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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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daß jede Verwickelung mit Frankreich von Oestreich benutzt werden würde, um
seinem alten, durch die neueren Begebenheiten aufs Höchste gesteigerten Haß
gegen Sardinien und insbesondere gegen das Haus Carignan Luft zu machen.
Für jetzt als" ist Italien mit den stärksten Ketten an Frankreich gebunden, und
die gegenwärtige Weltlage dürfte schwerlich irgend ein Mittel bieten, dieselben
augenblicklich zu sprengen. Wohl aber liegt es im Interesse Europas, daß
diese überaus gefährliche Verbindung nicht zu einer dauernden werde. Frank¬
reichs Uebergewicht in Europa beruht zum großen Theile auf seinem Protec-
torate über Italien; der härteste Schlag für Frankreichs Suprematie würde
die Emancipation Italiens sein.

Indessen Frankreich befindet sich in der günstigen Lage, eine gemeinschaft¬
liche Richtung der europäischen Politik gegen sein Uebergewicht nicht befürchten
zu dürfen. Denn die Interessen der europäischen Staaten gehen so vielfach
auseinander, daß eine Coalition gegen Frankreich nur dann zu erwarten wäre,
wenn sein Uevcrgewicht sich offenkundig zu einer militärischen Herrschaft über
Europa zu steigern drohte. Eine solche Gefahr ist aber zunächst nicht zu fürch¬
ten. Denn Napoleon hat die eigenthümliche Gabe -- und hierin unterscheidet
sich seine Politik wesentlich und sehr zu ihrem Vortheil von der seines Oheims
-- in allen seinen Unternehmungen die ausschließlich französischen Interessen
hinter den allgemein europäischen Interessen zu verstecken. Mag er auch die
eigensüchtigsten Zwecke verfolgen, so ist er doch in der Regel darauf bedacht,
das Mißtrauen Europas dadurch zu entwaffnen, daß er bald im Namen einer
großen Idee handelt, bald als Vertreter einer unterdrückten Nationalität, oder
als Beschützer des europäischen Gleichgewichts auftritt, kurz, seine Action mit
großer Gewandtheit den europäischen Sympathien anbequemt. Besonders zeigt
sich darin sein Geschick, daß er seinen Gegner diplomatisch zu isoliren versteht,
indem er nicht blos die Sympathien der Völker, sondern auch die demselben
feindlichen Interessen der übrigen europäischen Cabinele mit der äußersten Ge¬
wandtheit gegen ihn in Bewegung setzt. Und wir sind weit entfernt, irgend
einem Staate einen Vorwurf daraus zu machen, wenn er sich mehr von dem,
was seine augenblicklichen positiven Interessen fordern, als von der Furcht vor
Frankreich bestimmen läßt. Ein trauriges Symptom der Schwäche der einzelnen
Staaten ist es nur, daß keiner derselben im Stande ist, selbständig seine In¬
teressen zu verfechten, sondern stets auf den Augenblick zu warten scheint, wo
er in Frankreichs Gefolgschaft für sie eintreten kann. Es wäre kläglich, wenn
die einzelnen Staaten ihre Sonderinteressen preisgeben wollten, um alle Hin¬
dernisse zu einem Kreuzzuge gegen Frankreich aus dem Wege zu räumen; nicht
minder kläglich ist es aber (und das ist die eigentliche Quelle der französischen
Uebermacht), daß sie ihre Ziele nicht anders, als unter der Sanction Frank¬
reichs erreichen zu können glauben, wobei denn selbstverständlich sehr leicht der


daß jede Verwickelung mit Frankreich von Oestreich benutzt werden würde, um
seinem alten, durch die neueren Begebenheiten aufs Höchste gesteigerten Haß
gegen Sardinien und insbesondere gegen das Haus Carignan Luft zu machen.
Für jetzt als» ist Italien mit den stärksten Ketten an Frankreich gebunden, und
die gegenwärtige Weltlage dürfte schwerlich irgend ein Mittel bieten, dieselben
augenblicklich zu sprengen. Wohl aber liegt es im Interesse Europas, daß
diese überaus gefährliche Verbindung nicht zu einer dauernden werde. Frank¬
reichs Uebergewicht in Europa beruht zum großen Theile auf seinem Protec-
torate über Italien; der härteste Schlag für Frankreichs Suprematie würde
die Emancipation Italiens sein.

Indessen Frankreich befindet sich in der günstigen Lage, eine gemeinschaft¬
liche Richtung der europäischen Politik gegen sein Uebergewicht nicht befürchten
zu dürfen. Denn die Interessen der europäischen Staaten gehen so vielfach
auseinander, daß eine Coalition gegen Frankreich nur dann zu erwarten wäre,
wenn sein Uevcrgewicht sich offenkundig zu einer militärischen Herrschaft über
Europa zu steigern drohte. Eine solche Gefahr ist aber zunächst nicht zu fürch¬
ten. Denn Napoleon hat die eigenthümliche Gabe — und hierin unterscheidet
sich seine Politik wesentlich und sehr zu ihrem Vortheil von der seines Oheims
— in allen seinen Unternehmungen die ausschließlich französischen Interessen
hinter den allgemein europäischen Interessen zu verstecken. Mag er auch die
eigensüchtigsten Zwecke verfolgen, so ist er doch in der Regel darauf bedacht,
das Mißtrauen Europas dadurch zu entwaffnen, daß er bald im Namen einer
großen Idee handelt, bald als Vertreter einer unterdrückten Nationalität, oder
als Beschützer des europäischen Gleichgewichts auftritt, kurz, seine Action mit
großer Gewandtheit den europäischen Sympathien anbequemt. Besonders zeigt
sich darin sein Geschick, daß er seinen Gegner diplomatisch zu isoliren versteht,
indem er nicht blos die Sympathien der Völker, sondern auch die demselben
feindlichen Interessen der übrigen europäischen Cabinele mit der äußersten Ge¬
wandtheit gegen ihn in Bewegung setzt. Und wir sind weit entfernt, irgend
einem Staate einen Vorwurf daraus zu machen, wenn er sich mehr von dem,
was seine augenblicklichen positiven Interessen fordern, als von der Furcht vor
Frankreich bestimmen läßt. Ein trauriges Symptom der Schwäche der einzelnen
Staaten ist es nur, daß keiner derselben im Stande ist, selbständig seine In¬
teressen zu verfechten, sondern stets auf den Augenblick zu warten scheint, wo
er in Frankreichs Gefolgschaft für sie eintreten kann. Es wäre kläglich, wenn
die einzelnen Staaten ihre Sonderinteressen preisgeben wollten, um alle Hin¬
dernisse zu einem Kreuzzuge gegen Frankreich aus dem Wege zu räumen; nicht
minder kläglich ist es aber (und das ist die eigentliche Quelle der französischen
Uebermacht), daß sie ihre Ziele nicht anders, als unter der Sanction Frank¬
reichs erreichen zu können glauben, wobei denn selbstverständlich sehr leicht der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/253>, abgerufen am 01.09.2024.