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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Mittelalter hindurch und bis in die neuere Zeit hinein galt der erste große
Nebenfluß des Nil, der aus Habesch herabkommende Atbara, von den Alten
- Astaboras genant, als eigentlicher Quellstrom. Später hielt man den sogenannten
Blauen Fluß, Bachr El Eßrak, dafür, welcher, im abyssinischen Hochland unter
dem 11° n. Br. entspringend, sich bei Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen
Sudan, mit dem Weißen Fluß vereinigt. Erst in unserm Jahrhundert, als
Linant Bey den letzteren eine Strecke hinauf befahren, wurde man inne, daß
dieser der Hauptfluß sei. Wiederholt gingen jetzt Expeditionen den Weißen
Fluß, Bachr El Abiad, hinauf, aber obwohl sie mehrmals von Gelehrten,
unter Anderm von dem Deutschen Werre, begleitet waren, kam man zu keinen
sichern Resultaten über die Quellen, und mehr als einmal geschah es noch, daß
ein Nebenfluß für den wahren Nil erklärt wurde. Der Franzose d'Abbadie
z. B. wollte behaupten, daß dieser im solas zu suchen sei, und berichtete, daß
er auf einer Reise nach Kaffa in Habesch die Nilquelle unter einem von den
Eingebornen für heilig gehaltenen Baume zwischen zwei waldbewachsenen Ber¬
gen, Boschi und Doschi, aufgefunden habe. Wenn der Nachweis, daß dieser
Berichterstatter niemals in Kaffa gewesen, diese Angabe in das Bereich der
Fabeln verschwinden ließ, so folgte bald ein anderer Irrthum: der eigentliche
Quellstrom des Nil sollte in dem Bachr El Ghaßal entdeckt sein, welcher aller¬
dings dem Nil eine beträchtliche Wassermasse zuführt, aber entfernt nicht die
Länge desselben hat. Noch kurz vor dem vorläufigen Abschluß der Frage wurde
von Reisenden auf Aussagen von Negern hin behauptet, eine eigentliche Quelle
des Nil existire gar nicht, sondern derselbe entstehe in der Nachbarschaft von
Gondokoro durch das Zusammenströmen zahlreicher Sumpfbäche, die mehre
Monate im Jahre durch langdauernde Regengüsse geschwellt würden.

Inzwischen drangen katholische Missionäre, französische und italienische El-
senbeinhändler, Elephantenjäger und Sklavenfänger fortwährend weiter nach
Süden vor, und jedes Jahr fügte unsrer Kenntniß von dem Weißen Nil ein
Stück mehr hinzu. Einerseits verfolgten Glaubensboten wie Knoblecher, andrer¬
seits Reisende wie Peney und Petherick und Sklaven- und Elfenbeinhändler
wie de Bono und Miami den Laus des Flusses noch bis etwa zum 4° n. Br.
hinaus. Allein die Entdeckung der Nilquellen selbst sollte von dieser Richtung
her nicht gelingen. Wenn man vom Gondokoro flußaufwärts blickte, so sah
man in der Ferne ein bogenförmiges Gebirg, welches am Horizont einen Durch¬
bruch zeigte. In der Mitte dieses Bogens bemerkte man einen steil abfallenden
Kegel, der von den Negern Logwek, von den Arabern Nedschef, der Zitternde,
genannt wurde, indem die Sage ging, daß derselbe erhebe, wenn ihn der Fuß
eines Moslem betrete. Ueber diesen Berg, an welchem der Strom große
Windungen macht, waren auch die kühnsten Reisenden nicht hinausgekommen;
denn dort stellten sich ihnen einerseits gewaltige Stromschnellen, andrerseits die an


Grenzboten III. 1S63. 28

Mittelalter hindurch und bis in die neuere Zeit hinein galt der erste große
Nebenfluß des Nil, der aus Habesch herabkommende Atbara, von den Alten
- Astaboras genant, als eigentlicher Quellstrom. Später hielt man den sogenannten
Blauen Fluß, Bachr El Eßrak, dafür, welcher, im abyssinischen Hochland unter
dem 11° n. Br. entspringend, sich bei Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen
Sudan, mit dem Weißen Fluß vereinigt. Erst in unserm Jahrhundert, als
Linant Bey den letzteren eine Strecke hinauf befahren, wurde man inne, daß
dieser der Hauptfluß sei. Wiederholt gingen jetzt Expeditionen den Weißen
Fluß, Bachr El Abiad, hinauf, aber obwohl sie mehrmals von Gelehrten,
unter Anderm von dem Deutschen Werre, begleitet waren, kam man zu keinen
sichern Resultaten über die Quellen, und mehr als einmal geschah es noch, daß
ein Nebenfluß für den wahren Nil erklärt wurde. Der Franzose d'Abbadie
z. B. wollte behaupten, daß dieser im solas zu suchen sei, und berichtete, daß
er auf einer Reise nach Kaffa in Habesch die Nilquelle unter einem von den
Eingebornen für heilig gehaltenen Baume zwischen zwei waldbewachsenen Ber¬
gen, Boschi und Doschi, aufgefunden habe. Wenn der Nachweis, daß dieser
Berichterstatter niemals in Kaffa gewesen, diese Angabe in das Bereich der
Fabeln verschwinden ließ, so folgte bald ein anderer Irrthum: der eigentliche
Quellstrom des Nil sollte in dem Bachr El Ghaßal entdeckt sein, welcher aller¬
dings dem Nil eine beträchtliche Wassermasse zuführt, aber entfernt nicht die
Länge desselben hat. Noch kurz vor dem vorläufigen Abschluß der Frage wurde
von Reisenden auf Aussagen von Negern hin behauptet, eine eigentliche Quelle
des Nil existire gar nicht, sondern derselbe entstehe in der Nachbarschaft von
Gondokoro durch das Zusammenströmen zahlreicher Sumpfbäche, die mehre
Monate im Jahre durch langdauernde Regengüsse geschwellt würden.

