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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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erschienen, ein stilistisches Meisterwerk; im ersten Satze erzählend, daß vor
tausend Jahren zwei fromme Bischöfe Methodius und Cyrillus die Predigt des
Evangeliums in ferne slavische Länder gebracht, am Ende einräumend, daß
das Christenthum in Polen von Miecislaw herrühre und zwischen durch mit
einigen logischen Salto mortale die tausendjährige Einführung des Christen¬
thums in unser Erzbisthum auf jene Beiden zurückführend. Recht fein wird
auch der neulich von mir erwähnten Zeile Gebet gedacht; nur daß fein Gläu¬
biger eine solche unter dem Denkmal -- so etwa ist der Ausdruck -- ver¬
muthen wird, welches sich die Kirche hier von dem hochwichtigen Ereigniß be¬
wahrt habe. Am 29. Juni hat das Jubiläum begonnen, und acht Abende lang
haben es uns die Glocken verkündigt.

Eine recht lebendige Feier wird aber dennoch nicht zu Stande kommen.
Die Verhaftungen, die Untersuchungen wider unsre Hochverräther drücken sehr
viel tiefer auf die Stimmung der Polen, als diese sich zugestehn wollen. Noch
immer ist aus Fort Winiary eine sehr zahlreiche Gesellschaft vereinigt, darunter
Männer, die wir nur mit aufrichtiger Theilnahme dort wissen, und deren
Unschuld, oder doch wenigstens Freiheit von schwerern Vergehungen sich zu¬
letzt sicherlich herausstellen wird. Es sind alle Stände unter den Verhafteten
vertreten, natürlich der Adel vorwiegend; daß aber auch Damen darunter
seien, ist eine Lüge. Allerdings ist einmal eine Verhaftung "von zwei Po¬
linnen, die sich eines Bestechungsvcrsuches gegen Wächter auf dem Fort
schuldig machten, erfolgt, aber beide wurden , bald entlassen. Dagegen ist in
Pleschen ein Fräulein v. Lakinska wirklich wegen politischer Verirrung verhaftet,
aber nicht hierher abgeliefert worden. Uebrigens ist die Untersuchung noch
immer nicht zu sicheren Resultaten gelangt, vielmehr findet auf dem Fort ein
lebhaftes Kommen und Gehen statt; fortwährende neue Verhaftungen, ebenso
zahlreiche Entlassungen, während die vielen Steckbriefe unsere Amtsblätter zu
einer interessanten Lectüre machen. Es wird behauptet, daß manche der Flüch¬
tigen noch in der Provinz seien; man sagt dies namentlich von Wolniewicz, den
Andre nach Krakau placiren. Ich glaube mit Unrecht. Hicrgeblieben sind und
werden darum auch allmälig eingeliefert nur solche, denen es an Geld zur Reise
ins Ausland fehlt. Der Ovationen für die Verhafteten wird man nach und
nach müde; es sind nun auch Verbote gegen sie ergangen. Wo diese nicht
abhalten, bricht die Executivpolizei in der Regel durch Vermeidung excessiver
Strenge den Dingen die Spitze ab. So sahen wir. nachdem der Versuch,
Ehrenpforten zu errichten, gescheitert war, die Demonstranten Blumen streuen,
welche ohne jede weiter gehenden Schritte ruhig weggekehrt wurden, bis der
Transport weiter fuhr und die Menge sich vertheilte.

Eine Bestimmung des Gesetzes, welche die Polen furchtbar schwer trifft,
ist diejenige, nach der über das Vermögen von Hochverräthern Sequestration


Grenzboten III. 1863. 14

erschienen, ein stilistisches Meisterwerk; im ersten Satze erzählend, daß vor
tausend Jahren zwei fromme Bischöfe Methodius und Cyrillus die Predigt des
Evangeliums in ferne slavische Länder gebracht, am Ende einräumend, daß
das Christenthum in Polen von Miecislaw herrühre und zwischen durch mit
einigen logischen Salto mortale die tausendjährige Einführung des Christen¬
thums in unser Erzbisthum auf jene Beiden zurückführend. Recht fein wird
auch der neulich von mir erwähnten Zeile Gebet gedacht; nur daß fein Gläu¬
biger eine solche unter dem Denkmal — so etwa ist der Ausdruck — ver¬
muthen wird, welches sich die Kirche hier von dem hochwichtigen Ereigniß be¬
wahrt habe. Am 29. Juni hat das Jubiläum begonnen, und acht Abende lang
haben es uns die Glocken verkündigt.

