Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

theuerste und werthvollste Tradition festgehalten, und wir zweifeln nicht, daß
der staatskluge und menschenkundige Kaiser der Franzosen alle Ursache zu der
Besorgnis; hatte, daß die Tradition den Aufstand der Polen benutzen würde,
um den Kampf mit den neuen Verhältnissen aufzunehmen. Es kam für ihn
darauf an, das stärkste Argument jener Partei, die Hinweisung auf die Jsoli-
rung Oestreichs gegenüber dem Bündniß Rußlands und Preußens, sofort zu
entkräften, dadurch, daß er ihm das Bündniß mit den Westmächten anbot.

Oestreich hat das Bündniß angenommen und ist dafür gepriesen worden,
man hat es gefeiert, als den Schiedsrichter Europas: man hat sein Verfahren
im Gegensatz zu der preußischen Politik als ebenso human, wie staatsklug her¬
vorgehoben. Und allerdings ist der preußischen Politik in dieser Angelegenheit
ein doppelter Vorwurf zu machen, zunächst, daß sie Frankreich den erwünschten
Vorwand zu einer Einmischung seinerseits geboten hat, und sodann, daß sie
ohne alle Nöthigung Preußen nach einer bestimmten Richtung hin engagirt
hat, ehe sich die Tragweite dieses Engagements irgend übersehen ließ. Wir
sagen ohne alle Nöthigung; denn zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Posen
bedürfte es eines besondern Vertrags mit Rußland nicht. Irgend einen Vor¬
theil als Ersatz für den Preußen auferlegten Zwang konnte aber die Conven¬
tion nicht gewähren, da jede an sie sich anknüpfende weitergehende Combination
Preußen weiter und weiter von den Quellen feiner Machtentwickelung abdrän¬
gen mußte, und ebendeshalb auf den energischen Widerstand der öffentlichen
Meinung stieß, die leider nur zu stark von polnischen Sympathien entstellt war.
Denn alle Vorwürfe, die vom Standpunkte der Sympathie für die polnischen
Bestrebungen Preußen gemacht werden, müssen wir, so berechtigt die Theilnahme
für Polens Geschick vom allgemein menschlichen Gesichtspunkte aus betrachtet
sein mag, als politisch durchaus unberechtigt zurückweisen. Preußen kann die
Bildung eines unabhängigen Polens nicht wünschen; denn es kann und darf
Posen nicht aufgeben.

Ganz in demselben Falle befindet sich Oestreich. Oestreich wie Preußen
hat das lebhafteste Interesse daran, daß das Königreich Polen durch eine hu¬
mane, die nationalen Bedürfnisse des Landes nach Möglichkeit berücksichtigende
Verwaltung zufrieden gestellt, und daß durch die Befriedigung dieser Bedürfnisse
die Quelle beständiger, auch auf Oestreich zurückwirkender Aufregung verstopft
werde. Wenn Oestreich schon das nicht wünschen kann, daß dem Königreich
Polen eine größere nationale Selbständigkeit zu Theil werde, als es selbst sie
Galizien zu gewähren in der Lage ist, so würde es in einem unabhängigen
Polen einen erbitterten Feind, eine beständige Bedrohung der Integrität seines
Länderbestandes erblicken.. Oder ist es etwa aus höheren Rücksichten bereit, sich
seiner polnischen Besitzungen zu Gunsten des unabhängigen Polens in dem
Umfange von 1772 zu entäußern? Die Debatten des östreichischen Abgeord-


theuerste und werthvollste Tradition festgehalten, und wir zweifeln nicht, daß
der staatskluge und menschenkundige Kaiser der Franzosen alle Ursache zu der
Besorgnis; hatte, daß die Tradition den Aufstand der Polen benutzen würde,
um den Kampf mit den neuen Verhältnissen aufzunehmen. Es kam für ihn
darauf an, das stärkste Argument jener Partei, die Hinweisung auf die Jsoli-
rung Oestreichs gegenüber dem Bündniß Rußlands und Preußens, sofort zu
entkräften, dadurch, daß er ihm das Bündniß mit den Westmächten anbot.

