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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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unter dem Gewicht der kaiserlichen und königlichen Autorität dieses hochbegabten
Monarchen, den in allen seinen Unternehmungen die Überlegenheit des nüch¬
ternen Realpolitikers auszeichnet. Ungemein förderlich war ihm dabei der
Glanz des neuen höfischen Wesens und die Pflege der frühhumanistischen Bil¬
dung, welche in der prager Universität die erste Pflanzstätte innerhalb des
deutschen Reiches erhielt. Wie übel auch eine, moralische Würdigung seiner
Diplomatie ausfallen würde, welche ihn als einen gelehrigen Schüler der ita¬
lienischen Staatskunst charakterisiert, diese Bedenken wurden niedergehalten und
in gewissem Grade in der That beschwichtigt durch den Eindruck, den seine
Staatswirthschaft machte, die zum ersten Male einen großen und klaren organi¬
satorischen Geist und einen Monarchen erscheinen ließ, welcher alle Fäden in
seiner Hand hielt und wirklich selbst regierte. Mochte ihm gleich alles sittliche
Pathos abgehen, gerade die Eigenschaften, die er hatte, thaten noth in seinem
Zeitalter. Sie würden Ueberdauerndes gegründet haben, wenn es nicht aller
Monarchie höchste Gewähr und größte Gefahr zugleich wäre, auf die Persön¬
lichkeit gegründet zu sein, und wären nicht die schwächste Seite dieses Mannes
seine Söhne gewesen.

Aber Wenzel der Vierte und Sigismund theilen sich in die Schuld. Böh¬
men in seiner größten Krisis verwahrlost und dadurch aus der Bahn gesunder
historischer Entwicklung hinausgerückt zu haben. Wenn es im Leben der Völker
sowie im Leben der einzelnen Menschen Anticipationen und Anachronismen gibt;
wenn eine ganze Nation mit Offenbarungen gleichsam geschlagen werden kann,
welche es nicht auszugleichen vermag mit dem Gange der historischen Weltent¬
wicklung: so hat Böhmen diese Erfahrung im Hussitismus gemacht. Tiefer
und erschöpfender als jede andere Epoche wühlte diese in dem Innern des
Volkes. Sie bildet einen Wendepunkt in der böhmischen Geschichte wie unter
vergleichbaren Völkern etwa nur die französische Revolution in der französischen.
Denn der Hussitismus war nicht blos eine von den vielen religiösen oder
socialen Bewegungen, die am Ausgange des Mittelalters unter den Völkern
begegnen, sondern er ist eine Revolution im vollen Wortsinne: der Volkskampf
zur Vernichtung und Erneuerung alles traditionell Bestehenden. Er hat.nicht
zum Siege geführt und konnte es nicht; denn er beruhte auf einem Wider¬
spruche gegen das zu gleicher Zeit von den übrigen Culturvölkern anerkannte
Princip der Reform, welches sich in der Berufung der Concile aussprach. Hier
liegt der tragische Conflict. Je höher wir Hussens Lehre nach ihrem absoluten
sittlichen Werthe anschlagen, desto mehr müssen wir gestehen, daß er fallen
mußte. Denn sie durchkreuzte nicht blos den neuen Anfang, der sich im deut¬
schen Königthume durch Sigmund, in der Kirche durch die parlamentarische Ver"
fassung anzubahnen schien, sondern sie stellte die ideellen Grundfesten beider
dadurch in Frage, daß sie in furchtbarer Naivetät den absoluten sittlichen Maß-


unter dem Gewicht der kaiserlichen und königlichen Autorität dieses hochbegabten
Monarchen, den in allen seinen Unternehmungen die Überlegenheit des nüch¬
ternen Realpolitikers auszeichnet. Ungemein förderlich war ihm dabei der
Glanz des neuen höfischen Wesens und die Pflege der frühhumanistischen Bil¬
dung, welche in der prager Universität die erste Pflanzstätte innerhalb des
deutschen Reiches erhielt. Wie übel auch eine, moralische Würdigung seiner
Diplomatie ausfallen würde, welche ihn als einen gelehrigen Schüler der ita¬
lienischen Staatskunst charakterisiert, diese Bedenken wurden niedergehalten und
in gewissem Grade in der That beschwichtigt durch den Eindruck, den seine
Staatswirthschaft machte, die zum ersten Male einen großen und klaren organi¬
satorischen Geist und einen Monarchen erscheinen ließ, welcher alle Fäden in
seiner Hand hielt und wirklich selbst regierte. Mochte ihm gleich alles sittliche
Pathos abgehen, gerade die Eigenschaften, die er hatte, thaten noth in seinem
Zeitalter. Sie würden Ueberdauerndes gegründet haben, wenn es nicht aller
Monarchie höchste Gewähr und größte Gefahr zugleich wäre, auf die Persön¬
lichkeit gegründet zu sein, und wären nicht die schwächste Seite dieses Mannes
seine Söhne gewesen.

Aber Wenzel der Vierte und Sigismund theilen sich in die Schuld. Böh¬
men in seiner größten Krisis verwahrlost und dadurch aus der Bahn gesunder
historischer Entwicklung hinausgerückt zu haben. Wenn es im Leben der Völker
sowie im Leben der einzelnen Menschen Anticipationen und Anachronismen gibt;
wenn eine ganze Nation mit Offenbarungen gleichsam geschlagen werden kann,
welche es nicht auszugleichen vermag mit dem Gange der historischen Weltent¬
wicklung: so hat Böhmen diese Erfahrung im Hussitismus gemacht. Tiefer
und erschöpfender als jede andere Epoche wühlte diese in dem Innern des
Volkes. Sie bildet einen Wendepunkt in der böhmischen Geschichte wie unter
vergleichbaren Völkern etwa nur die französische Revolution in der französischen.
Denn der Hussitismus war nicht blos eine von den vielen religiösen oder
socialen Bewegungen, die am Ausgange des Mittelalters unter den Völkern
begegnen, sondern er ist eine Revolution im vollen Wortsinne: der Volkskampf
zur Vernichtung und Erneuerung alles traditionell Bestehenden. Er hat.nicht
zum Siege geführt und konnte es nicht; denn er beruhte auf einem Wider¬
spruche gegen das zu gleicher Zeit von den übrigen Culturvölkern anerkannte
Princip der Reform, welches sich in der Berufung der Concile aussprach. Hier
liegt der tragische Conflict. Je höher wir Hussens Lehre nach ihrem absoluten
sittlichen Werthe anschlagen, desto mehr müssen wir gestehen, daß er fallen
mußte. Denn sie durchkreuzte nicht blos den neuen Anfang, der sich im deut¬
schen Königthume durch Sigmund, in der Kirche durch die parlamentarische Ver»
fassung anzubahnen schien, sondern sie stellte die ideellen Grundfesten beider
dadurch in Frage, daß sie in furchtbarer Naivetät den absoluten sittlichen Maß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/192>, abgerufen am 28.07.2024.