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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die Schwaben standen am Scheideweg, und die Wahl schien nicht ganz
einfach zu sein. Sie mußten sich darauf gefaßt machen, zu Weimar in wesent¬
lichen Dingen auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen, während sie in Frank¬
furt mit offenen Armen aufgenommen wurden und hier sicher Alles geschah,
um ein Kompromiß mit ihnen abzuschließen. Die Abneigung gegen Preußen
konnte durch die neuesten Vorgänge daselbst nur verstärkt werden, fand doch
Programm der Bundesstaatspartei seinen entschiedensten Gegner an der
illiberalen inneren Politik des eventuellen Bundeshaupts. Dagegen hatten im
Lauf der letzten Monate die großdcutschen Stimmungen einen gewaltigen An¬
kauf genommen. Das Schützenfest hatte in diesem Sinne nachgewirkt, die zahl¬
reichen Gäste, welche in diesem Sommer auf östreichischen Boden erschienen,
hatten die Kunde zurückgebracht von den Gefühlen der Anhänglichkeit, welche
die Deutschöstreichcr dem gemeinsamen Vaterland bewahrten, und die, wie un¬
klar sie an sich sein mochten, doch ebendeshalb wohl zu unterscheiden waren von
dem berechneten officiellen Deutschpatriotismus, welchen die Vertreter der Regie¬
rung bald bei den Juristen bald bei den Künstlern an den Mann zu bringen
suchten. Die Verhältnisse lagen in der That für die Großdeutschen günstig
wie nie. Durch die Allianz mit der großdeutschen Demokratie konnten sie vor¬
übergehend zu einer Macht werden, welche, wenn sie auch der Natur der Sache
nach nichts Positives zu schaffen im Stande war, doch den Widerstand gegen
die klar gesteckten Ziele der Bundesstaatspartei verstärken mußte, und der demo¬
kratischen Fraction schien dabei immerhin eine Art Ehrenplatz gesichert, da sie
wenigstens der populärere Theil war.

Aber andrerseits standen einer solchen Taktik die gewichtigsten Gründe ent¬
gegen. War es wirklich ein Ehrenplatz, den die Demokratie in Frankfurt ein"
genommen hätte? Sagen wir es geradezu: es war allerdings eine Frage der
Ehre, bei der Gesellschaft in Frankfurt zu erscheinen oder nicht zu erscheinen.
Aber, irren wir uns nicht, so war es zum Theil eben ein gewisses Anstands-
gefühl, das davon abhielt, an der Demonstration einer Partei sich zu bethei-
Ugen, welche doch Patrioten sehr zweifelhaften Charakters zu den Ihrigen
zählen mußte. Anderntheils war es freilich zugleich die wohlerwogene Einsicht,
daß es ein politischer Fehler wäre, sich von den Berathungen zu Weimar aus¬
zuschließen, ja, man darf sagen, eine gewisse patriotische Selbstverläugnung, da
man sich nicht verhehlen konnte, in vielen Punkten als eine kleine Minderheit
der überwiegenden Mehrheit in Weimar gegenüberstehen zu müssen. Lieber die
Minorität in Weimar, als mit dem großen Troß zu Frankfurt: dieser Ent¬
schluß ist aller Anerkennung werth.

Mochten nun auch Einzelne im Anfang schwanken, konnte man Stimmen
hören, wie die: "dort ist das preußische, hier das östreichische Lager, weder
hier noch dort ist für uns die rechte Stelle",-- Stimmen, denen von allen demo-


Grenzboten IV. 1S62. 10

Die Schwaben standen am Scheideweg, und die Wahl schien nicht ganz
einfach zu sein. Sie mußten sich darauf gefaßt machen, zu Weimar in wesent¬
lichen Dingen auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen, während sie in Frank¬
furt mit offenen Armen aufgenommen wurden und hier sicher Alles geschah,
um ein Kompromiß mit ihnen abzuschließen. Die Abneigung gegen Preußen
konnte durch die neuesten Vorgänge daselbst nur verstärkt werden, fand doch
Programm der Bundesstaatspartei seinen entschiedensten Gegner an der
illiberalen inneren Politik des eventuellen Bundeshaupts. Dagegen hatten im
Lauf der letzten Monate die großdcutschen Stimmungen einen gewaltigen An¬
kauf genommen. Das Schützenfest hatte in diesem Sinne nachgewirkt, die zahl¬
reichen Gäste, welche in diesem Sommer auf östreichischen Boden erschienen,
hatten die Kunde zurückgebracht von den Gefühlen der Anhänglichkeit, welche
die Deutschöstreichcr dem gemeinsamen Vaterland bewahrten, und die, wie un¬
klar sie an sich sein mochten, doch ebendeshalb wohl zu unterscheiden waren von
dem berechneten officiellen Deutschpatriotismus, welchen die Vertreter der Regie¬
rung bald bei den Juristen bald bei den Künstlern an den Mann zu bringen
suchten. Die Verhältnisse lagen in der That für die Großdeutschen günstig
wie nie. Durch die Allianz mit der großdeutschen Demokratie konnten sie vor¬
übergehend zu einer Macht werden, welche, wenn sie auch der Natur der Sache
nach nichts Positives zu schaffen im Stande war, doch den Widerstand gegen
die klar gesteckten Ziele der Bundesstaatspartei verstärken mußte, und der demo¬
kratischen Fraction schien dabei immerhin eine Art Ehrenplatz gesichert, da sie
wenigstens der populärere Theil war.

