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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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hochdeutschen). Er ist der völlig indifferente, neutrale. Vocal, farblos wie das
Wasser und nur als das flüssige Element der Aussprache und Verstoßung der
Consonanten dienend. Es spricht sich darin die Stimmung der leidenschaft¬
losen, verständigen Rede, des gleichgiltigen, kalten Ernstes aus." So weit
Heyse.

In der ausgebildeten Sprache verlieren allerdings die Vocale ihre selb¬
ständige Geltung; sie werden am Ende in ganz willkürlicher Weise gebraucht,
und bei ihrem schwankenden, unbestimmten Wesen gehen sie leicht in einander
über oder wechseln (singe, sang, gesungen!), während die Consonanten unver¬
ändert bleiben. Die Consonanten gehören dem unterscheidenden Bewußtsein,
dem klaren Verstände, dem denkenden Geiste an. Sie erfordern zu ihrer Er¬
zeugung eine viel größere bewußte Thätigkeit als die Vocale; Kinder bringen
ziemlich früh reine vocalische Laute hervor, aber es dauert geraume Zeit und
erfordert Uebung, die sämmtlichen Consonanten auszusprechen, ebenso verliert
der Mensch bei schwindenden Bewußtsein leicht die Fähigkeit, scharf gesonderte
Consonanten hervorzubringen: der Trunkene kalte nur noch; darin zeigt sich
deutlich genug die enge Verbindung, in der der denkende Verstand mit der Erzeu¬
gung der Consonanten steht. Sie werden hervorgebracht durch das Gegen-
einanderstemmen der Sprachorgane, die allemal je zwei dabei betheiligt sind. Es
sind nämlich Ober- und Unterlippe, Norderzunge und Zähne und Hinterzunge
und Gaumen. (Von den Gurgellauten einzelner Sprachen sehen wir hier ab.)
So entstehen die drei Consonantenreihen der Lippen-, Zahn- oder Zungen-
und der Gaumenlaute. Während die Vocale schwankend ineinanderlaufen,
wie ja auch die Gefühle schwankend und unbegrenzt sind, dienen die Con¬
sonanten dazu, die Laute zu gliedern und zu sondern und dem flüssigen Elemente
der Vocale Schranken zu setzen.

Es ist allerdings außerordentlich schwer, die Consonanten zu charakterisiren,
weil die Urbedeutung der Wörter schwer, oft gar nicht zu ermitteln und in den
abgeleiteten Bedeutungen natürlich die Natur der Consonanten nicht mehr zu
erkennen ist. Indeß Einiges, was auf der Hand liegt, wollen wir doch anführen.

Bemerkenswerth ist zunächst, daß durchweg der Name der Sprachorgane
durch die Laute gebildet ist, die mit ihrer Hülfe gebildet werden, vgl. Kehle,
guttur, Gaumen, Zunge, Zahn, clous, Lippe. lÄbiuru, Mund, Nase, rufus,
u. s. w. Das ist gewiß nicht zufällig. Bei den Zungenlauten (d. t, z,) wird
die Zunge vorwärts an die Zähne geschoben, sie zeigt gleichsam vorwärts, daher
beginnen die Wörter für die zweite angeredete Person, du, tu, dein, ferner
der, dieser, wuws, eg.1is, ro^', also die Demonstrativ", sodann die. Verba,
die ein Deuten, Zeigen, Hinweisen bezeichnen, sie-rw, clieo, alö, ö-sai^t, auch
äigitus u. s. w. oft mit Zungenlauten. Die Bildung des l entspricht, wie
dieses schon dem Plato auffiel, einer leisen, linden Bewegung, während das r


hochdeutschen). Er ist der völlig indifferente, neutrale. Vocal, farblos wie das
Wasser und nur als das flüssige Element der Aussprache und Verstoßung der
Consonanten dienend. Es spricht sich darin die Stimmung der leidenschaft¬
losen, verständigen Rede, des gleichgiltigen, kalten Ernstes aus." So weit
Heyse.

In der ausgebildeten Sprache verlieren allerdings die Vocale ihre selb¬
ständige Geltung; sie werden am Ende in ganz willkürlicher Weise gebraucht,
und bei ihrem schwankenden, unbestimmten Wesen gehen sie leicht in einander
über oder wechseln (singe, sang, gesungen!), während die Consonanten unver¬
ändert bleiben. Die Consonanten gehören dem unterscheidenden Bewußtsein,
dem klaren Verstände, dem denkenden Geiste an. Sie erfordern zu ihrer Er¬
zeugung eine viel größere bewußte Thätigkeit als die Vocale; Kinder bringen
ziemlich früh reine vocalische Laute hervor, aber es dauert geraume Zeit und
erfordert Uebung, die sämmtlichen Consonanten auszusprechen, ebenso verliert
der Mensch bei schwindenden Bewußtsein leicht die Fähigkeit, scharf gesonderte
Consonanten hervorzubringen: der Trunkene kalte nur noch; darin zeigt sich
deutlich genug die enge Verbindung, in der der denkende Verstand mit der Erzeu¬
gung der Consonanten steht. Sie werden hervorgebracht durch das Gegen-
einanderstemmen der Sprachorgane, die allemal je zwei dabei betheiligt sind. Es
sind nämlich Ober- und Unterlippe, Norderzunge und Zähne und Hinterzunge
und Gaumen. (Von den Gurgellauten einzelner Sprachen sehen wir hier ab.)
So entstehen die drei Consonantenreihen der Lippen-, Zahn- oder Zungen-
und der Gaumenlaute. Während die Vocale schwankend ineinanderlaufen,
wie ja auch die Gefühle schwankend und unbegrenzt sind, dienen die Con¬
sonanten dazu, die Laute zu gliedern und zu sondern und dem flüssigen Elemente
der Vocale Schranken zu setzen.

Es ist allerdings außerordentlich schwer, die Consonanten zu charakterisiren,
weil die Urbedeutung der Wörter schwer, oft gar nicht zu ermitteln und in den
abgeleiteten Bedeutungen natürlich die Natur der Consonanten nicht mehr zu
erkennen ist. Indeß Einiges, was auf der Hand liegt, wollen wir doch anführen.

Bemerkenswerth ist zunächst, daß durchweg der Name der Sprachorgane
durch die Laute gebildet ist, die mit ihrer Hülfe gebildet werden, vgl. Kehle,
guttur, Gaumen, Zunge, Zahn, clous, Lippe. lÄbiuru, Mund, Nase, rufus,
u. s. w. Das ist gewiß nicht zufällig. Bei den Zungenlauten (d. t, z,) wird
die Zunge vorwärts an die Zähne geschoben, sie zeigt gleichsam vorwärts, daher
beginnen die Wörter für die zweite angeredete Person, du, tu, dein, ferner
der, dieser, wuws, eg.1is, ro^', also die Demonstrativ«, sodann die. Verba,
die ein Deuten, Zeigen, Hinweisen bezeichnen, sie-rw, clieo, alö, ö-sai^t, auch
äigitus u. s. w. oft mit Zungenlauten. Die Bildung des l entspricht, wie
dieses schon dem Plato auffiel, einer leisen, linden Bewegung, während das r


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/62>, abgerufen am 27.09.2024.