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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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und Verkehrtheiten derselben mit großem Aufwand von Talent und Scharfsinn
zu legalisiren suchten.

Die mahnenden Stimmen eines Summer und Wilson von Massachusetts,
eines Lane von Kansas, Shcrman von Ohio und Fessenden von Maine ver¬
hallten ungehört, als das wahnsinnige Geschrei fanatischer Träumer, welche die
Union einem haltlosen Ideale opfern wollten. Die Executive wagte nicht
auszusprechen, daß die Sklaverei den Kernpunkt des ganzen Kampfes bilde; ja
sie wagte nicht einmal, rein militärische Maßregeln der Generale zu sanctioni-
ren, welche nur im Geringsten einen Antisklaverci-Anschein hatten. Abolition
und Secession wurden fast mit gleicher Verachtung gebrandmarkt, während doch
die Emancipationsfrage die einzige Axe war, um welche sich Alles drehte,
während unbewußt alle Betheiligten. Pro- oder Antisklaverei, von keinem andern
Gedanken (natürlich so weit nicht die Corruption ins Spiel kam) geleitet wurden.

Das sind in kurzen Worten die Ursachen, weshalb der Norden bis jetzt
tvotz seiner kolossalen Hülfsmittel einer so tief unter ihm stehenden Kraft, die
aber in geschlossener Phalanx sich ihm gegenüberstellte, unterlegen ist.
Aber der Norden hat jetzt auch die Erfahrung gemacht, daß er gegen die
Sklaverei zu kämpfen hat, wenn er für die Union kämpfen will; die blutige
Lehre hat das Volk zu dem Bewußtsein seiner Rechte, seiner weltgeschichtlichen
Aufgabe gebracht. Es wird eine schwache Regierung zwingen, das Phantom,
welches ihr bis jetzt als Standarte diente, mit dem Banner der Freiheit zu
vertauschen und dann mag ihm die Mitwelt freudig zurufen: in Iroe ÄK""
vinees! Wir brauchen nur einen Blick auf den bisherigen Gang des
Krieges zu werfen, um uns von der Richtigkeit der oben ausgesprochenen
Sätze zu überzeugen und die destructive Wirksamkeit der widerstreitenden politi¬
schen Elemente in den Ereignissen abgespiegelt zu sehen.

Wir können den amerikanischen Krieg seinem Verlaufe nach in drei Phasen
eintheilen, welche vorbereitend auf eine vierte mit dem Einfall der Conföderirten
in Maryland beginnende gewirkt haben. Die erste war die des Chaos. Fort
Sumpter war nach tapferer Vertheidigung durch Major (jetzt General) Ander-
son gefallen; die Secession erhob kühn ihr Haupt und pflanzte die Palmettofahne
statt der Sterne und Streifen auf; ein Stern nach dem andern erlosch; Georgia,
Alabama, Florida, Nordcarolina und endlich Virginia schlössen sich der Seces¬
sion an. Maryland sandte Tausende von Kämpfern in die südliche Armee und
stand im Begriff, sich von der Union ebenfalls loszusagen. Da erscholl der
Schreckensruf durch den ganzen Norden: Washington ist in Gefahr! Fort zur
Rettung der Bundeshauptstadt! Massachusetts antwortete zuerst diesem Rufe; das
neunte Milizregiment wurde am 18. Apr. I8ö l in Baltimore bei seinem Durch¬
marsch auf der Straße von den Bürgern angegriffen, unterdrückte jedoch den
Aufstand und besetzte die Eisenbahn nach Washington, namentlich Annavolis


und Verkehrtheiten derselben mit großem Aufwand von Talent und Scharfsinn
zu legalisiren suchten.

Die mahnenden Stimmen eines Summer und Wilson von Massachusetts,
eines Lane von Kansas, Shcrman von Ohio und Fessenden von Maine ver¬
hallten ungehört, als das wahnsinnige Geschrei fanatischer Träumer, welche die
Union einem haltlosen Ideale opfern wollten. Die Executive wagte nicht
auszusprechen, daß die Sklaverei den Kernpunkt des ganzen Kampfes bilde; ja
sie wagte nicht einmal, rein militärische Maßregeln der Generale zu sanctioni-
ren, welche nur im Geringsten einen Antisklaverci-Anschein hatten. Abolition
und Secession wurden fast mit gleicher Verachtung gebrandmarkt, während doch
die Emancipationsfrage die einzige Axe war, um welche sich Alles drehte,
während unbewußt alle Betheiligten. Pro- oder Antisklaverei, von keinem andern
Gedanken (natürlich so weit nicht die Corruption ins Spiel kam) geleitet wurden.

Das sind in kurzen Worten die Ursachen, weshalb der Norden bis jetzt
tvotz seiner kolossalen Hülfsmittel einer so tief unter ihm stehenden Kraft, die
aber in geschlossener Phalanx sich ihm gegenüberstellte, unterlegen ist.
Aber der Norden hat jetzt auch die Erfahrung gemacht, daß er gegen die
Sklaverei zu kämpfen hat, wenn er für die Union kämpfen will; die blutige
Lehre hat das Volk zu dem Bewußtsein seiner Rechte, seiner weltgeschichtlichen
Aufgabe gebracht. Es wird eine schwache Regierung zwingen, das Phantom,
welches ihr bis jetzt als Standarte diente, mit dem Banner der Freiheit zu
vertauschen und dann mag ihm die Mitwelt freudig zurufen: in Iroe ÄK»»
vinees! Wir brauchen nur einen Blick auf den bisherigen Gang des
Krieges zu werfen, um uns von der Richtigkeit der oben ausgesprochenen
Sätze zu überzeugen und die destructive Wirksamkeit der widerstreitenden politi¬
schen Elemente in den Ereignissen abgespiegelt zu sehen.

Wir können den amerikanischen Krieg seinem Verlaufe nach in drei Phasen
eintheilen, welche vorbereitend auf eine vierte mit dem Einfall der Conföderirten
in Maryland beginnende gewirkt haben. Die erste war die des Chaos. Fort
Sumpter war nach tapferer Vertheidigung durch Major (jetzt General) Ander-
son gefallen; die Secession erhob kühn ihr Haupt und pflanzte die Palmettofahne
statt der Sterne und Streifen auf; ein Stern nach dem andern erlosch; Georgia,
Alabama, Florida, Nordcarolina und endlich Virginia schlössen sich der Seces¬
sion an. Maryland sandte Tausende von Kämpfern in die südliche Armee und
stand im Begriff, sich von der Union ebenfalls loszusagen. Da erscholl der
Schreckensruf durch den ganzen Norden: Washington ist in Gefahr! Fort zur
Rettung der Bundeshauptstadt! Massachusetts antwortete zuerst diesem Rufe; das
neunte Milizregiment wurde am 18. Apr. I8ö l in Baltimore bei seinem Durch¬
marsch auf der Straße von den Bürgern angegriffen, unterdrückte jedoch den
Aufstand und besetzte die Eisenbahn nach Washington, namentlich Annavolis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/92>, abgerufen am 20.10.2024.