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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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übrigens alle liberalen Parteien zu zeitgemäßen Modifikationen bereit sind,
wird früher oder später doch der Durchgangspunkt werden, von welchem eine
neue Regelung der deutschen und preußischen Verhältnisse-ausgehn muß.

Für eine liberale Regierung wäre die ganze Delegirtenfrage nichts als ein
Spuk, ein schüchternes Phantasma, welches durch ein ironisches Lächeln zur
Thür hinausgescheucht wird. Der gegenwärtigen Regierung König Wilhelm des
Ersten ist es leider ein vielbedeutendes Ereigniß. Aber da Herr von Bis.
mark einmal Leiter der auswärtigen Angelegenheiten ist, so muß, wer zu der
preußischen Partei gehört, in diesem Fall wünschen, daß seine auswärtigen Ope¬
rationen nicht verderblich für den Staat werden. Und deshalb sei hier die Frage
gestellt, was kann Herr v. Bismark in dieser Frage im preußischen Interesse
mit Vortheil thun und was darf er nicht thun?

Wer die politische Persönlichkeit des Ministers mit den kleinen Jndiscretionen
seiner Presse zusammenhält, der wird sich, wie bemerkt, der Ansicht nicht ent-
schlagen können, daß er entschlossen ist. Preußen in dieser Frage nicht majori-
siren zu lassen. Er wird zuverlässig nicht auf den Plan der Würzburger ein.
gehn. Er wird wie Baden den Dissens erklären. Damit ist gewiß jeder
Preuße einverstanden.

Aber wenn nun, wie vorauszusehen, ein unerhörter Majoritätszwang ge"
übt wird, und wenn Oestreich mit den übrigen Regierungen Deutschlands die
Einrichtung einer Delcgirtenvertretung am Bunde beschließt, was bleibt Herrn
v'. Bismark dann übrig? ihm, dem der gute Ausweg verschlossen ist, da er in
seiner Parteistcllung nichts Positives und Besseres dem deutschen Volke zu bie¬
ten hat? Das Naheliegende ist, er hält an dem Bunde fest, verschmerzt die De¬
müthigung Preußens -- es ist nicht die erste -- behandelt die Deiegirten-
versammlung fortwährend als einen unglücklichen Einfall und wendet jedes
Mittel der Bundespraxis an, den Beschluß resultatlos, eine etwaige Be-
schickung solcher Dclegirtenversammlungen durch die anderen Staaten als eine
Lächerlichkeit zu erweisen.

Wie weit die preußische Politik in diesem Falle kommen mag, und
wie weit ihr fortgesetzter Widerstand am Bund die Nichtigkeit des Projectes er¬
weisen kann, hängt weniger von der Geschicklichkeit des preußischen Diplomaten
in Frankfurt und von den gewandten Schachzügen des Herrn v. Bismars, j als
von der Wendung ab, welche die innern Angelegenheiten Preußens im nächsten
Jahre nehmen. Es ist keine bequeme Politik, sie verheißt keine großen Resul¬
tate, aber sie vermag einen offenen Conflict zu vermeiden. Und wir gestehen,
daß solches Hinziehen immer noch das Beste ist, was man der preußischen
Regierung in ihrer Lage wünschen kann.

Wir sind Niederlagen am Bunde bereits gewöhnt und wenigstens in dieser
Fra"/ kann Preußen aus die Beistimmung der deutsche" Bevölkerungen rechnen


übrigens alle liberalen Parteien zu zeitgemäßen Modifikationen bereit sind,
wird früher oder später doch der Durchgangspunkt werden, von welchem eine
neue Regelung der deutschen und preußischen Verhältnisse-ausgehn muß.

Für eine liberale Regierung wäre die ganze Delegirtenfrage nichts als ein
Spuk, ein schüchternes Phantasma, welches durch ein ironisches Lächeln zur
Thür hinausgescheucht wird. Der gegenwärtigen Regierung König Wilhelm des
Ersten ist es leider ein vielbedeutendes Ereigniß. Aber da Herr von Bis.
mark einmal Leiter der auswärtigen Angelegenheiten ist, so muß, wer zu der
preußischen Partei gehört, in diesem Fall wünschen, daß seine auswärtigen Ope¬
rationen nicht verderblich für den Staat werden. Und deshalb sei hier die Frage
gestellt, was kann Herr v. Bismark in dieser Frage im preußischen Interesse
mit Vortheil thun und was darf er nicht thun?

Wer die politische Persönlichkeit des Ministers mit den kleinen Jndiscretionen
seiner Presse zusammenhält, der wird sich, wie bemerkt, der Ansicht nicht ent-
schlagen können, daß er entschlossen ist. Preußen in dieser Frage nicht majori-
siren zu lassen. Er wird zuverlässig nicht auf den Plan der Würzburger ein.
gehn. Er wird wie Baden den Dissens erklären. Damit ist gewiß jeder
Preuße einverstanden.

