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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Trommelwirbel und zwar in ungewöhnlich kräftiger Weise, erschallte. Es war
der leipziger Turnverein, der mit männlichem Schritt, festgeschlossen, straff und wohl¬
geschult mit seiner prachtvollen neuen Fahne vorübcrmarschirte. Voran ging ein
athletischer Tambourmajor, der seinen Stab wiederholt bis zur Höhe des zweiten
Stocks der Häuser emporwarf, um ihn dann geschickt wieder aufzufangen.
Hinter ihm rasselten gegen dreißig Trommeln. Dann kamen in langem Zug,
musterhaft in ihrer Haltung, einfach gekleidet, schmucklos im Vergleich mit
vielen vorher Vorübergegangenen, namentlich mit den Oestreichern und Schwa¬
ben, aber jeder Zoll ein praktischer Turner, die Rotten der übrigen Vereins-
glieder. Gehoben von dem Bewußtsein, Meister in ihrer Kunst und als solche
von allen Genossen anerkannt zu sein, vielfach mit Hurrah und Blumen geehrt,
schritten die tüchtigen Männer und Jünglinge dem Festplatz zu, um sich dort
von Neuem als die Besten zu bewähren.

Es schlug halb zwei Uhr, als diese letzten Glieder der großen Kette den
Markt betraten. Volle anderthalb Stunden hatte der Zug bedurft, um an
unserm Standort vorüberzupassiren. Mehr als zwanzigtausend Turner sollen
an ihm theilgenommen haben. Nur Städte ersten Ranges sahen bis diesen Tag
eine so stolze Procession sich durch ihre Straßen bewegen, keine erlebte bis jetzt
eine solche Entfaltung nationaler Kraftfülle, die lediglich aus dem Volte
selbst erwachsen war.

Noch mangeln uns genauere statistische Angaben. Aber mit Sicherheit
läßt sich schon jetzt sagen, daß die Elemente des hier versammelten Turner¬
heeres ihrer großen Mehrzahl nach nord- und mitteldeutsche waren. Bon
selbst verstand sich bei der Lage Leipzigs und der Blüthe, welche die Turnerei
in Sachsen erreicht hat, daß Sachsen das stärkste Contingent zu der Feier
stellte, und man wird nicht weit von der Wahrheit entfernt sein, wenn man
annimmt, daß es nahezu die Hälfte seiner Turner nach Leipzig sandte
und damit ziemlich die Hälfte der Theilnehmer an dem Aufzuge gab. Ein
Städtchen wie Waldheim hatte bei etwa fünftausend Einwohnern, wie man
uns berichtet, siebzig von seinen Turngenossen mit den Mitteln zur Festreise
ausgerüstet. Aus den Ortschaften des Erzgebirges und des Voigtlandes waren
verhältnißmüßig gleich starke Schaaren eingetroffen, ein grvßcntcheils dürftiges,
meist untermäßigcs Geschlecht, aber von klugem Gesicht und gewandtem Ge-
bahren und recht eigentlich geschaffen, den Deutschen seinerzeit Brigaden
behender Jäger zu liefern.

Nächst den Sachsen waren die verwandten Thüringer und die Preußen bis
zum baltischen Meere und zur polnischen Grenze am zahlreichsten vertreten, und
es war eine Freude, die stämmigen Burschen, die wuchtigen Grenadier- und
Kürassicrgestalten zu sehen, welche die Mehrzahl der aus den nördlichen Pro¬
vinzen Preußens Gekommenen bildeten. Im Ganzen mochten von den Theil-


Trommelwirbel und zwar in ungewöhnlich kräftiger Weise, erschallte. Es war
der leipziger Turnverein, der mit männlichem Schritt, festgeschlossen, straff und wohl¬
geschult mit seiner prachtvollen neuen Fahne vorübcrmarschirte. Voran ging ein
athletischer Tambourmajor, der seinen Stab wiederholt bis zur Höhe des zweiten
Stocks der Häuser emporwarf, um ihn dann geschickt wieder aufzufangen.
Hinter ihm rasselten gegen dreißig Trommeln. Dann kamen in langem Zug,
musterhaft in ihrer Haltung, einfach gekleidet, schmucklos im Vergleich mit
vielen vorher Vorübergegangenen, namentlich mit den Oestreichern und Schwa¬
ben, aber jeder Zoll ein praktischer Turner, die Rotten der übrigen Vereins-
glieder. Gehoben von dem Bewußtsein, Meister in ihrer Kunst und als solche
von allen Genossen anerkannt zu sein, vielfach mit Hurrah und Blumen geehrt,
schritten die tüchtigen Männer und Jünglinge dem Festplatz zu, um sich dort
von Neuem als die Besten zu bewähren.

Es schlug halb zwei Uhr, als diese letzten Glieder der großen Kette den
Markt betraten. Volle anderthalb Stunden hatte der Zug bedurft, um an
unserm Standort vorüberzupassiren. Mehr als zwanzigtausend Turner sollen
an ihm theilgenommen haben. Nur Städte ersten Ranges sahen bis diesen Tag
eine so stolze Procession sich durch ihre Straßen bewegen, keine erlebte bis jetzt
eine solche Entfaltung nationaler Kraftfülle, die lediglich aus dem Volte
selbst erwachsen war.

