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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Ganz andere Verhältnisse zeigen die beiden antiken Sprachen. Die wohl->
klingendste von allen Sprachen überhaupt ist die griechische. Unter 100 Lauten
sind im Griechischen 46 Vocale; unter ihnen herrschen (im attischen Dialekte)
die leichteren e und o und unter den Consonanten die härtern ^ -r entschie¬
den vor. Außerdem accommodiren und assimiliren sich die Laute, so daß die
harten zu den harten, die weichen zu den weichen und die gehauchten wiederum
sich zu ihres Gleichen gesellen. Stammsilbe und Endung verbinden sich überall
aus eine höchst geschmeidige Weise; wo eine Härte entstehen könnte, schiebt sich
sofort ein Bindevocal ein. Ganz so wie die Sprache an Formenschönheit unüber¬
troffen dasteht, so zeichnen auch die Griechen vor allen Völkern sich durch feinen
Formensinn und ein lebendiges Kunstgefühl aus; ihre Kunstschöpfungen sind so
maßgebend, daß selbst unsere.Zeit bei ihnen noch in die Schule geht. Wie
die Sprache geschmeidig und beweglich ist, so waren auch die Griechen das ge¬
schmeidigste und beweglichste Volk der alten Welt.

Das Lateinische dagegen zeichnet sich durch das Festhalten der vollen Vocale
a, i, u aus und hat dadurch einen vollen kräftigen Klang, ruhigen Ernst und
eine gewisse feierliche Würde behalten. Unter 100 Lauten sind etwa 44 Vocale, -
und diese wechseln fast gleichmäßig mit einander ab. Gleich die 3 ersten Wörter
der Aeneis zeigen alle 5 Vocale: arma. viruincirw eg.no. Unter den Con¬
sonanten kommen die weichern b> Ä, L, l verhältnißmäßig seltener vor, am
meisten t, r und s, dann in, n und e. Die dritte Person Singular und Plural beim
Verbum schließt überall mit l, im Passiv mit or, was beides höchst energisch
klingt, und die so oft vorkommenden Schlußsilben tus und tum haben auch
etwas sehr Entschiedenes an sich. Der Römer trachtete weniger nach seinem
Wohllaut und leichtem Fluß der Rede, als nach energischem Ausdruck und Fülle
des Tones. Sie haben mit echt römischer oonsta.ulla an den alten Lautgesetzen
festgehalten, und d/w Beherrschern der Welt geziemte auch eine Sprache, die
schon durch ihren Klang Achtung einflößte.

Unter den neuern europäischen Sprachen ist das Italienische wohl'unbe¬
stritten die wohlklingendste. Hier finden sich auf 10 Vocale 11 bis 12 Con¬
sonanten und unter den letztern herrschen die liquiden 1 in n r und s am
meisten vor; die Vocale g, e i o kommen alle ungefähr gleich oft vor; u selte¬
ner. Schon hieraus ist der weiche, klangvolle Charakter der Sprache ersicht¬
lich, zugleich aber auch eine gewisse Verschwommenheit und Zerflossenheit
derselben. Mit dieser Eigenthümlichkeit ihres Idioms steht im engsten Zu¬
sammenhange die Neigung der Italiener, ihren Gedanken und Gefühlen in
wortreichen Reden oder in lautem Gesänge einen Ausdruck zu geben. Es ist
gleichsam die Musik der sprachlichen Töne, die sie dazu verführt. Daher wird
denn auch in den Schulen hauptsächlich eine rhetorische Ausbildung der Zög¬
linge erstrebt, und die Italiener selber sind so wort- und phrasenreich, wie


Ganz andere Verhältnisse zeigen die beiden antiken Sprachen. Die wohl->
klingendste von allen Sprachen überhaupt ist die griechische. Unter 100 Lauten
sind im Griechischen 46 Vocale; unter ihnen herrschen (im attischen Dialekte)
die leichteren e und o und unter den Consonanten die härtern ^ -r entschie¬
den vor. Außerdem accommodiren und assimiliren sich die Laute, so daß die
harten zu den harten, die weichen zu den weichen und die gehauchten wiederum
sich zu ihres Gleichen gesellen. Stammsilbe und Endung verbinden sich überall
aus eine höchst geschmeidige Weise; wo eine Härte entstehen könnte, schiebt sich
sofort ein Bindevocal ein. Ganz so wie die Sprache an Formenschönheit unüber¬
troffen dasteht, so zeichnen auch die Griechen vor allen Völkern sich durch feinen
Formensinn und ein lebendiges Kunstgefühl aus; ihre Kunstschöpfungen sind so
maßgebend, daß selbst unsere.Zeit bei ihnen noch in die Schule geht. Wie
die Sprache geschmeidig und beweglich ist, so waren auch die Griechen das ge¬
schmeidigste und beweglichste Volk der alten Welt.

Das Lateinische dagegen zeichnet sich durch das Festhalten der vollen Vocale
a, i, u aus und hat dadurch einen vollen kräftigen Klang, ruhigen Ernst und
eine gewisse feierliche Würde behalten. Unter 100 Lauten sind etwa 44 Vocale, -
und diese wechseln fast gleichmäßig mit einander ab. Gleich die 3 ersten Wörter
der Aeneis zeigen alle 5 Vocale: arma. viruincirw eg.no. Unter den Con¬
sonanten kommen die weichern b> Ä, L, l verhältnißmäßig seltener vor, am
meisten t, r und s, dann in, n und e. Die dritte Person Singular und Plural beim
Verbum schließt überall mit l, im Passiv mit or, was beides höchst energisch
klingt, und die so oft vorkommenden Schlußsilben tus und tum haben auch
etwas sehr Entschiedenes an sich. Der Römer trachtete weniger nach seinem
Wohllaut und leichtem Fluß der Rede, als nach energischem Ausdruck und Fülle
des Tones. Sie haben mit echt römischer oonsta.ulla an den alten Lautgesetzen
festgehalten, und d/w Beherrschern der Welt geziemte auch eine Sprache, die
schon durch ihren Klang Achtung einflößte.

Unter den neuern europäischen Sprachen ist das Italienische wohl'unbe¬
stritten die wohlklingendste. Hier finden sich auf 10 Vocale 11 bis 12 Con¬
sonanten und unter den letztern herrschen die liquiden 1 in n r und s am
meisten vor; die Vocale g, e i o kommen alle ungefähr gleich oft vor; u selte¬
ner. Schon hieraus ist der weiche, klangvolle Charakter der Sprache ersicht¬
lich, zugleich aber auch eine gewisse Verschwommenheit und Zerflossenheit
derselben. Mit dieser Eigenthümlichkeit ihres Idioms steht im engsten Zu¬
sammenhange die Neigung der Italiener, ihren Gedanken und Gefühlen in
wortreichen Reden oder in lautem Gesänge einen Ausdruck zu geben. Es ist
gleichsam die Musik der sprachlichen Töne, die sie dazu verführt. Daher wird
denn auch in den Schulen hauptsächlich eine rhetorische Ausbildung der Zög¬
linge erstrebt, und die Italiener selber sind so wort- und phrasenreich, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/66>, abgerufen am 27.09.2024.