Aber wenn nun, wie vorauszusehen, ein unerhörter Majoritätszwang ge«
übt wird, und wenn Oestreich mit den übrigen Regierungen Deutschlands die
Einrichtung einer Delcgirtenvertretung am Bunde beschließt, was bleibt Herrn
v'. Bismark dann übrig? ihm, dem der gute Ausweg verschlossen ist, da er in
seiner Parteistcllung nichts Positives und Besseres dem deutschen Volke zu bie¬
ten hat? Das Naheliegende ist, er hält an dem Bunde fest, verschmerzt die De¬
müthigung Preußens — es ist nicht die erste — behandelt die Deiegirten-
versammlung fortwährend als einen unglücklichen Einfall und wendet jedes
Mittel der Bundespraxis an, den Beschluß resultatlos, eine etwaige Be-
schickung solcher Dclegirtenversammlungen durch die anderen Staaten als eine
Lächerlichkeit zu erweisen.

Wie weit die preußische Politik in diesem Falle kommen mag, und
wie weit ihr fortgesetzter Widerstand am Bund die Nichtigkeit des Projectes er¬
weisen kann, hängt weniger von der Geschicklichkeit des preußischen Diplomaten
in Frankfurt und von den gewandten Schachzügen des Herrn v. Bismars, j als
von der Wendung ab, welche die innern Angelegenheiten Preußens im nächsten
Jahre nehmen. Es ist keine bequeme Politik, sie verheißt keine großen Resul¬
tate, aber sie vermag einen offenen Conflict zu vermeiden. Und wir gestehen,
daß solches Hinziehen immer noch das Beste ist, was man der preußischen
Regierung in ihrer Lage wünschen kann.

Wir sind Niederlagen am Bunde bereits gewöhnt und wenigstens in dieser
Fra"/ kann Preußen aus die Beistimmung der deutsche» Bevölkerungen rechnen


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[0496] übrigens alle liberalen Parteien zu zeitgemäßen Modifikationen bereit sind, wird früher oder später doch der Durchgangspunkt werden, von welchem eine neue Regelung der deutschen und preußischen Verhältnisse-ausgehn muß. Für eine liberale Regierung wäre die ganze Delegirtenfrage nichts als ein Spuk, ein schüchternes Phantasma, welches durch ein ironisches Lächeln zur Thür hinausgescheucht wird. Der gegenwärtigen Regierung König Wilhelm des Ersten ist es leider ein vielbedeutendes Ereigniß. Aber da Herr von Bis. mark einmal Leiter der auswärtigen Angelegenheiten ist, so muß, wer zu der preußischen Partei gehört, in diesem Fall wünschen, daß seine auswärtigen Ope¬ rationen nicht verderblich für den Staat werden. Und deshalb sei hier die Frage gestellt, was kann Herr v. Bismark in dieser Frage im preußischen Interesse mit Vortheil thun und was darf er nicht thun? Wer die politische Persönlichkeit des Ministers mit den kleinen Jndiscretionen seiner Presse zusammenhält, der wird sich, wie bemerkt, der Ansicht nicht ent- schlagen können, daß er entschlossen ist. Preußen in dieser Frage nicht majori- siren zu lassen. Er wird zuverlässig nicht auf den Plan der Würzburger ein. gehn. Er wird wie Baden den Dissens erklären. Damit ist gewiß jeder Preuße einverstanden. Aber wenn nun, wie vorauszusehen, ein unerhörter Majoritätszwang ge« übt wird, und wenn Oestreich mit den übrigen Regierungen Deutschlands die Einrichtung einer Delcgirtenvertretung am Bunde beschließt, was bleibt Herrn v'. Bismark dann übrig? ihm, dem der gute Ausweg verschlossen ist, da er in seiner Parteistcllung nichts Positives und Besseres dem deutschen Volke zu bie¬ ten hat? Das Naheliegende ist, er hält an dem Bunde fest, verschmerzt die De¬ müthigung Preußens — es ist nicht die erste — behandelt die Deiegirten- versammlung fortwährend als einen unglücklichen Einfall und wendet jedes Mittel der Bundespraxis an, den Beschluß resultatlos, eine etwaige Be- schickung solcher Dclegirtenversammlungen durch die anderen Staaten als eine Lächerlichkeit zu erweisen. Wie weit die preußische Politik in diesem Falle kommen mag, und wie weit ihr fortgesetzter Widerstand am Bund die Nichtigkeit des Projectes er¬ weisen kann, hängt weniger von der Geschicklichkeit des preußischen Diplomaten in Frankfurt und von den gewandten Schachzügen des Herrn v. Bismars, j als von der Wendung ab, welche die innern Angelegenheiten Preußens im nächsten Jahre nehmen. Es ist keine bequeme Politik, sie verheißt keine großen Resul¬ tate, aber sie vermag einen offenen Conflict zu vermeiden. Und wir gestehen, daß solches Hinziehen immer noch das Beste ist, was man der preußischen Regierung in ihrer Lage wünschen kann. Wir sind Niederlagen am Bunde bereits gewöhnt und wenigstens in dieser Fra"/ kann Preußen aus die Beistimmung der deutsche» Bevölkerungen rechnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/496>, abgerufen am 27.09.2024.