Aber andrerseits standen einer solchen Taktik die gewichtigsten Gründe ent¬
gegen. War es wirklich ein Ehrenplatz, den die Demokratie in Frankfurt ein«
genommen hätte? Sagen wir es geradezu: es war allerdings eine Frage der
Ehre, bei der Gesellschaft in Frankfurt zu erscheinen oder nicht zu erscheinen.
Aber, irren wir uns nicht, so war es zum Theil eben ein gewisses Anstands-
gefühl, das davon abhielt, an der Demonstration einer Partei sich zu bethei-
Ugen, welche doch Patrioten sehr zweifelhaften Charakters zu den Ihrigen
zählen mußte. Anderntheils war es freilich zugleich die wohlerwogene Einsicht,
daß es ein politischer Fehler wäre, sich von den Berathungen zu Weimar aus¬
zuschließen, ja, man darf sagen, eine gewisse patriotische Selbstverläugnung, da
man sich nicht verhehlen konnte, in vielen Punkten als eine kleine Minderheit
der überwiegenden Mehrheit in Weimar gegenüberstehen zu müssen. Lieber die
Minorität in Weimar, als mit dem großen Troß zu Frankfurt: dieser Ent¬
schluß ist aller Anerkennung werth.

Mochten nun auch Einzelne im Anfang schwanken, konnte man Stimmen
hören, wie die: „dort ist das preußische, hier das östreichische Lager, weder
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[0081] Die Schwaben standen am Scheideweg, und die Wahl schien nicht ganz einfach zu sein. Sie mußten sich darauf gefaßt machen, zu Weimar in wesent¬ lichen Dingen auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen, während sie in Frank¬ furt mit offenen Armen aufgenommen wurden und hier sicher Alles geschah, um ein Kompromiß mit ihnen abzuschließen. Die Abneigung gegen Preußen konnte durch die neuesten Vorgänge daselbst nur verstärkt werden, fand doch Programm der Bundesstaatspartei seinen entschiedensten Gegner an der illiberalen inneren Politik des eventuellen Bundeshaupts. Dagegen hatten im Lauf der letzten Monate die großdcutschen Stimmungen einen gewaltigen An¬ kauf genommen. Das Schützenfest hatte in diesem Sinne nachgewirkt, die zahl¬ reichen Gäste, welche in diesem Sommer auf östreichischen Boden erschienen, hatten die Kunde zurückgebracht von den Gefühlen der Anhänglichkeit, welche die Deutschöstreichcr dem gemeinsamen Vaterland bewahrten, und die, wie un¬ klar sie an sich sein mochten, doch ebendeshalb wohl zu unterscheiden waren von dem berechneten officiellen Deutschpatriotismus, welchen die Vertreter der Regie¬ rung bald bei den Juristen bald bei den Künstlern an den Mann zu bringen suchten. Die Verhältnisse lagen in der That für die Großdeutschen günstig wie nie. Durch die Allianz mit der großdeutschen Demokratie konnten sie vor¬ übergehend zu einer Macht werden, welche, wenn sie auch der Natur der Sache nach nichts Positives zu schaffen im Stande war, doch den Widerstand gegen die klar gesteckten Ziele der Bundesstaatspartei verstärken mußte, und der demo¬ kratischen Fraction schien dabei immerhin eine Art Ehrenplatz gesichert, da sie wenigstens der populärere Theil war. Aber andrerseits standen einer solchen Taktik die gewichtigsten Gründe ent¬ gegen. War es wirklich ein Ehrenplatz, den die Demokratie in Frankfurt ein« genommen hätte? Sagen wir es geradezu: es war allerdings eine Frage der Ehre, bei der Gesellschaft in Frankfurt zu erscheinen oder nicht zu erscheinen. Aber, irren wir uns nicht, so war es zum Theil eben ein gewisses Anstands- gefühl, das davon abhielt, an der Demonstration einer Partei sich zu bethei- Ugen, welche doch Patrioten sehr zweifelhaften Charakters zu den Ihrigen zählen mußte. Anderntheils war es freilich zugleich die wohlerwogene Einsicht, daß es ein politischer Fehler wäre, sich von den Berathungen zu Weimar aus¬ zuschließen, ja, man darf sagen, eine gewisse patriotische Selbstverläugnung, da man sich nicht verhehlen konnte, in vielen Punkten als eine kleine Minderheit der überwiegenden Mehrheit in Weimar gegenüberstehen zu müssen. Lieber die Minorität in Weimar, als mit dem großen Troß zu Frankfurt: dieser Ent¬ schluß ist aller Anerkennung werth. Mochten nun auch Einzelne im Anfang schwanken, konnte man Stimmen hören, wie die: „dort ist das preußische, hier das östreichische Lager, weder hier noch dort ist für uns die rechte Stelle",— Stimmen, denen von allen demo- Grenzboten IV. 1S62. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/81>, abgerufen am 27.09.2024.