Noch mangeln uns genauere statistische Angaben. Aber mit Sicherheit
läßt sich schon jetzt sagen, daß die Elemente des hier versammelten Turner¬
heeres ihrer großen Mehrzahl nach nord- und mitteldeutsche waren. Bon
selbst verstand sich bei der Lage Leipzigs und der Blüthe, welche die Turnerei
in Sachsen erreicht hat, daß Sachsen das stärkste Contingent zu der Feier
stellte, und man wird nicht weit von der Wahrheit entfernt sein, wenn man
annimmt, daß es nahezu die Hälfte seiner Turner nach Leipzig sandte
und damit ziemlich die Hälfte der Theilnehmer an dem Aufzuge gab. Ein
Städtchen wie Waldheim hatte bei etwa fünftausend Einwohnern, wie man
uns berichtet, siebzig von seinen Turngenossen mit den Mitteln zur Festreise
ausgerüstet. Aus den Ortschaften des Erzgebirges und des Voigtlandes waren
verhältnißmüßig gleich starke Schaaren eingetroffen, ein grvßcntcheils dürftiges,
meist untermäßigcs Geschlecht, aber von klugem Gesicht und gewandtem Ge-
bahren und recht eigentlich geschaffen, den Deutschen seinerzeit Brigaden
behender Jäger zu liefern.

Nächst den Sachsen waren die verwandten Thüringer und die Preußen bis
zum baltischen Meere und zur polnischen Grenze am zahlreichsten vertreten, und
es war eine Freude, die stämmigen Burschen, die wuchtigen Grenadier- und
Kürassicrgestalten zu sehen, welche die Mehrzahl der aus den nördlichen Pro¬
vinzen Preußens Gekommenen bildeten. Im Ganzen mochten von den Theil-


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[0221] Trommelwirbel und zwar in ungewöhnlich kräftiger Weise, erschallte. Es war der leipziger Turnverein, der mit männlichem Schritt, festgeschlossen, straff und wohl¬ geschult mit seiner prachtvollen neuen Fahne vorübcrmarschirte. Voran ging ein athletischer Tambourmajor, der seinen Stab wiederholt bis zur Höhe des zweiten Stocks der Häuser emporwarf, um ihn dann geschickt wieder aufzufangen. Hinter ihm rasselten gegen dreißig Trommeln. Dann kamen in langem Zug, musterhaft in ihrer Haltung, einfach gekleidet, schmucklos im Vergleich mit vielen vorher Vorübergegangenen, namentlich mit den Oestreichern und Schwa¬ ben, aber jeder Zoll ein praktischer Turner, die Rotten der übrigen Vereins- glieder. Gehoben von dem Bewußtsein, Meister in ihrer Kunst und als solche von allen Genossen anerkannt zu sein, vielfach mit Hurrah und Blumen geehrt, schritten die tüchtigen Männer und Jünglinge dem Festplatz zu, um sich dort von Neuem als die Besten zu bewähren. Es schlug halb zwei Uhr, als diese letzten Glieder der großen Kette den Markt betraten. Volle anderthalb Stunden hatte der Zug bedurft, um an unserm Standort vorüberzupassiren. Mehr als zwanzigtausend Turner sollen an ihm theilgenommen haben. Nur Städte ersten Ranges sahen bis diesen Tag eine so stolze Procession sich durch ihre Straßen bewegen, keine erlebte bis jetzt eine solche Entfaltung nationaler Kraftfülle, die lediglich aus dem Volte selbst erwachsen war. Noch mangeln uns genauere statistische Angaben. Aber mit Sicherheit läßt sich schon jetzt sagen, daß die Elemente des hier versammelten Turner¬ heeres ihrer großen Mehrzahl nach nord- und mitteldeutsche waren. Bon selbst verstand sich bei der Lage Leipzigs und der Blüthe, welche die Turnerei in Sachsen erreicht hat, daß Sachsen das stärkste Contingent zu der Feier stellte, und man wird nicht weit von der Wahrheit entfernt sein, wenn man annimmt, daß es nahezu die Hälfte seiner Turner nach Leipzig sandte und damit ziemlich die Hälfte der Theilnehmer an dem Aufzuge gab. Ein Städtchen wie Waldheim hatte bei etwa fünftausend Einwohnern, wie man uns berichtet, siebzig von seinen Turngenossen mit den Mitteln zur Festreise ausgerüstet. Aus den Ortschaften des Erzgebirges und des Voigtlandes waren verhältnißmüßig gleich starke Schaaren eingetroffen, ein grvßcntcheils dürftiges, meist untermäßigcs Geschlecht, aber von klugem Gesicht und gewandtem Ge- bahren und recht eigentlich geschaffen, den Deutschen seinerzeit Brigaden behender Jäger zu liefern. Nächst den Sachsen waren die verwandten Thüringer und die Preußen bis zum baltischen Meere und zur polnischen Grenze am zahlreichsten vertreten, und es war eine Freude, die stämmigen Burschen, die wuchtigen Grenadier- und Kürassicrgestalten zu sehen, welche die Mehrzahl der aus den nördlichen Pro¬ vinzen Preußens Gekommenen bildeten. Im Ganzen mochten von den Theil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/221>, abgerufen am 28.07.2024.