Oestreich hat das Bündniß angenommen und ist dafür gepriesen worden,
man hat es gefeiert, als den Schiedsrichter Europas: man hat sein Verfahren
im Gegensatz zu der preußischen Politik als ebenso human, wie staatsklug her¬
vorgehoben. Und allerdings ist der preußischen Politik in dieser Angelegenheit
ein doppelter Vorwurf zu machen, zunächst, daß sie Frankreich den erwünschten
Vorwand zu einer Einmischung seinerseits geboten hat, und sodann, daß sie
ohne alle Nöthigung Preußen nach einer bestimmten Richtung hin engagirt
hat, ehe sich die Tragweite dieses Engagements irgend übersehen ließ. Wir
sagen ohne alle Nöthigung; denn zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Posen
bedürfte es eines besondern Vertrags mit Rußland nicht. Irgend einen Vor¬
theil als Ersatz für den Preußen auferlegten Zwang konnte aber die Conven¬
tion nicht gewähren, da jede an sie sich anknüpfende weitergehende Combination
Preußen weiter und weiter von den Quellen feiner Machtentwickelung abdrän¬
gen mußte, und ebendeshalb auf den energischen Widerstand der öffentlichen
Meinung stieß, die leider nur zu stark von polnischen Sympathien entstellt war.
Denn alle Vorwürfe, die vom Standpunkte der Sympathie für die polnischen
Bestrebungen Preußen gemacht werden, müssen wir, so berechtigt die Theilnahme
für Polens Geschick vom allgemein menschlichen Gesichtspunkte aus betrachtet
sein mag, als politisch durchaus unberechtigt zurückweisen. Preußen kann die
Bildung eines unabhängigen Polens nicht wünschen; denn es kann und darf
Posen nicht aufgeben.

