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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die Töne beachten, die von den Thieren hervorgebracht werden. Je eintöniger
die Laute sind, die ein Thier hervorzubringen vermag, desto geringer ist sicher¬
lich auch der Umfang der Empfindungen, deren es fähig ist, und umgekehrt.
Bekanntlich vermag von allen Hausthieren keines seine Stimme in so mannig¬
facher Weise zu mvduliren als der Hund; an seinem Bellen, Knurren, Heulen,
Winseln u. s. w. und den verschiedenen Tonarten, worin es geschieht, erkennen
wir leicht, wie wechselnd seine Empfindungen sind; er besitzt eine feinere Unter¬
scheidungsgabe, als irgend ein anderes Thier, und darum steht keins dem Men¬
schen so nahe, keins begleitet ihn so durch alle Zonen vom glühenden Sande
der Wüste bis zum starrenden Eise des Nordens als gerade der Hund. Der
feurige Muth des Rosses spricht sich deutlich genug aus in seinen heftigen,
brausenden, tief aus der Brust kommenden Tönen, in seinem Wiehern und
Schnauben; und so ist denn auch das muthige Roß von jeher des Menschen
treuer Gefährte auf dem blutigen Schlachtfelde gewesen. Dagegen das sanfte,
geduldige. Hülflose Wesen des Schafes offenbart sich deutlich genug in seinem
monotonen Blöken; ebenso deutet der tiefe, meist sich gleichbleibende Ton des
Rindes darauf hin, daß seine Natur ruhig, zu sklavischen Dienste bestimmt, zu
Opfer und Hingabe geschaffen ist, und so muß es denn von seiner Geburt an
bis zu seinem gewaltsamen Tode unter dem Beil des Metzgers sich in Allem
dem Dienste des Menschen weihen. Wie sehr die Stimme der Thiere ihrem
Wesen entspricht, erkennen wir sofort, wenn wir uns einmal vorstellen, ein
Pferd solle etwa blöken wie ein Schaf oder eine Kuh brüllen wie ein Löwe.
Wie ungereimt dieses wäre, erkennen oder vielmehr fühlen wir sofort. Ein
blökendes Pferd ist kein Pferd mehr; soll es bleiben, was es ist, so muß es
wiehern.

Am mächtigsten zeigt sich das Wesen des Lautes, des Tones bei der
menschlichen Stimme: der Laut der Stimme läßt am besten die Beschaffenheit
des Innern, die "Stimmung" erkennen und wirkt hinwiederum am unmittel¬
barsten auf das Innere, die Stimmung des Hörenden. Ich spreche hier nur
von dem Laute als solchen, von dem Klänge und sehe noch völlig von der
durch ihn getragenen Vorstellung ab. Wie mächtig ist nicht der Zauber einer
schönen, klangvollen Stimme, selbst wenn wir die Worte nicht verstehen! Welche
wunderbaren Wirkungen weiß nicht der Redner, der Schauspieler in uns durch
die Gewalt des Lautes hervorzubringen -- denn daß es keineswegs die Vor¬
stellungen allein sind, die uns bewegen, ergibt sich sogleich ganz deutlich, wenn
dasselbe Stück ohne Aufbietung solcher Tonmittel, gleichgiltig und nachlässig
vorgetragen wird. Darauf beruht auch die Wirkung der Musik, namentlich
des Gesanges, der ja das menschliche Gemüth auf die wunderbarste Weise zu
ergreifen vermag. Bekannt ist die Erzählung von dem alten nordischen
Sänger, der am Hofe des Norwegerkönigs Olaf erschien: zuerst sang er lustige


die Töne beachten, die von den Thieren hervorgebracht werden. Je eintöniger
die Laute sind, die ein Thier hervorzubringen vermag, desto geringer ist sicher¬
lich auch der Umfang der Empfindungen, deren es fähig ist, und umgekehrt.
Bekanntlich vermag von allen Hausthieren keines seine Stimme in so mannig¬
facher Weise zu mvduliren als der Hund; an seinem Bellen, Knurren, Heulen,
Winseln u. s. w. und den verschiedenen Tonarten, worin es geschieht, erkennen
wir leicht, wie wechselnd seine Empfindungen sind; er besitzt eine feinere Unter¬
scheidungsgabe, als irgend ein anderes Thier, und darum steht keins dem Men¬
schen so nahe, keins begleitet ihn so durch alle Zonen vom glühenden Sande
der Wüste bis zum starrenden Eise des Nordens als gerade der Hund. Der
feurige Muth des Rosses spricht sich deutlich genug aus in seinen heftigen,
brausenden, tief aus der Brust kommenden Tönen, in seinem Wiehern und
Schnauben; und so ist denn auch das muthige Roß von jeher des Menschen
treuer Gefährte auf dem blutigen Schlachtfelde gewesen. Dagegen das sanfte,
geduldige. Hülflose Wesen des Schafes offenbart sich deutlich genug in seinem
monotonen Blöken; ebenso deutet der tiefe, meist sich gleichbleibende Ton des
Rindes darauf hin, daß seine Natur ruhig, zu sklavischen Dienste bestimmt, zu
Opfer und Hingabe geschaffen ist, und so muß es denn von seiner Geburt an
bis zu seinem gewaltsamen Tode unter dem Beil des Metzgers sich in Allem
dem Dienste des Menschen weihen. Wie sehr die Stimme der Thiere ihrem
Wesen entspricht, erkennen wir sofort, wenn wir uns einmal vorstellen, ein
Pferd solle etwa blöken wie ein Schaf oder eine Kuh brüllen wie ein Löwe.
Wie ungereimt dieses wäre, erkennen oder vielmehr fühlen wir sofort. Ein
blökendes Pferd ist kein Pferd mehr; soll es bleiben, was es ist, so muß es
wiehern.

