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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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griff von der politischen Fähigkeit und Bildung des Jtalieners. Sie waren
Mittelpunkte eines überaus regen staatlichen Lebens, aber doch eben nur, so
lange sie wirklich mächtig und unabhängig waren. Mächtig waren sie aber
nur, so lange die großen concentrirten Monarchien Europas noch in den An¬
fängen ihrer Bildung begriffen waren, und so lange die Richtung des Welt¬
handels sie zu den Vermittlern des Orients und Europas machte. Mit dem
Emporkommen Frankreichs und der habsburgisch-burgundischen Hausmacht ver¬
loren sie ihre politische Bedeutung, durch die großen maritimen Entdeckungen
ihre merkantile Uebermacht; mehr und mehr sanken sie herab zu der Stellung
abhängiger Municipien, in denen zwar ganz der altitalischen Tradition gemäß
der Gemeingeist kräftig fortlebte, aber, auf die heimischen Interessen beschränkt,
nicht nur der Betheiligung an den großen Welthändeln entsagen mußte, sondern
auch der Entwickelung des Gedankens der politischen Einigung mehr hinderlich
als förderlich war.

So schienen also die Verhältnisse danach angethan, Oestreich den ruhigen
Besitz des schönsten Theils von Oberitalien zu verbürgen und damit die Aus¬
breitung seines Einflusses über die ganze Halbinsel zu sichern. Von den Be¬
herrschten aber durfte man erwarten, daß sie das Gut der Unabhängigkeit, das
sie nicht kannten, auch nicht vermissen, dagegen den wiedererlangten Frieden
mit Eifer zur Ausübung der Künste und Thätigkeit, die den Italienern vor
Allem am Herzen lagen, benutzen würden. Sehr bald aber sollte es sich zeigen,
daß man die Stimmung der Italiener unrichtig beurtheilt und völlig übersehen
hatte, daß die Erschütterungen, von denen ganz Europa in seiner äußeren po¬
litischen Gestalt, wie in Sinnes- und Denkweise umgewandelt war, auch auf
den Charakter der italienischen Ratio" eine mächtige Wirkung ausgeübt hatten.
Der harte Druck der französischen Fremdherrschaft hatte, wie Reuchlin sehr gut
ausgeführt hat, die in üppigem Lebensgenuß erschlaffte, in Particularbestrebun-
gen gespaltene Nation in eine heilsame Zucht genommen. Es war durch die
straffe und einheitliche Verwaltung der Franzosen das Bewußtsein der Zusam¬
mengehörigkeit geweckt und in der Nation die Erkenntniß wenigstens vorbereitet
worden, daß nur in einer größern Gemeinschaft sich die Zwecke des modernen
Staates erfüllen lassen. Es waren die Keime einer neuen Staatsidee, die im
schroffsten Gegensatze zu den abgelebten Institutionen des Mittelalters stand,
durch die ganze Halbinsel verbreitet worden. -- Zwar die ersten unreifen und
unzusammenhängenden liberalen Bewegungen trugen nur dazu bei, die östrei¬
chische Macht zunächst zu befestigen, indem sie die bedrohten Regierungen nöthig¬
ten, ihrer Sicherheit wegen sich Oestreich ganz in die Arme zu werfen. In
noch höherem Grade wie in Deutschland konnte Oestreich in Italien seine
Herrschaft aus die in den Regierenden lebende Furcht vor der Revolution grün-
* den. Erst in den Bewegungen der Jahre 1847 und 1848 entwickelte sich die


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griff von der politischen Fähigkeit und Bildung des Jtalieners. Sie waren
Mittelpunkte eines überaus regen staatlichen Lebens, aber doch eben nur, so
lange sie wirklich mächtig und unabhängig waren. Mächtig waren sie aber
nur, so lange die großen concentrirten Monarchien Europas noch in den An¬
fängen ihrer Bildung begriffen waren, und so lange die Richtung des Welt¬
handels sie zu den Vermittlern des Orients und Europas machte. Mit dem
Emporkommen Frankreichs und der habsburgisch-burgundischen Hausmacht ver¬
loren sie ihre politische Bedeutung, durch die großen maritimen Entdeckungen
ihre merkantile Uebermacht; mehr und mehr sanken sie herab zu der Stellung
abhängiger Municipien, in denen zwar ganz der altitalischen Tradition gemäß
der Gemeingeist kräftig fortlebte, aber, auf die heimischen Interessen beschränkt,
nicht nur der Betheiligung an den großen Welthändeln entsagen mußte, sondern
auch der Entwickelung des Gedankens der politischen Einigung mehr hinderlich
als förderlich war.

