Kleidung, die den Trä¬<lb/>
gerinnen ein distinguirtes Aussehen verleiht. Es sind Polinnen, welche An¬<lb/>
gehörige. Opfer des Aufstandes im Königreich betrauern, oder die von einem<lb/>
demonstrativen Trauergottesdienst heimkehren, welcher in der kleinen Kirche von<lb/>
Se. Martin für die polnischen Opfer des Aufstandes im Allgemeinen abgehalten<lb/>
worden ist. Dort saust im scharfen Galopp ein treffliches krakusisches Vier¬<lb/>
gespann rothbehangen an uns vorüber und biegt äußerst geschickt mit scharfer<lb/>
Wendung in den Thorweg von Mylius Hotel ein; aber so elegant auch<lb/>
Pferde. Geschirr und Wagen sind, so ist der Reiter auf dem vordersten Sattel-<lb/>
Pferde doch der unverfälschte Bauernknecht in seinem langen Kittel und in den<lb/>
weiten, in die Stiefel gesteckten Hosen, und der schäbige Tressenhut und Frack<lb/>
des Bedienten verbergen schlecht den Bauerjungen, der heut Bedientendienste</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 186Z. 33</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] malige Jesuitencollegium, ein Gebäude von mächtigem Umfang, welches jetzt als Dienstwohnung des Oberpräsidenten und als Sitz der Regierungsbehörden dient. Die Kirche stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert und erinnert an den überladenen Reichthum italienischer Kirchenausschmückung; das Schloß ldas ehemalige Jcsuitencolleg) sah seine jüngste» glänzenden Tage, als Fürst Anton Radzivil nach der preußischen Besitzergreifung 181S Statthalter von Nosen war und um sich einen Hof der vornehmen deutschen und polnischen Welt zu sam¬ meln verstand, an welchem königliche Prinzen um die Gunst der ebenso schönen wie geistreichen fürstlichen Tochter warben. Das ist die goldene gute alte Zeit, von welcher die Posener heut noch schwärmen und die wieder heraufzubeschwö¬ ren Fürst Antons Nachfolger sich vergeblich bemüht haben. Die übrigen zahlreichen Kirchen der Altstadt sind aus ältester Zeit, aus dem zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, bieten aber wenig Merkwürdiges; die Franziskanerkirche ist die einzige, in welcher eine katholische deutsche Predigt gehalten wird. Wenden wir uns vom alten Markt durch die neue Straße oder über den Sapiehaplatz in die Neustadt hinein, so betreten wir zunächst die Wilhelm- straße mit ihren eleganten Häusern und Läden, ihrer von doppelter Fahrbahn eingeschlossenen Kastanienallee, ihrer stärkenden toan mora«, für uns ein wohlthätiger Anblick, die wir aus dem summenden und unruhigen Treiben des Judenvvlls in der Altstadt kommen. Zwar halten auch hier unter den Kasta¬ nien der Wilhelmstraße in der Nähe der Post die Juden ihre ambulante Börse und taxiren jede neue Physiognomie nach ihrem klingenden Werth und nach dem etwa aus ihr zu ziehenden Vortheil, dennoch aber athmet die ganze Neustadt deutsche Ordnung und deutsche Reinlichkeit. Wir sehen breite und saubere Straßen, moderne und wohlgetünchte Häuser mit verständigem, charakterlosen Anstrich und könnten uns nach Berlin versetzt wähnen, schaute hier und da nicht doch der Slave hervor. Wir sehen elegante Damen, theilweis in glän¬ zender Toilette, theilweis in schwarzer, weißberänderter Kleidung, die den Trä¬ gerinnen ein distinguirtes Aussehen verleiht. Es sind Polinnen, welche An¬ gehörige. Opfer des Aufstandes im Königreich betrauern, oder die von einem demonstrativen Trauergottesdienst heimkehren, welcher in der kleinen Kirche von Se. Martin für die polnischen Opfer des Aufstandes im Allgemeinen abgehalten worden ist. Dort saust im scharfen Galopp ein treffliches krakusisches Vier¬ gespann rothbehangen an uns vorüber und biegt äußerst geschickt mit scharfer Wendung in den Thorweg von Mylius Hotel ein; aber so elegant auch Pferde. Geschirr und Wagen sind, so ist der Reiter auf dem vordersten Sattel- Pferde doch der unverfälschte Bauernknecht in seinem langen Kittel und in den weiten, in die Stiefel gesteckten Hosen, und der schäbige Tressenhut und Frack des Bedienten verbergen schlecht den Bauerjungen, der heut Bedientendienste Grenzboten III. 186Z. 33

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/265>, abgerufen am 23.12.2024.