Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.sich aufgethan, sie stieg in die Belletage und fand, was sie suchte, sie ging Selbstverständlich, zumal bei einer Handelsstadt, regte sich auch die Spe- Die bildende Kunst betheiligte sich an der Ausschmückung der Festhalle 26*
sich aufgethan, sie stieg in die Belletage und fand, was sie suchte, sie ging Selbstverständlich, zumal bei einer Handelsstadt, regte sich auch die Spe- Die bildende Kunst betheiligte sich an der Ausschmückung der Festhalle 26*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115601"/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> sich aufgethan, sie stieg in die Belletage und fand, was sie suchte, sie ging<lb/> bittend bis unter das Dach, und auch hier ward ihr von guten Herzen gegeben.<lb/> Mehr als ein ärmlicher Handwerker zog mit Frau und Kind in die Küche, um<lb/> sein Stübchen „seinem Turner" zu überlassen. Es wurde zu einer Schande,<lb/> keinen Gast zu haben. Während man sich von Seiten der Stadtbehörden vor¬<lb/> gesehen hatte, in sogenannten Massenquartieren, in öffentlichen Gebäuden, drei¬<lb/> tausend Turnern Unterkunft zu gewähren, bedürfte man zuletzt deren nur für<lb/> vier- bis fünfhundert. Während in Frankfurt nur achtzehnhundert Schützen¬<lb/> joppen in Familien Gastfreundschaft genossen, waren in Leipzig zwölftausend<lb/> Mann der Jnvasionsarmee von Turnerjacken in Bürgerhäusern willkommene<lb/> Gäste, und nur dreitausend wurden gegen Entschädigung untergebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_560"> Selbstverständlich, zumal bei einer Handelsstadt, regte sich auch die Spe-<lb/> culation kräftigst für das Fest. Das Tageblatt entwickelte in jeder Nummer ein<lb/> ganz artiges kleines Wörterbuch neuer Ausdrücke. Handwerke und freie Künste<lb/> rivalisirten, wer dazu das Meiste und Wunderlichste liefern sollte. Der Buch¬<lb/> handel bot Turncrführer und Turncrkalender, Turnliederbücher, eine Festzeitung,<lb/> unterschiedliche Gedichte und andere Producte aus. Dame Musica hatte für<lb/> die Gelegenheit einen „Fest-Turncrmarsch" und daneben einen „Turner-Fest¬<lb/> marsch" componirt. Herr Würkert, früher Geistlicher, jetzt patriotischer und<lb/> volksthümlicher Bierwirth, hatte „Zwölf deutsche Worte zum dritten deutschen<lb/> Turnfeste" drucken lassen. Ordinärere Speculation zeigte „Eisele und Beisele<lb/> auf dem Leipziger Turnfest" und „Herzensergießungen des Baron von Prudel-<lb/> witz an den Baron von Sprudclwitz" an. Mancherlei Poeten ließen ihren<lb/> Sang erschallen, und wenn die Stimme in der Regel schwach war, so wollen<lb/> wir annehmen, daß wenigstens die Meinung gut gewesen. Selbst über eine<lb/> alte Dame, die sich für gewöhnlich mit dem Austragen von Pommadebüchsen<lb/> beschäftigt, war der Geist des großen Moments gekommen, um sie zu einem<lb/> „Gruß der deutschen Frauen an die deutsche Turnerschaft" hinzureißen, der<lb/> gar nicht übel in Verse gebracht war und in einem biedern Buchbinder auch<lb/> seinen Verleger gefunden hatte. Man sieht, es erfüllt sich, was geschrieben<lb/> steht! Ihre Jünglinge sollen weissagen und ihre Aeltesten Gesichte gesehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_561" next="#ID_562"> Die bildende Kunst betheiligte sich an der Ausschmückung der Festhalle<lb/> und indem sie dem Publicum den Turnvater Jahr in den verschiedensten Größen<lb/> und Materialien, als Büste und als ganze Figur, in Gyps. Wachs und Por-<lb/> zelan lieferte. Unzählige Anzeigen machten darauf aufmerksam, was den Herren<lb/> Turnern Alles nützlich oder zur größeren Ehre des Festes dienlich sein könnte.<lb/> Da gab es Turneranzüge, Turnerhüte mit den Farben aller deutschen Vater¬<lb/> länder, Turnergürtel, Turncrdoscn, Turnerknöpfc, Turnerfeuerzeuge, Turneruhr¬<lb/> ketten, aus Garibaldi-Ketten umgetauft, Turnerbleistifte und Turnershlipse.<lb/> Ferner wurden Turnerorden und Turnergummibätte, Turnerseife (früher sehn-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 26*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0211]
sich aufgethan, sie stieg in die Belletage und fand, was sie suchte, sie ging
bittend bis unter das Dach, und auch hier ward ihr von guten Herzen gegeben.