So schienen also die Verhältnisse danach angethan, Oestreich den ruhigen
Besitz des schönsten Theils von Oberitalien zu verbürgen und damit die Aus¬
breitung seines Einflusses über die ganze Halbinsel zu sichern. Von den Be¬
herrschten aber durfte man erwarten, daß sie das Gut der Unabhängigkeit, das
sie nicht kannten, auch nicht vermissen, dagegen den wiedererlangten Frieden
mit Eifer zur Ausübung der Künste und Thätigkeit, die den Italienern vor
Allem am Herzen lagen, benutzen würden. Sehr bald aber sollte es sich zeigen,
daß man die Stimmung der Italiener unrichtig beurtheilt und völlig übersehen
hatte, daß die Erschütterungen, von denen ganz Europa in seiner äußeren po¬
litischen Gestalt, wie in Sinnes- und Denkweise umgewandelt war, auch auf
den Charakter der italienischen Ratio» eine mächtige Wirkung ausgeübt hatten.
Der harte Druck der französischen Fremdherrschaft hatte, wie Reuchlin sehr gut
ausgeführt hat, die in üppigem Lebensgenuß erschlaffte, in Particularbestrebun-
gen gespaltene Nation in eine heilsame Zucht genommen. Es war durch die
straffe und einheitliche Verwaltung der Franzosen das Bewußtsein der Zusam¬
mengehörigkeit geweckt und in der Nation die Erkenntniß wenigstens vorbereitet
worden, daß nur in einer größern Gemeinschaft sich die Zwecke des modernen
Staates erfüllen lassen. Es waren die Keime einer neuen Staatsidee, die im
schroffsten Gegensatze zu den abgelebten Institutionen des Mittelalters stand,
durch die ganze Halbinsel verbreitet worden. — Zwar die ersten unreifen und
unzusammenhängenden liberalen Bewegungen trugen nur dazu bei, die östrei¬
chische Macht zunächst zu befestigen, indem sie die bedrohten Regierungen nöthig¬
ten, ihrer Sicherheit wegen sich Oestreich ganz in die Arme zu werfen. In
noch höherem Grade wie in Deutschland konnte Oestreich in Italien seine
Herrschaft aus die in den Regierenden lebende Furcht vor der Revolution grün-
* den. Erst in den Bewegungen der Jahre 1847 und 1848 entwickelte sich die


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[0251] griff von der politischen Fähigkeit und Bildung des Jtalieners. Sie waren Mittelpunkte eines überaus regen staatlichen Lebens, aber doch eben nur, so lange sie wirklich mächtig und unabhängig waren. Mächtig waren sie aber nur, so lange die großen concentrirten Monarchien Europas noch in den An¬ fängen ihrer Bildung begriffen waren, und so lange die Richtung des Welt¬ handels sie zu den Vermittlern des Orients und Europas machte. Mit dem Emporkommen Frankreichs und der habsburgisch-burgundischen Hausmacht ver¬ loren sie ihre politische Bedeutung, durch die großen maritimen Entdeckungen ihre merkantile Uebermacht; mehr und mehr sanken sie herab zu der Stellung abhängiger Municipien, in denen zwar ganz der altitalischen Tradition gemäß der Gemeingeist kräftig fortlebte, aber, auf die heimischen Interessen beschränkt, nicht nur der Betheiligung an den großen Welthändeln entsagen mußte, sondern auch der Entwickelung des Gedankens der politischen Einigung mehr hinderlich als förderlich war. So schienen also die Verhältnisse danach angethan, Oestreich den ruhigen Besitz des schönsten Theils von Oberitalien zu verbürgen und damit die Aus¬ breitung seines Einflusses über die ganze Halbinsel zu sichern. Von den Be¬ herrschten aber durfte man erwarten, daß sie das Gut der Unabhängigkeit, das sie nicht kannten, auch nicht vermissen, dagegen den wiedererlangten Frieden mit Eifer zur Ausübung der Künste und Thätigkeit, die den Italienern vor Allem am Herzen lagen, benutzen würden. Sehr bald aber sollte es sich zeigen, daß man die Stimmung der Italiener unrichtig beurtheilt und völlig übersehen hatte, daß die Erschütterungen, von denen ganz Europa in seiner äußeren po¬ litischen Gestalt, wie in Sinnes- und Denkweise umgewandelt war, auch auf den Charakter der italienischen Ratio» eine mächtige Wirkung ausgeübt hatten. Der harte Druck der französischen Fremdherrschaft hatte, wie Reuchlin sehr gut ausgeführt hat, die in üppigem Lebensgenuß erschlaffte, in Particularbestrebun- gen gespaltene Nation in eine heilsame Zucht genommen. Es war durch die straffe und einheitliche Verwaltung der Franzosen das Bewußtsein der Zusam¬ mengehörigkeit geweckt und in der Nation die Erkenntniß wenigstens vorbereitet worden, daß nur in einer größern Gemeinschaft sich die Zwecke des modernen Staates erfüllen lassen. Es waren die Keime einer neuen Staatsidee, die im schroffsten Gegensatze zu den abgelebten Institutionen des Mittelalters stand, durch die ganze Halbinsel verbreitet worden. — Zwar die ersten unreifen und unzusammenhängenden liberalen Bewegungen trugen nur dazu bei, die östrei¬ chische Macht zunächst zu befestigen, indem sie die bedrohten Regierungen nöthig¬ ten, ihrer Sicherheit wegen sich Oestreich ganz in die Arme zu werfen. In noch höherem Grade wie in Deutschland konnte Oestreich in Italien seine Herrschaft aus die in den Regierenden lebende Furcht vor der Revolution grün- * den. Erst in den Bewegungen der Jahre 1847 und 1848 entwickelte sich die 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/251>, abgerufen am 28.07.2024.