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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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netcnhauses geben uns den besten Beweis, daß Oestreichs Sympathien für
Polen vor den schwarzgelben Grenzpfählen -- Halt machen. Man schwärmt
für Polens Unabhängigkeit, aber man ist entschlossen (und das ist keine bloße
Redensart), für Oestreichs Integrität zu kämpfen. In der parlamentarischen
Debatte mag dieser Widerspruch, so arg er auch ist, immerhin seine Stelle fin¬
den. Dem praktischen Staatsmann dürfte es nicht so leicht sein, ihn zu
überwinden. ^

Dieser innere Widerspruch durchdringt aber das vielgepriesene Bündniß
Oestreichs mit den Westmächten. Wenn in irgend ejner Angelegenheit, so war
in der polnischen ein Bündniß Preußens und Oestreichs, das sich ebenso von
Rußlands', wie von Frankreichs Einfluß' unabhängig erhielt, geboten. Die
Annäherung Preußens an Rußland hat die Möglichkeit eines solchen Bünd¬
nisses, welches Preußen befähigt haben würde, unter den günstigsten Verhält¬
nissen die fchleswigfche Frage in Angriff zu nehmen, unmöglich gemacht. Oest¬
reich kann mit einem Scheine des Rechtes sagen, daß es in die westmächtliche
Alliance gedrängt sei. Ob die Alliance wirklich nothwendig war, wollen wir
weiter unten erörtern; hier fragen wir nur: Ist sie eine für Oestreich vortheil¬
hafte, ist sie eine feste und zuverlässige? ist Oestreich durch sie wirklich in die
Lage gesetzt, nach seinen Wünschen die polnische Frage zu entscheiden?

Um hierüber ein Urtheil zu gewinnen, muß man zunächst berücksichtigen,
daß die drei Mächte zu der polnischen Frage ein sehr verschiedenes Verhältniß
haben. Oestreich hat zu ihr, wie wir schon gesehen haben, die unmittelbarsten,
zartesten Beziehungen. Beziehungen, die es von jedem entscheidenden Entschluß,
von jedem gewaltsamen Schritte zurückhalten. Zu diesen > Rücksichten, die es
als Mitbesitzer der ehemals polnischen Landestheile zu nehmen hat, kommt nun
noch, daß die polnische Frage ganz entschieden eine Nationalitätsfrage ist, daß
sie Ansprüche zu verwirklichen trachtet, die, in welcher Gestalt sie auch immer
auftreten, noch stets in Oestreich ihren Gegner gesunden haben, und finden
mußten. Kann Oestreich ein aufrichtiger Vertreter der polnischen Sache sein
(in dem Sinne, wie jeder Pole sie versteht), während es in Ungarn mit dem¬
selben Princip, als dessen Vorkämpfer die Polen sich die Sympathien Europas
erworben haben, einen Kampf auf Tod und Leben aussieht? Denn man wird
doch nicht etwa behaupten wollen, daß die polnische Sache deshalb, weil sie
Von Oestreich, dem erklärten Feinde des Nationalitätsprincips, weil sie gar
vom Papste unterstützt wird, ihren nationalen Charakter verloren habe. Oest¬
reich kann aber nicht eher seine systematische Feindschaft gegen das Princip
der Nationalität aufgeben, als es seine Nationen unter einander und mit der
Gesammtstaatsidee versöhnt hat. Bis ihm dies gelungen ist, ist es zu der
schweren Aufgabe verurtheilt, die Idee des Staates in ihrem Gegensatz zur
Nationalität zu vertreten. Es gibt für Oestreich kein schwereres Verhängnis),


netcnhauses geben uns den besten Beweis, daß Oestreichs Sympathien für
Polen vor den schwarzgelben Grenzpfählen — Halt machen. Man schwärmt
für Polens Unabhängigkeit, aber man ist entschlossen (und das ist keine bloße
Redensart), für Oestreichs Integrität zu kämpfen. In der parlamentarischen
Debatte mag dieser Widerspruch, so arg er auch ist, immerhin seine Stelle fin¬
den. Dem praktischen Staatsmann dürfte es nicht so leicht sein, ihn zu
überwinden. ^

Dieser innere Widerspruch durchdringt aber das vielgepriesene Bündniß
Oestreichs mit den Westmächten. Wenn in irgend ejner Angelegenheit, so war
in der polnischen ein Bündniß Preußens und Oestreichs, das sich ebenso von
Rußlands', wie von Frankreichs Einfluß' unabhängig erhielt, geboten. Die
Annäherung Preußens an Rußland hat die Möglichkeit eines solchen Bünd¬
nisses, welches Preußen befähigt haben würde, unter den günstigsten Verhält¬
nissen die fchleswigfche Frage in Angriff zu nehmen, unmöglich gemacht. Oest¬
reich kann mit einem Scheine des Rechtes sagen, daß es in die westmächtliche
Alliance gedrängt sei. Ob die Alliance wirklich nothwendig war, wollen wir
weiter unten erörtern; hier fragen wir nur: Ist sie eine für Oestreich vortheil¬
hafte, ist sie eine feste und zuverlässige? ist Oestreich durch sie wirklich in die
Lage gesetzt, nach seinen Wünschen die polnische Frage zu entscheiden?

Um hierüber ein Urtheil zu gewinnen, muß man zunächst berücksichtigen,
daß die drei Mächte zu der polnischen Frage ein sehr verschiedenes Verhältniß
haben. Oestreich hat zu ihr, wie wir schon gesehen haben, die unmittelbarsten,
zartesten Beziehungen. Beziehungen, die es von jedem entscheidenden Entschluß,
von jedem gewaltsamen Schritte zurückhalten. Zu diesen > Rücksichten, die es
als Mitbesitzer der ehemals polnischen Landestheile zu nehmen hat, kommt nun
noch, daß die polnische Frage ganz entschieden eine Nationalitätsfrage ist, daß
sie Ansprüche zu verwirklichen trachtet, die, in welcher Gestalt sie auch immer
auftreten, noch stets in Oestreich ihren Gegner gesunden haben, und finden
mußten. Kann Oestreich ein aufrichtiger Vertreter der polnischen Sache sein
(in dem Sinne, wie jeder Pole sie versteht), während es in Ungarn mit dem¬
selben Princip, als dessen Vorkämpfer die Polen sich die Sympathien Europas
erworben haben, einen Kampf auf Tod und Leben aussieht? Denn man wird
doch nicht etwa behaupten wollen, daß die polnische Sache deshalb, weil sie
Von Oestreich, dem erklärten Feinde des Nationalitätsprincips, weil sie gar
vom Papste unterstützt wird, ihren nationalen Charakter verloren habe. Oest¬
reich kann aber nicht eher seine systematische Feindschaft gegen das Princip
der Nationalität aufgeben, als es seine Nationen unter einander und mit der
Gesammtstaatsidee versöhnt hat. Bis ihm dies gelungen ist, ist es zu der
schweren Aufgabe verurtheilt, die Idee des Staates in ihrem Gegensatz zur
Nationalität zu vertreten. Es gibt für Oestreich kein schwereres Verhängnis),


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/133>, abgerufen am 22.12.2024.