Am mächtigsten zeigt sich das Wesen des Lautes, des Tones bei der
menschlichen Stimme: der Laut der Stimme läßt am besten die Beschaffenheit
des Innern, die „Stimmung" erkennen und wirkt hinwiederum am unmittel¬
barsten auf das Innere, die Stimmung des Hörenden. Ich spreche hier nur
von dem Laute als solchen, von dem Klänge und sehe noch völlig von der
durch ihn getragenen Vorstellung ab. Wie mächtig ist nicht der Zauber einer
schönen, klangvollen Stimme, selbst wenn wir die Worte nicht verstehen! Welche
wunderbaren Wirkungen weiß nicht der Redner, der Schauspieler in uns durch
die Gewalt des Lautes hervorzubringen — denn daß es keineswegs die Vor¬
stellungen allein sind, die uns bewegen, ergibt sich sogleich ganz deutlich, wenn
dasselbe Stück ohne Aufbietung solcher Tonmittel, gleichgiltig und nachlässig
vorgetragen wird. Darauf beruht auch die Wirkung der Musik, namentlich
des Gesanges, der ja das menschliche Gemüth auf die wunderbarste Weise zu
ergreifen vermag. Bekannt ist die Erzählung von dem alten nordischen
Sänger, der am Hofe des Norwegerkönigs Olaf erschien: zuerst sang er lustige


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[0058] die Töne beachten, die von den Thieren hervorgebracht werden. Je eintöniger die Laute sind, die ein Thier hervorzubringen vermag, desto geringer ist sicher¬ lich auch der Umfang der Empfindungen, deren es fähig ist, und umgekehrt. Bekanntlich vermag von allen Hausthieren keines seine Stimme in so mannig¬ facher Weise zu mvduliren als der Hund; an seinem Bellen, Knurren, Heulen, Winseln u. s. w. und den verschiedenen Tonarten, worin es geschieht, erkennen wir leicht, wie wechselnd seine Empfindungen sind; er besitzt eine feinere Unter¬ scheidungsgabe, als irgend ein anderes Thier, und darum steht keins dem Men¬ schen so nahe, keins begleitet ihn so durch alle Zonen vom glühenden Sande der Wüste bis zum starrenden Eise des Nordens als gerade der Hund. Der feurige Muth des Rosses spricht sich deutlich genug aus in seinen heftigen, brausenden, tief aus der Brust kommenden Tönen, in seinem Wiehern und Schnauben; und so ist denn auch das muthige Roß von jeher des Menschen treuer Gefährte auf dem blutigen Schlachtfelde gewesen. Dagegen das sanfte, geduldige. Hülflose Wesen des Schafes offenbart sich deutlich genug in seinem monotonen Blöken; ebenso deutet der tiefe, meist sich gleichbleibende Ton des Rindes darauf hin, daß seine Natur ruhig, zu sklavischen Dienste bestimmt, zu Opfer und Hingabe geschaffen ist, und so muß es denn von seiner Geburt an bis zu seinem gewaltsamen Tode unter dem Beil des Metzgers sich in Allem dem Dienste des Menschen weihen. Wie sehr die Stimme der Thiere ihrem Wesen entspricht, erkennen wir sofort, wenn wir uns einmal vorstellen, ein Pferd solle etwa blöken wie ein Schaf oder eine Kuh brüllen wie ein Löwe. Wie ungereimt dieses wäre, erkennen oder vielmehr fühlen wir sofort. Ein blökendes Pferd ist kein Pferd mehr; soll es bleiben, was es ist, so muß es wiehern. Am mächtigsten zeigt sich das Wesen des Lautes, des Tones bei der menschlichen Stimme: der Laut der Stimme läßt am besten die Beschaffenheit des Innern, die „Stimmung" erkennen und wirkt hinwiederum am unmittel¬ barsten auf das Innere, die Stimmung des Hörenden. Ich spreche hier nur von dem Laute als solchen, von dem Klänge und sehe noch völlig von der durch ihn getragenen Vorstellung ab. Wie mächtig ist nicht der Zauber einer schönen, klangvollen Stimme, selbst wenn wir die Worte nicht verstehen! Welche wunderbaren Wirkungen weiß nicht der Redner, der Schauspieler in uns durch die Gewalt des Lautes hervorzubringen — denn daß es keineswegs die Vor¬ stellungen allein sind, die uns bewegen, ergibt sich sogleich ganz deutlich, wenn dasselbe Stück ohne Aufbietung solcher Tonmittel, gleichgiltig und nachlässig vorgetragen wird. Darauf beruht auch die Wirkung der Musik, namentlich des Gesanges, der ja das menschliche Gemüth auf die wunderbarste Weise zu ergreifen vermag. Bekannt ist die Erzählung von dem alten nordischen Sänger, der am Hofe des Norwegerkönigs Olaf erschien: zuerst sang er lustige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/58>, abgerufen am 27.09.2024.