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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die beispiellose Unordnung und Planlosigkeit, welche im Cabinet wie im Heere,
im soldatischen wie literarischen Feldlager zu herrschen angefangen hatte, und
der südenfreundliche Theil der nördlichen Presse that sein Mögliches, diesen ver¬
derblichen Zustand unter der Maske der Loyalität durch die künstlichsten Machi¬
nationen zu erhalten und zu steigern.

Während alle Bewegungen des Südens den Stempel fanatischer Einheit,
wilder Entschlossenheit trugen, suchte der Norden ängstlich nach dem durchlöcher¬
ten Rechtsboden der Constitution, um den "südlichen Brüdern" ja nicht zu nahe
zu treten, und verlor dabei über der Form die Sache aus den Augen. Wäh¬
rend man sehnsüchtigen Herzens nach Washington schaute und energische, der
Größe des Opfers entsprechende Maßregeln verlangte, sah man dort nichts als
Halbheiten, welche nur geeignet sein konnten, die Hoffnungen des Südens zu
beleben, die gehobene Stimmung des Nordens niederzudrücken und die Wirk¬
samkeit der militärischen Führer zu lähmen.

So steht der Norden denn noch jetzt, nach fast anderthalbjährigem Kampfe,
nach einem Opfer von circa 1500 Millionen Dollars und 200,000 Menschen¬
leben, auf dem alten Standpunkte, ja vielleicht noch schlimmer als vor der
ersten Schlacht bei Bull Rum. Das ist allerdings eine traurige Thatsache,
welche selbst den enthusiastischsten Anhänger des Nordens mit Zweifel erfüllen
muß; aber man geht, wie früher auf der entgegengesetzten Seite, so auch
hier leicht zu weit. In den Ursachen, welche dieses arge Dilemma herbeigeführt
haben, liegt auch das Heilmittel, und dem, welcher genau dem inneren und
äußeren Gange des Krieges gefolgt ist, erscheint die jetzige Lage, so sehr er
auch die bisherige Vergeudung an Geld und Menschenleben bedauern muß. bei
weitem nicht so verzweifelt, wje sie dem außerhalb siebenten erscheinen muß.

Wenn wir in Amerika nach der eigentlichen Grundbedeutung und dem
letzten Zwecke des Kampfes fragen, so hören wir gewöhnlich dieselbe Antwort.
Union, Constitution sind die beiden Stichwörter nordamerikanischer Eitelkeit,
welche allerdings wohl zu augenblicklicher Begeisterung aufregen, aber nicht
auf die Dauer den Mangel eines festen, bewußten, idealen Princips ersetzen
und in ihrer schillernden Bedeutung der Verwaltung kein leitendes Motiv an
die Hand geben können. Jeder führt das Wort des alten Jackson im Munde:
"Die Union soll und muß erhalten werden!" nur will sie jeder auf seine eigene
Weise erhalten sehen, und bei Vielen ist die Bedeutung jener Worte nichts als
eine angeerbte Phrase, der nur das hohle Phantom eines überspannten
Patriotismus zu Grunde liegt.

Als Südcarolina sich von dem Bunde der Vereinigten Staaten lossagte
und seine Erklärung durch Beschießung von Fort Sumpter bethätigte, verwies
es auf die Constitution und schob der Negierung in Washington unconstitutio-
nelle Absichten in Beziehung auf die Staatsrechte des Südens unter. Als


die beispiellose Unordnung und Planlosigkeit, welche im Cabinet wie im Heere,
im soldatischen wie literarischen Feldlager zu herrschen angefangen hatte, und
der südenfreundliche Theil der nördlichen Presse that sein Mögliches, diesen ver¬
derblichen Zustand unter der Maske der Loyalität durch die künstlichsten Machi¬
nationen zu erhalten und zu steigern.

Während alle Bewegungen des Südens den Stempel fanatischer Einheit,
wilder Entschlossenheit trugen, suchte der Norden ängstlich nach dem durchlöcher¬
ten Rechtsboden der Constitution, um den „südlichen Brüdern" ja nicht zu nahe
zu treten, und verlor dabei über der Form die Sache aus den Augen. Wäh¬
rend man sehnsüchtigen Herzens nach Washington schaute und energische, der
Größe des Opfers entsprechende Maßregeln verlangte, sah man dort nichts als
Halbheiten, welche nur geeignet sein konnten, die Hoffnungen des Südens zu
beleben, die gehobene Stimmung des Nordens niederzudrücken und die Wirk¬
samkeit der militärischen Führer zu lähmen.

So steht der Norden denn noch jetzt, nach fast anderthalbjährigem Kampfe,
nach einem Opfer von circa 1500 Millionen Dollars und 200,000 Menschen¬
leben, auf dem alten Standpunkte, ja vielleicht noch schlimmer als vor der
ersten Schlacht bei Bull Rum. Das ist allerdings eine traurige Thatsache,
welche selbst den enthusiastischsten Anhänger des Nordens mit Zweifel erfüllen
muß; aber man geht, wie früher auf der entgegengesetzten Seite, so auch
hier leicht zu weit. In den Ursachen, welche dieses arge Dilemma herbeigeführt
haben, liegt auch das Heilmittel, und dem, welcher genau dem inneren und
äußeren Gange des Krieges gefolgt ist, erscheint die jetzige Lage, so sehr er
auch die bisherige Vergeudung an Geld und Menschenleben bedauern muß. bei
weitem nicht so verzweifelt, wje sie dem außerhalb siebenten erscheinen muß.

Wenn wir in Amerika nach der eigentlichen Grundbedeutung und dem
letzten Zwecke des Kampfes fragen, so hören wir gewöhnlich dieselbe Antwort.
Union, Constitution sind die beiden Stichwörter nordamerikanischer Eitelkeit,
welche allerdings wohl zu augenblicklicher Begeisterung aufregen, aber nicht
auf die Dauer den Mangel eines festen, bewußten, idealen Princips ersetzen
und in ihrer schillernden Bedeutung der Verwaltung kein leitendes Motiv an
die Hand geben können. Jeder führt das Wort des alten Jackson im Munde:
„Die Union soll und muß erhalten werden!" nur will sie jeder auf seine eigene
Weise erhalten sehen, und bei Vielen ist die Bedeutung jener Worte nichts als
eine angeerbte Phrase, der nur das hohle Phantom eines überspannten
Patriotismus zu Grunde liegt.

Als Südcarolina sich von dem Bunde der Vereinigten Staaten lossagte
und seine Erklärung durch Beschießung von Fort Sumpter bethätigte, verwies
es auf die Constitution und schob der Negierung in Washington unconstitutio-
nelle Absichten in Beziehung auf die Staatsrechte des Südens unter. Als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/90>, abgerufen am 27.09.2024.