Mehr als ein ärmlicher Handwerker zog mit Frau und Kind in die Küche, um
sein Stübchen „seinem Turner" zu überlassen. Es wurde zu einer Schande,
keinen Gast zu haben. Während man sich von Seiten der Stadtbehörden vor¬
gesehen hatte, in sogenannten Massenquartieren, in öffentlichen Gebäuden, drei¬
tausend Turnern Unterkunft zu gewähren, bedürfte man zuletzt deren nur für
vier- bis fünfhundert. Während in Frankfurt nur achtzehnhundert Schützen¬
joppen in Familien Gastfreundschaft genossen, waren in Leipzig zwölftausend
Mann der Jnvasionsarmee von Turnerjacken in Bürgerhäusern willkommene
Gäste, und nur dreitausend wurden gegen Entschädigung untergebracht.
Selbstverständlich, zumal bei einer Handelsstadt, regte sich auch die Spe-
culation kräftigst für das Fest. Das Tageblatt entwickelte in jeder Nummer ein
ganz artiges kleines Wörterbuch neuer Ausdrücke. Handwerke und freie Künste
rivalisirten, wer dazu das Meiste und Wunderlichste liefern sollte. Der Buch¬
handel bot Turncrführer und Turncrkalender, Turnliederbücher, eine Festzeitung,
unterschiedliche Gedichte und andere Producte aus. Dame Musica hatte für
die Gelegenheit einen „Fest-Turncrmarsch" und daneben einen „Turner-Fest¬
marsch" componirt. Herr Würkert, früher Geistlicher, jetzt patriotischer und
volksthümlicher Bierwirth, hatte „Zwölf deutsche Worte zum dritten deutschen
Turnfeste" drucken lassen. Ordinärere Speculation zeigte „Eisele und Beisele
auf dem Leipziger Turnfest" und „Herzensergießungen des Baron von Prudel-
witz an den Baron von Sprudclwitz" an. Mancherlei Poeten ließen ihren
Sang erschallen, und wenn die Stimme in der Regel schwach war, so wollen
wir annehmen, daß wenigstens die Meinung gut gewesen. Selbst über eine
alte Dame, die sich für gewöhnlich mit dem Austragen von Pommadebüchsen
beschäftigt, war der Geist des großen Moments gekommen, um sie zu einem
„Gruß der deutschen Frauen an die deutsche Turnerschaft" hinzureißen, der
gar nicht übel in Verse gebracht war und in einem biedern Buchbinder auch
seinen Verleger gefunden hatte. Man sieht, es erfüllt sich, was geschrieben
steht! Ihre Jünglinge sollen weissagen und ihre Aeltesten Gesichte gesehen.
Die bildende Kunst betheiligte sich an der Ausschmückung der Festhalle
und indem sie dem Publicum den Turnvater Jahr in den verschiedensten Größen
und Materialien, als Büste und als ganze Figur, in Gyps. Wachs und Por-
zelan lieferte. Unzählige Anzeigen machten darauf aufmerksam, was den Herren
Turnern Alles nützlich oder zur größeren Ehre des Festes dienlich sein könnte.
Da gab es Turneranzüge, Turnerhüte mit den Farben aller deutschen Vater¬
länder, Turnergürtel, Turncrdoscn, Turnerknöpfc, Turnerfeuerzeuge, Turneruhr¬
ketten, aus Garibaldi-Ketten umgetauft, Turnerbleistifte und Turnershlipse.
Ferner wurden Turnerorden und Turnergummibätte, Turnerseife (früher sehn-
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