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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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einen Tag die Allianz mit England aufrecht zu erhalten, sobald es nur von
fern die Neigung zeigen sollte, der unbequemen polnischen Frage die orienta¬
lische Frage zu substituiren. Allerdings halten wir, wie wir schon früher aus¬
gesprochen haben, eine derartige Wendung von Seiten Frankreichs nicht für
unwahrscheinlich, sind aber der Meinung, daß Napoleon sie nicht im Gegen¬
satze, sondern nur in Verbindung mit Rußland eintreten lassen kann. Man
kann nicht scharf genug darauf hinweisen, wie viel das eigenthümliche Verhält¬
niß Frankreichs zu Nußland zu der Stärke der Stellung Napoleons, besonders
in der gegenwärtig schwebenden polnischen Frage, beiträgt. Wenn Oestreich
seinem Willen folgen muß, um vor Victor Emanuel Ruhe zu haben, so ist es
für England deshalb bedenklich, sich von ihm zu trennen, weil es zu fürchten
hat, daß ein offener Bruch mit Frankreich oder auch nur eine markirte Ab¬
weichung von der Auffassung, die Frankreich in jedem Augenblicke von der pol¬
nischen Frage zu haben beliebt, Napoleon eine Veranlassung und zugleich
einen genügenden Vorwand geben würde, seinem unzuverlässigen Bundesgenossen
den Rücken zu kehren und sich mit seinem aufs Aeußerste getriebenen Gegner
zu verständigen. Es wäre unter diesen Umständen ein großer Irrthum, wenn
Oestreich von Frankreich eine Beseitigung der Schwierigkeiten, die ihm aus sei¬
nem Verhältniß zu Italien erwachsen, hoffen wollte. Weder wird Frankreich
Italien an Oestreich aufopfern, noch wird es Italien und Oestreich versöhnen,
und könnte sich Oestreich wirklich auf den Standpunkt stellen, in einer Ver¬
söhnung die Lösung der Schwierigkeiten zu suchen, nun, so bedürfte es Frank¬
reichs nicht, um eine solche herbeizuführen.

Ob aber Oestreich die Entsagung üben wird, ohne die eine völlige Aus¬
söhnung nicht denkbar ist, darf man wohl bezweifeln, und wenn man billig
urtheilen will, muß man zugeben, daß es dieselben- unter den gegenwärtigen
Verhältnissen gar nicht üben kann, so dringend auch von der andern Seite die
bedeutendsten Rücksichten dazu mahnen. Oestreich steht in seinem Verhältnisse
zu Italien nicht minder, wie zu Preußen gleichsam unter dem Gesetze eines
Fatums. Es bedarf, um frei und ungehindert seine großen Aufgaben er¬
füllen zu können, der Freundschaft beider Staaten; und dennoch besteht zwi¬
schen ihm und jedem der beiden eine tief in der Natur der Dinge begründete
Rivalität, aus der es auch im günstigsten Falle keinen Vortheil gewinnen
wird, an der es im ungünstigen Falle fruchtlos alle seine Kräfte verbrauchen
und verzehren muß. Es bedarf, um beiden gegenüber in ein freundschaftliches
Verhältniß zu kommen, von Oestreichs Seite eines Opfers, welches zehnfach
durch die Vortheile, die für den Kaiserstaat aus der Bundesgenossenschaft mit
seinem südlichen und nördlichen Nachbar hervorgehen müssen, aufgewogen wer¬
den würde. Es kann das Opfer nicht bringen, weil ein Staat ein Opfer ohne
eine glänzende Entschädigung an Land und Leuten , nur gezwungen bringen


Grenzboten III. 1S63. 32

einen Tag die Allianz mit England aufrecht zu erhalten, sobald es nur von
fern die Neigung zeigen sollte, der unbequemen polnischen Frage die orienta¬
lische Frage zu substituiren. Allerdings halten wir, wie wir schon früher aus¬
gesprochen haben, eine derartige Wendung von Seiten Frankreichs nicht für
unwahrscheinlich, sind aber der Meinung, daß Napoleon sie nicht im Gegen¬
satze, sondern nur in Verbindung mit Rußland eintreten lassen kann. Man
kann nicht scharf genug darauf hinweisen, wie viel das eigenthümliche Verhält¬
niß Frankreichs zu Nußland zu der Stärke der Stellung Napoleons, besonders
in der gegenwärtig schwebenden polnischen Frage, beiträgt. Wenn Oestreich
seinem Willen folgen muß, um vor Victor Emanuel Ruhe zu haben, so ist es
für England deshalb bedenklich, sich von ihm zu trennen, weil es zu fürchten
hat, daß ein offener Bruch mit Frankreich oder auch nur eine markirte Ab¬
weichung von der Auffassung, die Frankreich in jedem Augenblicke von der pol¬
nischen Frage zu haben beliebt, Napoleon eine Veranlassung und zugleich
einen genügenden Vorwand geben würde, seinem unzuverlässigen Bundesgenossen
den Rücken zu kehren und sich mit seinem aufs Aeußerste getriebenen Gegner
zu verständigen. Es wäre unter diesen Umständen ein großer Irrthum, wenn
Oestreich von Frankreich eine Beseitigung der Schwierigkeiten, die ihm aus sei¬
nem Verhältniß zu Italien erwachsen, hoffen wollte. Weder wird Frankreich
Italien an Oestreich aufopfern, noch wird es Italien und Oestreich versöhnen,
und könnte sich Oestreich wirklich auf den Standpunkt stellen, in einer Ver¬
söhnung die Lösung der Schwierigkeiten zu suchen, nun, so bedürfte es Frank¬
reichs nicht, um eine solche herbeizuführen.

