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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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waren andere Häuser mit Wappen, Emblemen und Sinnsprüchen versehen.
Wirthe luden durch Verse über ihren Thüren, in denen sich, wie billig, deutsche
Kraft, Turnerschaft und Gerstensaft reinem, zur Einkehr ein. Kleine Leute,
denen Fahnen von Stoff versagt waren, hatten ihre Dachfenster wenigstens
mit Fähnchen von Papier der Bedeutung des Festes gerecht gemacht. Rüh¬
rend war, zu sehen,, wie ein und das andere alte windschiefe Häuschen der
Vorstädte mit Kränzen und zwerghaften Fahnen sich bemüht hatte, mindestens
seinen guten Willen sehen zu lassen.

Wir glauben nicht zu übertreiben, wenn wir sagen, daß die großen Fah¬
nen, welche am Sonnabend den einmarschirenden Turnerschaaren den Willkommen
Leipzigs entgegenwehten, -- von den kleinen ganz abgesehen -- nicht nach Hun¬
derten, sondern nach Tausenden zählten. Jedenfalls hat die Stadt noch nie
einen solchen Empfang erlebt, als diesen, der dem Gedanken der deutschen Ein¬
heit galt.

Zwar hatte sich in den Wochen vor dem Feste mancherlei begeben, was
richte'ritischen Gemüthern als Zeichen und Wunder erscheinen konnte. Die
sächsische Negierung hatte, als man an Massenquarticre denken mußte und in
Verlegenheit um Bettdecken war, bereitwillig aus den Militärmagazinen eine
beträchtliche Anzahl solcher Decken angewiesen. Der Genius der Leipziger Zei¬
tung ferner hatte sich bewogen gefunden oder angeregt gesehen, aus der Kasse
des Blattes einen nicht unbedeutenden Beitrag zu den Kosten des Festes bei¬
zusteuern, und diese Spende mit einem Briefe begleitet, der dann als Specimen
auffallender Liberalität veröffentlicht werden durfte. Auch sonst verlautete, daß
man in Dresden sich als der Sache mit Wohlwollen zugewendet zu zeigen
gedenke. Kritiker werden darüber ihre eignen Gedanken haben und vermuthlich
auf die Deutung kommen, die wir hier, obschon nach des Herrn v. Beust
neuester weltgeschichtlicher Rede in Sachsen noch ein freies Wort gestattet wäre,
aus guten Gründen verschweigen. Wir sagen nur, daß wir über die Gnade,
welche das Fest in Dresden gefunden, keineswegs Erstaunen empfinden.

Wohl aber war Leipzig mit einer Eigenthümlichkeit seiner Fahnenpracht
für uns ein Wunder und Zeichen der Zeit. Vor zwanzig Jahren relegirte das
Universitätsgericht noch Studenten, welche sich des Verbrechens schuldig gemacht
haben sollten, einer Verbindung anzugehören, die in dringendem Verdacht stand,
Schwarz, Roth und Gold für gut neben einander passende Farben zu halten.
Vor vier Jahren noch, als wir das Schillerfest feierten, wagte, obwohl damals
von oben nur die Weisung ergangen sein soll, "zu hindern, nicht zu verbieten",
von allen Häusern der Stadt nur ein einziges -- dem Vernehmen nach von
einem tapfern Bürger und Schneidermeister bewohnt -- die deutsche Tricolore.
das Symbol des deutschen Bundesstaates, zu zeigen. Jetzt war keine Gasse, in
der die deutschen Farben nicht die bei weitem überwiegenden gewesen wären


waren andere Häuser mit Wappen, Emblemen und Sinnsprüchen versehen.
Wirthe luden durch Verse über ihren Thüren, in denen sich, wie billig, deutsche
Kraft, Turnerschaft und Gerstensaft reinem, zur Einkehr ein. Kleine Leute,
denen Fahnen von Stoff versagt waren, hatten ihre Dachfenster wenigstens
mit Fähnchen von Papier der Bedeutung des Festes gerecht gemacht. Rüh¬
rend war, zu sehen,, wie ein und das andere alte windschiefe Häuschen der
Vorstädte mit Kränzen und zwerghaften Fahnen sich bemüht hatte, mindestens
seinen guten Willen sehen zu lassen.

Wir glauben nicht zu übertreiben, wenn wir sagen, daß die großen Fah¬
nen, welche am Sonnabend den einmarschirenden Turnerschaaren den Willkommen
Leipzigs entgegenwehten, — von den kleinen ganz abgesehen — nicht nach Hun¬
derten, sondern nach Tausenden zählten. Jedenfalls hat die Stadt noch nie
einen solchen Empfang erlebt, als diesen, der dem Gedanken der deutschen Ein¬
heit galt.

Zwar hatte sich in den Wochen vor dem Feste mancherlei begeben, was
richte'ritischen Gemüthern als Zeichen und Wunder erscheinen konnte. Die
sächsische Negierung hatte, als man an Massenquarticre denken mußte und in
Verlegenheit um Bettdecken war, bereitwillig aus den Militärmagazinen eine
beträchtliche Anzahl solcher Decken angewiesen. Der Genius der Leipziger Zei¬
tung ferner hatte sich bewogen gefunden oder angeregt gesehen, aus der Kasse
des Blattes einen nicht unbedeutenden Beitrag zu den Kosten des Festes bei¬
zusteuern, und diese Spende mit einem Briefe begleitet, der dann als Specimen
auffallender Liberalität veröffentlicht werden durfte. Auch sonst verlautete, daß
man in Dresden sich als der Sache mit Wohlwollen zugewendet zu zeigen
gedenke. Kritiker werden darüber ihre eignen Gedanken haben und vermuthlich
auf die Deutung kommen, die wir hier, obschon nach des Herrn v. Beust
neuester weltgeschichtlicher Rede in Sachsen noch ein freies Wort gestattet wäre,
aus guten Gründen verschweigen. Wir sagen nur, daß wir über die Gnade,
welche das Fest in Dresden gefunden, keineswegs Erstaunen empfinden.

Wohl aber war Leipzig mit einer Eigenthümlichkeit seiner Fahnenpracht
für uns ein Wunder und Zeichen der Zeit. Vor zwanzig Jahren relegirte das
Universitätsgericht noch Studenten, welche sich des Verbrechens schuldig gemacht
haben sollten, einer Verbindung anzugehören, die in dringendem Verdacht stand,
Schwarz, Roth und Gold für gut neben einander passende Farben zu halten.
Vor vier Jahren noch, als wir das Schillerfest feierten, wagte, obwohl damals
von oben nur die Weisung ergangen sein soll, „zu hindern, nicht zu verbieten",
von allen Häusern der Stadt nur ein einziges — dem Vernehmen nach von
einem tapfern Bürger und Schneidermeister bewohnt — die deutsche Tricolore.
das Symbol des deutschen Bundesstaates, zu zeigen. Jetzt war keine Gasse, in
der die deutschen Farben nicht die bei weitem überwiegenden gewesen wären


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/214>, abgerufen am 22.12.2024.