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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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des Cybinaflüßchens, die Domstadt mit der Wallischei, bewohnt von der katho¬
lischen Geistlichkeit und von dem niederen polnischen Volk; auf dem linken
Wartheufer die Altstadt, bewohnt von den Juden und weiter höher die durchaus
moderne Neustadt, bewohnt von den Deutschen und einzelnen vornehmen Polen.
Der älteste ThcU ist die Domstadt. Dort gründeten schon die Herzoge Mic-
cislaus und Boleslaus das Bisthum um 996 und bauten den Dom zu Se.
Peter mit einem Kloster. Andere Kirchen und geistliche Gebäude entstanden
bald um den Dom; unter bischöflichen Schutze baute sich die Stadt (Wallischei)
auf dem rechten Wartheufer auf -und ward nebst dem Dome mit einer Be¬
festigungsmauer umgeben. Drüben aus dem Höhenrande des linken Ufers,
da wo jetzt in der Nahe des alten Marktes die' Franziskanerkirche und das
Appellationsgericht liegen, gründeten die Herzöge um die Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts eine Burg und unterhalb derselben nach dem Flusse zu allmälig
auch eine Stadt, welche bald zu hoher Blüthe heranwuchs.

In der bischöflichen Stadt sind einige Ueberreste aus dem frühesten Mit¬
telalter auf die Neuzeit hinübergekommen. Es ist eine uralte, ruinenhafte
gothische Steinkapelle neben dem Dome und unfern davon einige barocke Ge¬
bäude, früher vermuthlich Theile eines Klosters, jetzt zu einer Schule'hergerich¬
tet. Die Wände der Kapelle sind geborsten, Fledermäuse und Nachtvögel nisten
im Inneren, aus welchem schon längst aller kirchliche Schmuck verschwunden
ist, und die Tage des Gebäudes sind gezählt; denn es wird modernen Festungs¬
werken weichen, mit welchen man in neuester Zeit den Dom zu umgeben be¬
ginnt. Der Dom selbst ist nicht mehr der alte; der jetzige wurde im Jahre
1773 in durchaus unschönem Stile begonnen und gewährt sowohl im Aeußeren
wie Inneren einen nüchternen Anblick; nur die prächtige radzinstische Kapelle,
welche mit bunter byzantinischer Mosaik und mit den rauchschcn Bildsäulen
der beiden Herzoge Miecislaus und Boleslaus geschmückt ist, macht eine Aus¬
nahme. Auch das erzbischöfliche Palais und das katholische Seminar sind
durchaus modern, ein Theil des letzteren ist im ehemaligen Rcformatenkloster
untergebracht. Jener Theil der bischöflichen Stadt, welcher von der Cybina
und Warthe umschlossen wird, ist ein Konglomerat von Gassen, Winkeln, elen¬
den Häuschen, Lehmbaracken, Schutt und Kehricht, dessen Ausdünstung die
Nasennerven empfindlich beleidigt. Dort haust ein armes und schmutziges Volk,
polnische Tagearbciter und kleine Handwerker; in der Nähe des Flusses tum¬
meln sich in d'en Schnapsboutiquen die Schiffs- und Flvßknechtc herum, die
weit aus dem Inneren Großpolens, aus Galizien kommend, mit ihren Fahr¬
zeugen den Fluß nach Danzig oder Stettin hinabtreiben.

Mittelst-einer langen Brücke überschreitet man die Warthe, um in die
Altstadt zu gelangen. Dort treten uns breite Straßen, deutsche solide Stein¬
häuser, mit dem oft durch reiche alterthümliche Architektur geschmückten Giebel


des Cybinaflüßchens, die Domstadt mit der Wallischei, bewohnt von der katho¬
lischen Geistlichkeit und von dem niederen polnischen Volk; auf dem linken
Wartheufer die Altstadt, bewohnt von den Juden und weiter höher die durchaus
moderne Neustadt, bewohnt von den Deutschen und einzelnen vornehmen Polen.
Der älteste ThcU ist die Domstadt. Dort gründeten schon die Herzoge Mic-
cislaus und Boleslaus das Bisthum um 996 und bauten den Dom zu Se.
Peter mit einem Kloster. Andere Kirchen und geistliche Gebäude entstanden
bald um den Dom; unter bischöflichen Schutze baute sich die Stadt (Wallischei)
auf dem rechten Wartheufer auf -und ward nebst dem Dome mit einer Be¬
festigungsmauer umgeben. Drüben aus dem Höhenrande des linken Ufers,
da wo jetzt in der Nahe des alten Marktes die' Franziskanerkirche und das
Appellationsgericht liegen, gründeten die Herzöge um die Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts eine Burg und unterhalb derselben nach dem Flusse zu allmälig
auch eine Stadt, welche bald zu hoher Blüthe heranwuchs.