Ob aber Oestreich die Entsagung üben wird, ohne die eine völlige Aus¬
söhnung nicht denkbar ist, darf man wohl bezweifeln, und wenn man billig
urtheilen will, muß man zugeben, daß es dieselben- unter den gegenwärtigen
Verhältnissen gar nicht üben kann, so dringend auch von der andern Seite die
bedeutendsten Rücksichten dazu mahnen. Oestreich steht in seinem Verhältnisse
zu Italien nicht minder, wie zu Preußen gleichsam unter dem Gesetze eines
Fatums. Es bedarf, um frei und ungehindert seine großen Aufgaben er¬
füllen zu können, der Freundschaft beider Staaten; und dennoch besteht zwi¬
schen ihm und jedem der beiden eine tief in der Natur der Dinge begründete
Rivalität, aus der es auch im günstigsten Falle keinen Vortheil gewinnen
wird, an der es im ungünstigen Falle fruchtlos alle seine Kräfte verbrauchen
und verzehren muß. Es bedarf, um beiden gegenüber in ein freundschaftliches
Verhältniß zu kommen, von Oestreichs Seite eines Opfers, welches zehnfach
durch die Vortheile, die für den Kaiserstaat aus der Bundesgenossenschaft mit
seinem südlichen und nördlichen Nachbar hervorgehen müssen, aufgewogen wer¬
den würde. Es kann das Opfer nicht bringen, weil ein Staat ein Opfer ohne
eine glänzende Entschädigung an Land und Leuten , nur gezwungen bringen


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[0257] einen Tag die Allianz mit England aufrecht zu erhalten, sobald es nur von fern die Neigung zeigen sollte, der unbequemen polnischen Frage die orienta¬ lische Frage zu substituiren. Allerdings halten wir, wie wir schon früher aus¬ gesprochen haben, eine derartige Wendung von Seiten Frankreichs nicht für unwahrscheinlich, sind aber der Meinung, daß Napoleon sie nicht im Gegen¬ satze, sondern nur in Verbindung mit Rußland eintreten lassen kann. Man kann nicht scharf genug darauf hinweisen, wie viel das eigenthümliche Verhält¬ niß Frankreichs zu Nußland zu der Stärke der Stellung Napoleons, besonders in der gegenwärtig schwebenden polnischen Frage, beiträgt. Wenn Oestreich seinem Willen folgen muß, um vor Victor Emanuel Ruhe zu haben, so ist es für England deshalb bedenklich, sich von ihm zu trennen, weil es zu fürchten hat, daß ein offener Bruch mit Frankreich oder auch nur eine markirte Ab¬ weichung von der Auffassung, die Frankreich in jedem Augenblicke von der pol¬ nischen Frage zu haben beliebt, Napoleon eine Veranlassung und zugleich einen genügenden Vorwand geben würde, seinem unzuverlässigen Bundesgenossen den Rücken zu kehren und sich mit seinem aufs Aeußerste getriebenen Gegner zu verständigen. Es wäre unter diesen Umständen ein großer Irrthum, wenn Oestreich von Frankreich eine Beseitigung der Schwierigkeiten, die ihm aus sei¬ nem Verhältniß zu Italien erwachsen, hoffen wollte. Weder wird Frankreich Italien an Oestreich aufopfern, noch wird es Italien und Oestreich versöhnen, und könnte sich Oestreich wirklich auf den Standpunkt stellen, in einer Ver¬ söhnung die Lösung der Schwierigkeiten zu suchen, nun, so bedürfte es Frank¬ reichs nicht, um eine solche herbeizuführen. Ob aber Oestreich die Entsagung üben wird, ohne die eine völlige Aus¬ söhnung nicht denkbar ist, darf man wohl bezweifeln, und wenn man billig urtheilen will, muß man zugeben, daß es dieselben- unter den gegenwärtigen Verhältnissen gar nicht üben kann, so dringend auch von der andern Seite die bedeutendsten Rücksichten dazu mahnen. Oestreich steht in seinem Verhältnisse zu Italien nicht minder, wie zu Preußen gleichsam unter dem Gesetze eines Fatums. Es bedarf, um frei und ungehindert seine großen Aufgaben er¬ füllen zu können, der Freundschaft beider Staaten; und dennoch besteht zwi¬ schen ihm und jedem der beiden eine tief in der Natur der Dinge begründete Rivalität, aus der es auch im günstigsten Falle keinen Vortheil gewinnen wird, an der es im ungünstigen Falle fruchtlos alle seine Kräfte verbrauchen und verzehren muß. Es bedarf, um beiden gegenüber in ein freundschaftliches Verhältniß zu kommen, von Oestreichs Seite eines Opfers, welches zehnfach durch die Vortheile, die für den Kaiserstaat aus der Bundesgenossenschaft mit seinem südlichen und nördlichen Nachbar hervorgehen müssen, aufgewogen wer¬ den würde. Es kann das Opfer nicht bringen, weil ein Staat ein Opfer ohne eine glänzende Entschädigung an Land und Leuten , nur gezwungen bringen Grenzboten III. 1S63. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/257>, abgerufen am 28.07.2024.