Ganz in demselben Falle befindet sich Oestreich. Oestreich wie Preußen
hat das lebhafteste Interesse daran, daß das Königreich Polen durch eine hu¬
mane, die nationalen Bedürfnisse des Landes nach Möglichkeit berücksichtigende
Verwaltung zufrieden gestellt, und daß durch die Befriedigung dieser Bedürfnisse
die Quelle beständiger, auch auf Oestreich zurückwirkender Aufregung verstopft
werde. Wenn Oestreich schon das nicht wünschen kann, daß dem Königreich
Polen eine größere nationale Selbständigkeit zu Theil werde, als es selbst sie
Galizien zu gewähren in der Lage ist, so würde es in einem unabhängigen
Polen einen erbitterten Feind, eine beständige Bedrohung der Integrität seines
Länderbestandes erblicken.. Oder ist es etwa aus höheren Rücksichten bereit, sich
seiner polnischen Besitzungen zu Gunsten des unabhängigen Polens in dem
Umfange von 1772 zu entäußern? Die Debatten des östreichischen Abgeord-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115524"/>
            <p xml:id="ID_362" prev="#ID_361"> theuerste und werthvollste Tradition festgehalten, und wir zweifeln nicht, daß<lb/>
der staatskluge und menschenkundige Kaiser der Franzosen alle Ursache zu der<lb/>
Besorgnis; hatte, daß die Tradition den Aufstand der Polen benutzen würde,<lb/>
um den Kampf mit den neuen Verhältnissen aufzunehmen. Es kam für ihn<lb/>
darauf an, das stärkste Argument jener Partei, die Hinweisung auf die Jsoli-<lb/>
rung Oestreichs gegenüber dem Bündniß Rußlands und Preußens, sofort zu<lb/>
entkräften, dadurch, daß er ihm das Bündniß mit den Westmächten anbot.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_363"> Oestreich hat das Bündniß angenommen und ist dafür gepriesen worden,<lb/>
man hat es gefeiert, als den Schiedsrichter Europas: man hat sein Verfahren<lb/>
im Gegensatz zu der preußischen Politik als ebenso human, wie staatsklug her¬<lb/>
vorgehoben. Und allerdings ist der preußischen Politik in dieser Angelegenheit<lb/>
ein doppelter Vorwurf zu machen, zunächst, daß sie Frankreich den erwünschten<lb/>
Vorwand zu einer Einmischung seinerseits geboten hat, und sodann, daß sie<lb/>
ohne alle Nöthigung Preußen nach einer bestimmten Richtung hin engagirt<lb/>
hat, ehe sich die Tragweite dieses Engagements irgend übersehen ließ. Wir<lb/>
sagen ohne alle Nöthigung; denn zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Posen<lb/>
bedürfte es eines besondern Vertrags mit Rußland nicht. Irgend einen Vor¬<lb/>
theil als Ersatz für den Preußen auferlegten Zwang konnte aber die Conven¬<lb/>
tion nicht gewähren, da jede an sie sich anknüpfende weitergehende Combination<lb/>
Preußen weiter und weiter von den Quellen feiner Machtentwickelung abdrän¬<lb/>
gen mußte, und ebendeshalb auf den energischen Widerstand der öffentlichen<lb/>
Meinung stieß, die leider nur zu stark von polnischen Sympathien entstellt war.<lb/>
Denn alle Vorwürfe, die vom Standpunkte der Sympathie für die polnischen<lb/>
Bestrebungen Preußen gemacht werden, müssen wir, so berechtigt die Theilnahme<lb/>
für Polens Geschick vom allgemein menschlichen Gesichtspunkte aus betrachtet<lb/>
sein mag, als politisch durchaus unberechtigt zurückweisen. Preußen kann die<lb/>
Bildung eines unabhängigen Polens nicht wünschen; denn es kann und darf<lb/>
Posen nicht aufgeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_364" next="#ID_365"> Ganz in demselben Falle befindet sich Oestreich. Oestreich wie Preußen<lb/>
hat das lebhafteste Interesse daran, daß das Königreich Polen durch eine hu¬<lb/>
mane, die nationalen Bedürfnisse des Landes nach Möglichkeit berücksichtigende<lb/>
Verwaltung zufrieden gestellt, und daß durch die Befriedigung dieser Bedürfnisse<lb/>
die Quelle beständiger, auch auf Oestreich zurückwirkender Aufregung verstopft<lb/>
werde. Wenn Oestreich schon das nicht wünschen kann, daß dem Königreich<lb/>
Polen eine größere nationale Selbständigkeit zu Theil werde, als es selbst sie<lb/>
Galizien zu gewähren in der Lage ist, so würde es in einem unabhängigen<lb/>
Polen einen erbitterten Feind, eine beständige Bedrohung der Integrität seines<lb/>
Länderbestandes erblicken.. Oder ist es etwa aus höheren Rücksichten bereit, sich<lb/>
seiner polnischen Besitzungen zu Gunsten des unabhängigen Polens in dem<lb/>
Umfange von 1772 zu entäußern? Die Debatten des östreichischen Abgeord-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] theuerste und werthvollste Tradition festgehalten, und wir zweifeln nicht, daß der staatskluge und menschenkundige Kaiser der Franzosen alle Ursache zu der Besorgnis; hatte, daß die Tradition den Aufstand der Polen benutzen würde, um den Kampf mit den neuen Verhältnissen aufzunehmen. Es kam für ihn darauf an, das stärkste Argument jener Partei, die Hinweisung auf die Jsoli- rung Oestreichs gegenüber dem Bündniß Rußlands und Preußens, sofort zu entkräften, dadurch, daß er ihm das Bündniß mit den Westmächten anbot. Oestreich hat das Bündniß angenommen und ist dafür gepriesen worden, man hat es gefeiert, als den Schiedsrichter Europas: man hat sein Verfahren im Gegensatz zu der preußischen Politik als ebenso human, wie staatsklug her¬ vorgehoben. Und allerdings ist der preußischen Politik in dieser Angelegenheit ein doppelter Vorwurf zu machen, zunächst, daß sie Frankreich den erwünschten Vorwand zu einer Einmischung seinerseits geboten hat, und sodann, daß sie ohne alle Nöthigung Preußen nach einer bestimmten Richtung hin engagirt hat, ehe sich die Tragweite dieses Engagements irgend übersehen ließ. Wir sagen ohne alle Nöthigung; denn zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Posen bedürfte es eines besondern Vertrags mit Rußland nicht. Irgend einen Vor¬ theil als Ersatz für den Preußen auferlegten Zwang konnte aber die Conven¬ tion nicht gewähren, da jede an sie sich anknüpfende weitergehende Combination Preußen weiter und weiter von den Quellen feiner Machtentwickelung abdrän¬ gen mußte, und ebendeshalb auf den energischen Widerstand der öffentlichen Meinung stieß, die leider nur zu stark von polnischen Sympathien entstellt war. Denn alle Vorwürfe, die vom Standpunkte der Sympathie für die polnischen Bestrebungen Preußen gemacht werden, müssen wir, so berechtigt die Theilnahme für Polens Geschick vom allgemein menschlichen Gesichtspunkte aus betrachtet sein mag, als politisch durchaus unberechtigt zurückweisen. Preußen kann die Bildung eines unabhängigen Polens nicht wünschen; denn es kann und darf Posen nicht aufgeben. Ganz in demselben Falle befindet sich Oestreich. Oestreich wie Preußen hat das lebhafteste Interesse daran, daß das Königreich Polen durch eine hu¬ mane, die nationalen Bedürfnisse des Landes nach Möglichkeit berücksichtigende Verwaltung zufrieden gestellt, und daß durch die Befriedigung dieser Bedürfnisse die Quelle beständiger, auch auf Oestreich zurückwirkender Aufregung verstopft werde. Wenn Oestreich schon das nicht wünschen kann, daß dem Königreich Polen eine größere nationale Selbständigkeit zu Theil werde, als es selbst sie Galizien zu gewähren in der Lage ist, so würde es in einem unabhängigen Polen einen erbitterten Feind, eine beständige Bedrohung der Integrität seines Länderbestandes erblicken.. Oder ist es etwa aus höheren Rücksichten bereit, sich seiner polnischen Besitzungen zu Gunsten des unabhängigen Polens in dem Umfange von 1772 zu entäußern? Die Debatten des östreichischen Abgeord-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/132>, abgerufen am 22.12.2024.