In der bischöflichen Stadt sind einige Ueberreste aus dem frühesten Mit¬
telalter auf die Neuzeit hinübergekommen. Es ist eine uralte, ruinenhafte
gothische Steinkapelle neben dem Dome und unfern davon einige barocke Ge¬
bäude, früher vermuthlich Theile eines Klosters, jetzt zu einer Schule'hergerich¬
tet. Die Wände der Kapelle sind geborsten, Fledermäuse und Nachtvögel nisten
im Inneren, aus welchem schon längst aller kirchliche Schmuck verschwunden
ist, und die Tage des Gebäudes sind gezählt; denn es wird modernen Festungs¬
werken weichen, mit welchen man in neuester Zeit den Dom zu umgeben be¬
ginnt. Der Dom selbst ist nicht mehr der alte; der jetzige wurde im Jahre
1773 in durchaus unschönem Stile begonnen und gewährt sowohl im Aeußeren
wie Inneren einen nüchternen Anblick; nur die prächtige radzinstische Kapelle,
welche mit bunter byzantinischer Mosaik und mit den rauchschcn Bildsäulen
der beiden Herzoge Miecislaus und Boleslaus geschmückt ist, macht eine Aus¬
nahme. Auch das erzbischöfliche Palais und das katholische Seminar sind
durchaus modern, ein Theil des letzteren ist im ehemaligen Rcformatenkloster
untergebracht. Jener Theil der bischöflichen Stadt, welcher von der Cybina
und Warthe umschlossen wird, ist ein Konglomerat von Gassen, Winkeln, elen¬
den Häuschen, Lehmbaracken, Schutt und Kehricht, dessen Ausdünstung die
Nasennerven empfindlich beleidigt. Dort haust ein armes und schmutziges Volk,
polnische Tagearbciter und kleine Handwerker; in der Nähe des Flusses tum¬
meln sich in d'en Schnapsboutiquen die Schiffs- und Flvßknechtc herum, die
weit aus dem Inneren Großpolens, aus Galizien kommend, mit ihren Fahr¬
zeugen den Fluß nach Danzig oder Stettin hinabtreiben.

Mittelst-einer langen Brücke überschreitet man die Warthe, um in die
Altstadt zu gelangen. Dort treten uns breite Straßen, deutsche solide Stein¬
häuser, mit dem oft durch reiche alterthümliche Architektur geschmückten Giebel


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[0262] des Cybinaflüßchens, die Domstadt mit der Wallischei, bewohnt von der katho¬ lischen Geistlichkeit und von dem niederen polnischen Volk; auf dem linken Wartheufer die Altstadt, bewohnt von den Juden und weiter höher die durchaus moderne Neustadt, bewohnt von den Deutschen und einzelnen vornehmen Polen. Der älteste ThcU ist die Domstadt. Dort gründeten schon die Herzoge Mic- cislaus und Boleslaus das Bisthum um 996 und bauten den Dom zu Se. Peter mit einem Kloster. Andere Kirchen und geistliche Gebäude entstanden bald um den Dom; unter bischöflichen Schutze baute sich die Stadt (Wallischei) auf dem rechten Wartheufer auf -und ward nebst dem Dome mit einer Be¬ festigungsmauer umgeben. Drüben aus dem Höhenrande des linken Ufers, da wo jetzt in der Nahe des alten Marktes die' Franziskanerkirche und das Appellationsgericht liegen, gründeten die Herzöge um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts eine Burg und unterhalb derselben nach dem Flusse zu allmälig auch eine Stadt, welche bald zu hoher Blüthe heranwuchs. In der bischöflichen Stadt sind einige Ueberreste aus dem frühesten Mit¬ telalter auf die Neuzeit hinübergekommen. Es ist eine uralte, ruinenhafte gothische Steinkapelle neben dem Dome und unfern davon einige barocke Ge¬ bäude, früher vermuthlich Theile eines Klosters, jetzt zu einer Schule'hergerich¬ tet. Die Wände der Kapelle sind geborsten, Fledermäuse und Nachtvögel nisten im Inneren, aus welchem schon längst aller kirchliche Schmuck verschwunden ist, und die Tage des Gebäudes sind gezählt; denn es wird modernen Festungs¬ werken weichen, mit welchen man in neuester Zeit den Dom zu umgeben be¬ ginnt. Der Dom selbst ist nicht mehr der alte; der jetzige wurde im Jahre 1773 in durchaus unschönem Stile begonnen und gewährt sowohl im Aeußeren wie Inneren einen nüchternen Anblick; nur die prächtige radzinstische Kapelle, welche mit bunter byzantinischer Mosaik und mit den rauchschcn Bildsäulen der beiden Herzoge Miecislaus und Boleslaus geschmückt ist, macht eine Aus¬ nahme. Auch das erzbischöfliche Palais und das katholische Seminar sind durchaus modern, ein Theil des letzteren ist im ehemaligen Rcformatenkloster untergebracht. Jener Theil der bischöflichen Stadt, welcher von der Cybina und Warthe umschlossen wird, ist ein Konglomerat von Gassen, Winkeln, elen¬ den Häuschen, Lehmbaracken, Schutt und Kehricht, dessen Ausdünstung die Nasennerven empfindlich beleidigt. Dort haust ein armes und schmutziges Volk, polnische Tagearbciter und kleine Handwerker; in der Nähe des Flusses tum¬ meln sich in d'en Schnapsboutiquen die Schiffs- und Flvßknechtc herum, die weit aus dem Inneren Großpolens, aus Galizien kommend, mit ihren Fahr¬ zeugen den Fluß nach Danzig oder Stettin hinabtreiben. Mittelst-einer langen Brücke überschreitet man die Warthe, um in die Altstadt zu gelangen. Dort treten uns breite Straßen, deutsche solide Stein¬ häuser, mit dem oft durch reiche alterthümliche Architektur geschmückten Giebel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/262>, abgerufen am 28.07.2024.