Eine recht lebendige Feier wird aber dennoch nicht zu Stande kommen.
Die Verhaftungen, die Untersuchungen wider unsre Hochverräther drücken sehr
viel tiefer auf die Stimmung der Polen, als diese sich zugestehn wollen. Noch
immer ist aus Fort Winiary eine sehr zahlreiche Gesellschaft vereinigt, darunter
Männer, die wir nur mit aufrichtiger Theilnahme dort wissen, und deren
Unschuld, oder doch wenigstens Freiheit von schwerern Vergehungen sich zu¬
letzt sicherlich herausstellen wird. Es sind alle Stände unter den Verhafteten
vertreten, natürlich der Adel vorwiegend; daß aber auch Damen darunter
seien, ist eine Lüge. Allerdings ist einmal eine Verhaftung «von zwei Po¬
linnen, die sich eines Bestechungsvcrsuches gegen Wächter auf dem Fort
schuldig machten, erfolgt, aber beide wurden , bald entlassen. Dagegen ist in
Pleschen ein Fräulein v. Lakinska wirklich wegen politischer Verirrung verhaftet,
aber nicht hierher abgeliefert worden. Uebrigens ist die Untersuchung noch
immer nicht zu sicheren Resultaten gelangt, vielmehr findet auf dem Fort ein
lebhaftes Kommen und Gehen statt; fortwährende neue Verhaftungen, ebenso
zahlreiche Entlassungen, während die vielen Steckbriefe unsere Amtsblätter zu
einer interessanten Lectüre machen. Es wird behauptet, daß manche der Flüch¬
tigen noch in der Provinz seien; man sagt dies namentlich von Wolniewicz, den
Andre nach Krakau placiren. Ich glaube mit Unrecht. Hicrgeblieben sind und
werden darum auch allmälig eingeliefert nur solche, denen es an Geld zur Reise
ins Ausland fehlt. Der Ovationen für die Verhafteten wird man nach und
nach müde; es sind nun auch Verbote gegen sie ergangen. Wo diese nicht
abhalten, bricht die Executivpolizei in der Regel durch Vermeidung excessiver
Strenge den Dingen die Spitze ab. So sahen wir. nachdem der Versuch,
Ehrenpforten zu errichten, gescheitert war, die Demonstranten Blumen streuen,
welche ohne jede weiter gehenden Schritte ruhig weggekehrt wurden, bis der
Transport weiter fuhr und die Menge sich vertheilte.

Eine Bestimmung des Gesetzes, welche die Polen furchtbar schwer trifft,
ist diejenige, nach der über das Vermögen von Hochverräthern Sequestration


Grenzboten III. 1863. 14
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[0113] erschienen, ein stilistisches Meisterwerk; im ersten Satze erzählend, daß vor tausend Jahren zwei fromme Bischöfe Methodius und Cyrillus die Predigt des Evangeliums in ferne slavische Länder gebracht, am Ende einräumend, daß das Christenthum in Polen von Miecislaw herrühre und zwischen durch mit einigen logischen Salto mortale die tausendjährige Einführung des Christen¬ thums in unser Erzbisthum auf jene Beiden zurückführend. Recht fein wird auch der neulich von mir erwähnten Zeile Gebet gedacht; nur daß fein Gläu¬ biger eine solche unter dem Denkmal — so etwa ist der Ausdruck — ver¬ muthen wird, welches sich die Kirche hier von dem hochwichtigen Ereigniß be¬ wahrt habe. Am 29. Juni hat das Jubiläum begonnen, und acht Abende lang haben es uns die Glocken verkündigt. Eine recht lebendige Feier wird aber dennoch nicht zu Stande kommen. Die Verhaftungen, die Untersuchungen wider unsre Hochverräther drücken sehr viel tiefer auf die Stimmung der Polen, als diese sich zugestehn wollen. Noch immer ist aus Fort Winiary eine sehr zahlreiche Gesellschaft vereinigt, darunter Männer, die wir nur mit aufrichtiger Theilnahme dort wissen, und deren Unschuld, oder doch wenigstens Freiheit von schwerern Vergehungen sich zu¬ letzt sicherlich herausstellen wird. Es sind alle Stände unter den Verhafteten vertreten, natürlich der Adel vorwiegend; daß aber auch Damen darunter seien, ist eine Lüge. Allerdings ist einmal eine Verhaftung «von zwei Po¬ linnen, die sich eines Bestechungsvcrsuches gegen Wächter auf dem Fort schuldig machten, erfolgt, aber beide wurden , bald entlassen. Dagegen ist in Pleschen ein Fräulein v. Lakinska wirklich wegen politischer Verirrung verhaftet, aber nicht hierher abgeliefert worden. Uebrigens ist die Untersuchung noch immer nicht zu sicheren Resultaten gelangt, vielmehr findet auf dem Fort ein lebhaftes Kommen und Gehen statt; fortwährende neue Verhaftungen, ebenso zahlreiche Entlassungen, während die vielen Steckbriefe unsere Amtsblätter zu einer interessanten Lectüre machen. Es wird behauptet, daß manche der Flüch¬ tigen noch in der Provinz seien; man sagt dies namentlich von Wolniewicz, den Andre nach Krakau placiren. Ich glaube mit Unrecht. Hicrgeblieben sind und werden darum auch allmälig eingeliefert nur solche, denen es an Geld zur Reise ins Ausland fehlt. Der Ovationen für die Verhafteten wird man nach und nach müde; es sind nun auch Verbote gegen sie ergangen. Wo diese nicht abhalten, bricht die Executivpolizei in der Regel durch Vermeidung excessiver Strenge den Dingen die Spitze ab. So sahen wir. nachdem der Versuch, Ehrenpforten zu errichten, gescheitert war, die Demonstranten Blumen streuen, welche ohne jede weiter gehenden Schritte ruhig weggekehrt wurden, bis der Transport weiter fuhr und die Menge sich vertheilte. Eine Bestimmung des Gesetzes, welche die Polen furchtbar schwer trifft, ist diejenige, nach der über das Vermögen von Hochverräthern Sequestration Grenzboten III. 1863. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/113>, abgerufen am 26.12.2024.