Inzwischen drangen katholische Missionäre, französische und italienische El-
senbeinhändler, Elephantenjäger und Sklavenfänger fortwährend weiter nach
Süden vor, und jedes Jahr fügte unsrer Kenntniß von dem Weißen Nil ein
Stück mehr hinzu. Einerseits verfolgten Glaubensboten wie Knoblecher, andrer¬
seits Reisende wie Peney und Petherick und Sklaven- und Elfenbeinhändler
wie de Bono und Miami den Laus des Flusses noch bis etwa zum 4° n. Br.
hinaus. Allein die Entdeckung der Nilquellen selbst sollte von dieser Richtung
her nicht gelingen. Wenn man vom Gondokoro flußaufwärts blickte, so sah
man in der Ferne ein bogenförmiges Gebirg, welches am Horizont einen Durch¬
bruch zeigte. In der Mitte dieses Bogens bemerkte man einen steil abfallenden
Kegel, der von den Negern Logwek, von den Arabern Nedschef, der Zitternde,
genannt wurde, indem die Sage ging, daß derselbe erhebe, wenn ihn der Fuß
eines Moslem betrete. Ueber diesen Berg, an welchem der Strom große
Windungen macht, waren auch die kühnsten Reisenden nicht hinausgekommen;
denn dort stellten sich ihnen einerseits gewaltige Stromschnellen, andrerseits die an


Grenzboten III. 1S63. 28
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[0225] Mittelalter hindurch und bis in die neuere Zeit hinein galt der erste große Nebenfluß des Nil, der aus Habesch herabkommende Atbara, von den Alten - Astaboras genant, als eigentlicher Quellstrom. Später hielt man den sogenannten Blauen Fluß, Bachr El Eßrak, dafür, welcher, im abyssinischen Hochland unter dem 11° n. Br. entspringend, sich bei Chartum, der Hauptstadt des ägyptischen Sudan, mit dem Weißen Fluß vereinigt. Erst in unserm Jahrhundert, als Linant Bey den letzteren eine Strecke hinauf befahren, wurde man inne, daß dieser der Hauptfluß sei. Wiederholt gingen jetzt Expeditionen den Weißen Fluß, Bachr El Abiad, hinauf, aber obwohl sie mehrmals von Gelehrten, unter Anderm von dem Deutschen Werre, begleitet waren, kam man zu keinen sichern Resultaten über die Quellen, und mehr als einmal geschah es noch, daß ein Nebenfluß für den wahren Nil erklärt wurde. Der Franzose d'Abbadie z. B. wollte behaupten, daß dieser im solas zu suchen sei, und berichtete, daß er auf einer Reise nach Kaffa in Habesch die Nilquelle unter einem von den Eingebornen für heilig gehaltenen Baume zwischen zwei waldbewachsenen Ber¬ gen, Boschi und Doschi, aufgefunden habe. Wenn der Nachweis, daß dieser Berichterstatter niemals in Kaffa gewesen, diese Angabe in das Bereich der Fabeln verschwinden ließ, so folgte bald ein anderer Irrthum: der eigentliche Quellstrom des Nil sollte in dem Bachr El Ghaßal entdeckt sein, welcher aller¬ dings dem Nil eine beträchtliche Wassermasse zuführt, aber entfernt nicht die Länge desselben hat. Noch kurz vor dem vorläufigen Abschluß der Frage wurde von Reisenden auf Aussagen von Negern hin behauptet, eine eigentliche Quelle des Nil existire gar nicht, sondern derselbe entstehe in der Nachbarschaft von Gondokoro durch das Zusammenströmen zahlreicher Sumpfbäche, die mehre Monate im Jahre durch langdauernde Regengüsse geschwellt würden. Inzwischen drangen katholische Missionäre, französische und italienische El- senbeinhändler, Elephantenjäger und Sklavenfänger fortwährend weiter nach Süden vor, und jedes Jahr fügte unsrer Kenntniß von dem Weißen Nil ein Stück mehr hinzu. Einerseits verfolgten Glaubensboten wie Knoblecher, andrer¬ seits Reisende wie Peney und Petherick und Sklaven- und Elfenbeinhändler wie de Bono und Miami den Laus des Flusses noch bis etwa zum 4° n. Br. hinaus. Allein die Entdeckung der Nilquellen selbst sollte von dieser Richtung her nicht gelingen. Wenn man vom Gondokoro flußaufwärts blickte, so sah man in der Ferne ein bogenförmiges Gebirg, welches am Horizont einen Durch¬ bruch zeigte. In der Mitte dieses Bogens bemerkte man einen steil abfallenden Kegel, der von den Negern Logwek, von den Arabern Nedschef, der Zitternde, genannt wurde, indem die Sage ging, daß derselbe erhebe, wenn ihn der Fuß eines Moslem betrete. Ueber diesen Berg, an welchem der Strom große Windungen macht, waren auch die kühnsten Reisenden nicht hinausgekommen; denn dort stellten sich ihnen einerseits gewaltige Stromschnellen, andrerseits die an Grenzboten III. 1S63. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/225>, abgerufen am 28.07.2024.